Hain

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Donn schaltete das Radio ein. Alte Rockmusik schallte ein einer angenehmen Lautstärke aus den Lautsprechern. Keine wummernden Bässe, wie im Club. Lissa drehte den Kopf zum Fenster, schaute hinaus. Immer weniger hohe Gebäude, stattdessen mehr freie Flächen und Bäume. Wollte er sie außerhalb der Stadt umbringen und in einem Waldstück ihre Leiche verscharren? Sie linste zu dem Mann, der stur geradeaus auf die Straße starrte.

„Es tut mir leid", begann sie zögerlich, die Stimme kaum lauter als die Musik. Kein Muskelzucken. Nichts verriet, ob er ihr zuhörte oder in tiefer Trance verweilte. „Kannst du mich bitte nach Hause bringen?"

„Nach dem, was du im Club meines Vaters vor seinen Augen abgezogen hast? Vergiss es." Lissa presste die Lippen aufeinander. Sie hatte die Antwort erwartet. Wäre ihm ihre Aktion egal, hätte er sie nicht bis auf den Parkplatz verfolgt, sie nicht in sein Auto geworfen, und würde er nicht mit ihr irgendwohin fahren, wo sich keine Menschenseele herumtrieb.

„Wo fährst du mich hin?" Sie rieb die feuchten Hände über ihre Oberschenkel. Kalt fühlten sie sich durch den dünnen Stoff an. Die Härchen auf ihren Armen richteten sich auf. Sie trug nur ein kurzärmeliges Shirt zur Hose. Die Jacke hing noch bei der Garderobe vom Nobiskrug. „Ich möchte doch einfach nur nach Hause, in mein Bett." Sie gähnte verhalten, rieb über die Gänsehaut, die sich über ihren ganzen Körper auszubreiten schien. Donn sah kurz zu ihr, langte mit einem Arm zur Rückbank. Etwas Schweres, nach Leder Riechendes landete auf ihrem Schoß. Dankbar zog sie die Lederjacke wie eine Decke über ihren Oberkörper und roch an dem Kleidungsstück. Sein Geruch haftete daran, benebelte ihre Sinne. Vielleicht brachte er sie doch nicht dafür um, dass sie sein Ego verletzt hatte. Verstohlen musterte sie ihn. Seine Kiefer mahlten, die ihr zugewandte Gesichtshälfte wirkte eingefallen. Die Haut wie ein dünnes Tuch, das sich über einem Holzgerippe spannte. Aschfahl neben den schwarzen Schlangenlinien seines Tattoos. Sie schielte zu seinen Händen. Die Finger umklammerten fest das Lenkrad, die Knöchel kreidebleich im Mondlicht. Mehr tot als lebendig.

„Das war echt keine Absicht", fing sie abermals an, nestelte am Saum ihres Shirts, das ebenso rabenschwarz war wie seines, wie ihrer beiden Hosen. Lissa runzelte die Stirn. Hatte sie sich ernsthaft für den gleichen Look entschieden wie ihr Peiniger? Sie musterte weiter den Mann, der sich ihr im Club aufgedrungen hatte. Der tiefe Schmerz in seinem Blick, als sie ihm sagte, dass sie ihn hasste. Was bedeutete sie ihm? Mal behandelte er sie wie Dreck, der an seinen Schuhen klebte. Dann zeigte er sich von einer anderen, verletzlichen Seite. „Es tut mir wirklich leid."

„Wie leid es dir tut, werden wir gleich sehen." Seine Stimme ein eisiger Hauch. Donn parkte den Wagen vor einem verwitterten Tor, das in eine alte Mauer eingefasst war. Er verließ das Auto, riss die Tür auf ihrer Seite auf. „Steig aus." Sie gehorchte wortlos, zog sich schnell seine Jacke an. Das Herz pochte ihr bis zum Hals. Unruhig wanderte ihr Blick über die Umgebung. Mörtel und kleine Mauerteile lagen vor der Ziegelmauer auf dem ungepflegten Bürgersteig, dessen Steine an einigen Stellen zerbrochen waren. Ein verdorrter Löwenzahn, Gras und robuste Halme schmückten das verwitterte Grau. „Nun komm schon." Donn packte sie grob am Handgelenk, zerrte sie zu unter dem verbogenen Torbogen hindurch auf einen sich dahinschlängelnden Pfad.

„Ein alter Friedhof? Spinnst du?" Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie auf umgefallene Grabsteine, die teils von Moos überwuchert waren. Riesige Eichen und Buchen säumten den Weg, auf dem er sie stumm vorwärts zerrte. Lissa ließ sich rückwärts fallen, landete rücklings auf dem Boden. Kleine Steine bohrten sich in die Hose, piksten ihren Hintern. Donn taumelte, stürzte ebenfalls. Im letzten Moment fing er seinen Sturz mit den Armen ab, verharrte halb auf ihr liegend.

„In meinem Bett würde mir diese Position besser gefallen. Vor allem ohne die lästige Kleidung." Er lachte dunkel.

„Mistkerl", zischte sie, sah ihm zu, wie er sich aufrappelte.

„So viel zum Thema, es täte dir leid." Donn packte sie an der Hüfte, warf sich Lissa trotz ihres lautstarken Protests über die Schulter. Er trug sie an weiteren Grabsteinen vorbei. Die Schrift auf ihnen zu verwittert, um im Mondlicht, das durch das Blätterdach fiel, einen Namen oder eine Jahreszahl zu erkennen. Dennoch wurde sie das Gefühl nicht los, dass hier seit Jahren kaum eine Menschenseele mehr herkam. Sie zog die Nase kraus. Jemand kümmerte sich um den verfallenen Friedhof. Sei es auch nur, den Pfad von Unkraut und Ranken der Sträucher zu befreien. Doch wozu? Wer trieb sich freiwillig an diesem Ort herum? Sektenmitglieder! Führte ihr Arbeitgeber eine Sekte an, die obskure Rituale auf einem Begräbnisplatz durchführte? Sie schluckte leer, ihr Körper zitterte unkontrolliert. Eine religiöse Gemeinschaft, die den Teufel anbetete. Wieso hatte sie die Zusammenhänge nicht eher erkannt? Bevor es zu spät war.

„Wir sind da." Donn stellte sie auf den weichen Boden, legte einen Arm um ihre Taille. Verwirrt sah sie sich um. Keine Menschen in Kutten, mit wild lodernden Fackeln. Kein Altar, um sie darauf festzubinden, zu opfern, erwartete sie. Nur eine Lichtung, einige aufrecht stehende Gesteinsblöcke, umringt von hohen Bäumen. Eschen, wie sie von Andhaka gelernt hatte. Ein Hain, von Hexen errichtet.

Dem Tode zu naheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt