Gaslicht

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Das Licht in den altmodisch erscheinenden Lampen flackerte. Kleine Flammen, von Gas genährt, die hinter dem Glas wie Kobolde tanzten. Der Schein, den sie an die Wände warfen, ähnelte dem von Fackeln. Lissa vermisste den Geruch des offenen Feuers, doch in der alten Burg war es verboten, welche anzuzünden.

„Schade, dass wir schon abreisen müssen." Donn ließ sich neben sie auf einen Stuhl fallen. „Vater hat bereits veranlasst, dass unsere Koffer gepackt und auf der Kutsche verstaut werden."

„Als er meinte, dass er einen ganz besonderen Ort für unsere Trauung ausgesucht hat, habe ich nicht erwartet, mitten in den Karpaten zu landen." Lissa bestrich ihre zweite Brötchenhälfte mit Honig und biss herzhaft ab. „Muss ich mich mental auf weitere Überraschungen vorbereiten?"

„Ich habe keinen blassen Schimmer. Der Kutscher wird uns zur nächstgelegenen Stadt bringen. Soweit ich weiß, gibt es dort in einem nahegelegenen Stollen einen Weg in die Hölle. Allerdings habe ich heute keine Lust, den Fußmarsch dorthin auf mich zu nehmen. Meine Füße bringen mich so schon um."

„War aber auch unfair, von deinem Vater, eine Beschwörungsformel zu verwenden, die uns bis tief in die Nacht tanzen ließ." Sie nahm einen Schluck von ihrem Tee. „Ich habe nicht übel Lust, ihm dafür zur Strafe Akuma zu entziehen." Sie stellte ihre Tasse klirrend ab. „Du sagtest, es gibt dort einen Zugang zur Hölle. Erwartet er etwa, dass wir unsere Flitterwochen zwischen klagenden Seelen verbringen?"

„Nein, aber dann können wir eine Abkürzung zu unserem gebuchten Hotel nehmen." Donn zog einen Umschlag hervor und wedelte damit vor Lissas Nase herum. Grinsend beobachtete er, wie sie die darin befindliche Karte hervorzog.

„Hawaii? Zugang über einen schlafenden oder einen aktiven Vulkan?" Obwohl die Anreise etwas ungewöhnlich sein würde, freute sie sich auf einige Tage auf der Insel. Wärme, Strand und Meer, in der Gesellschaft ihres frisch angetrauten Ehemannes. Was konnte sich eine junge Frau mehr wünschen?

„Vermutlich wird uns ein schlafender Vulkankrater als Ausgang dienen. Bleibt nur die Frage, wie wir von der Stadt zum Stollen kommen werden. Fliegen fällt flach. Das Gepäck muss ja irgendwie mit", brummte Donn.

„Frage mich eh, wozu du zwei Koffer brauchst. Bei mir hat alles in einen gepasst."

„Könnte damit zusammenhängen, dass Andhaka für dich und meine Schwester für mich gepackt hat." Donn trank von seinem Traubensaft und seufzte zufrieden.

„Wieso eigentlich?" Es war ungewöhnlich, dass ein Mann für eine Frau einpackte. Lissa schnappte sich ein weiteres Brötchen.

„Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass du schwanger bist", kommentierte Donn ihr Frühstück.

„Darauf kann dein Vater nach diesem Tanzmarathon noch lange warten. Ich habe gestern so viel Energie verbrannt, wie sonst in einer Woche. Aber nochmals, wieso hat Cassandra für dich gepackt?"

„Verlorene Wette. Ich vermute, dass Andhaka sicherstellen wollte, dass du in den Flitterwochen noch etwas anderes zu tragen dabei hast, als Dessous."

„Dafür im Tausch hat er bei ihr vermutlich sämtliche Kleidung, die zu viel verhüllt, aus dem Kleiderschrank verbannt." Lissa kicherte. „Seitdem Liliths Bauch eine richtige Kugel ist, versucht er meine liebe Schwägerin davon zu überzeugen, ihre Abwehrhaltung in Bezug auf eine Schwangerschaft aufzugeben."

„Eher friert die Hölle zu", murmelte Donn. Er warf einen scharfen Blick auf das an der Wand flackernde Gaslicht. „Sag mal, findest du es nicht komisch, dass wir mittlerweile die einzigen Gäste im Frühstückssaal sind?"

„Möchtest du damit andeuten, dass ich zu lange herum trödele? Kaum verheiratet und schon wird er frech." Lissa schob die Unterlippe vor und warf ihrem Mann einen tieftraurigen Blick zu. Dann kicherte sie erneut. „Ich kann mir gut vorstellen, dass dein Vater alle bestochen hat, damit sie uns etwas Zweisamkeit gönnen und eher abhauen. Was meinst du, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass gleich alle Gaslichter gleichzeitig ausgehen, weil jemand den Gashahn zudreht?"

„Einhundert Prozent. Vielleicht sollten wir uns mal einen großen Tisch suchen, der schon freigeräumt wurde." Er warf einen Blick auf ihr angebissenes Brötchen. „Der Schmierkram bleibt aber hier."

„Ach, aber der andere Schmierkram ist erlaubt. Warum habe ich dich auch gleich wieder geheiratet?"

„Vermutlich wegen des Steuersparmodells." Donn trank seinen Saft aus und zog Lissa von ihrem Stuhl hoch. „Lass uns mal zur Kutsche gehen, sonst stehen wir hier wirklich gleich im Dunkeln. Zuzutrauen wäre es meinem Vater."

„Wäre nicht das erste Mal, dass er einen Trick anwendet, um seinen Dickkopf durchzusetzen. Vielleicht sollten wir ihm mal ein Diadem aufsetzen, mit dem wir sein Handeln lenken können."

„Und genau deswegen habe ich dich geheiratet." Er hob sie hoch und trug sie wie eine Braut nach draußen. „Weil du klug, wunderschön und absolut einzigartig bist."

Lächelnd lehnte Lissa sich an ihren Ehemann. Seit den anfänglichen Problemen schienen Jahrhunderte vergangen. Eine Zeit, in der sie den Engel des Todes trotz seiner Macken lieben gelernt hatte. Mit ihm wollte sie alt werden. Sterben kam ja nicht mehr in Frage.

Dem Tode zu naheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt