Verwirrspiel

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Lissa huschte auf dem langen Flur von einer Nische zur Nächsten. Mit Mühe widerstand sie dem Drang, sich umzuschauen. Jemand beobachtete sie und die Person war ihr nicht freundlich gesonnen. Eine Art dunkler Energie lag in der Luft, ließ diese wie unter Strom knistern. Die Härchen auf Lissas Armen standen aufrecht wie Zinnsoldaten. Schweißperlen rannen von ihrem Haaransatz den Nacken entlang zum Blusenkragen. Seitdem Kasdeya und deren Spießgesellen im Bürogebäude aufgetaucht waren, mehrten sich die Spannungen unter den Kollegen. Ein Großteil hasste die Neuankömmlinge und die mit ihnen verbundene Negativität. Die Rothaarige nutzte, wie es schien, jede Gelegenheit, um gegen Lissa zu hetzen oder Donn schöne Augen zu machen. Beides bisher zwecklos. Doch wie lange blieb es so? Hadal scherte sich wenig darum, was seine Idee der Mitarbeiteraufstockung verursachte.

Ein scharrendes Geräusch ließ sie herumfahren. Eine Tür knallte zu. Ein Windhauch, der nach faulen Eiern roch, zog an ihr vorbei. Lissa runzelte die Stirn, verharrte für einen Moment an Ort und Stelle. Das Flurlicht flackerte über ihr, malte dunkle Figuren an die Wände. Ihr Herz pochte rasant, wie im Galopp. Ein durchgehendes Pferd, so wie ihre Nerven. Verflixte Kelleretagen. Ohne Tageslicht oder Gesellschaft ging ihre Fantasie gern hier unten mit ihr durch. Andererseits bestand die Möglichkeit – nein – sie hatte keine Beweise dafür. Noch nicht. Schnell drehte sie sich um, verfolgte ihren Weg. Nach wenigen Schritten roch sie abermals Schwefel. Scharniere knarzten leise. Ihr Verfolger verließ sein Versteck. Lissa visierten den Raum am Ende des Ganges an. Die Tür stand nur angelehnt, offenbarte die Finsternis, die dahinter lauerte. Sie unterdrückte den Impuls, sich zu schütteln, schlüpfte stattdessen hinein.

Dunkelheit. Nicht ein Lichtschimmer, der ihr verriet, was dies für ein Kellerraum war. Lissa schluckte nervös. Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen, um nicht über einen Gegenstand zu stolpern. Die Arme nach vorne ausgestreckt griff sie ins Leere. Etwas schlang sich um ihren Bauch, eine Hand wurde auf ihren Mund gepresst, verhinderte, dass sie panisch aufschrie. Ihr Herz stolperte aus dem Takt. Ein bekannter Geruch stieg ihr in die Nase, beruhigte ihre abgehakte Atmung. Donn zog sie weiter, weg vom Eingang, von wo Gemurmel in einer fremden Sprache erklang.

Stoff berührte ihr Gesicht. Sie streckte die Finger danach aus. Fuhr mit ihnen an dem Gewebe entlang. Samtig weich unter ihren Fingerspitzen. Zog ihr Kollege sie hinter einen Vorhang? Sein Körper brannte heiß an ihrem Rücken, einen weiteren Schweißausbruch zur Folge. Vielleicht war es eine Idee, Donn im Winter als lebendige Heizung zu missbrauchen. Doch dafür mussten sie erst einmal Kasdeya und ihre Spießgesellen loswerden. Diese lästerten eh, sowie sie Lissa und den Sohn des Chefs zusammen sahen. Was relativ häufig vorkam, da er sie seit der Ankunft der Neuankömmlinge selten für einen Augenblick aus den Augen ließ.

„Nicht bewegen und absolut still sein", raunte er ihr ins Ohr. Seine Nähe verursachte ein Kribbeln in ihrem Bauch. Stumm lehnte sie sich an ihn, genoss seine Anwesenheit, wie er sie sanft im Arm hielt.

„Verdammt, wo ist sie nur?" Jilaiya, die einer Katze ähnlich im Gebäude herumschlich und oft irgendwo unerwartet auftauchte, schien bei der Tür zu stehen.

„Das wird Kasdeya nicht gefallen", zischte jemand anders. Lissa runzelte die Stirn. Wie sahen die beiden etwas, wenn vor ihren Augen noch tiefste Schwärze herrschte?

„Das bringt so nichts. Lass uns wieder nach oben gehen." Die kleine Schwarzhaarige klang verwirrt. „Ich frage mich nur, wie sie das macht. Sie hat doch keine besonderen Fähigkeiten, ist ein einfaches Mädchen." Donn wand seinen Arm enger um Lissas Körper, presste sie fast schon schmerzhaft an seine Brust. Die Worte der Frau schienen ihn zu verärgern, denn er zitterte. Vor Wut. Angst schloss sie aus. Die Stimmen entfernten sich, wurden immer leiser, bis sie völlig verstummten.

„Blöde Zicken", brummte ihr Kollege, lockerte endlich seinen Griff. Lissa atmete tief durch. „Wenigstens hat es geklappt. Das dürfte ihnen zu denken geben."

„Verrätst du mir jetzt, was du damit meinst?" Bereits bei der Vorbesprechung hatte er etwas angedeutet, das sie nicht verstand. Die seltsamen Vorkommnisse häuften sich in den vergangenen Tagen. Gegenstände schienen wie von selbst aufzutauchen oder zu verschwinden.

„Nur ein kleines Verwirrspiel. Mache dir darüber mal keine Gedanken. Lass es einfach nur meine Sorge sein." Etwas Weiches berührte sie an der Schläfe. Ihr Atem stockte. Hatte Donn sie dort etwa geküsst?

„Verwirrspiel. Pass nur auf, dass du mich nicht verwirrst." Sie kämpfte sich aus seiner Umklammerung frei, drehte sich zu ihm um. Just in dem Moment verschwand die Dunkelheit. Verwirrt sah sie sich um. Wo war der Vorhang hin, hinter dem sie sich gerade noch versteckt gehalten hatten? Neben ihnen war eine kahle Wand, mehr nicht. Zur anderen Seite nichts, das sie vor neugierigen Blicken abgeschirmt hätte. Verwirrspiel, ja, aber für wen war es gedacht?

Dem Tode zu naheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt