Pustekuchen

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So viel zum Thema, das Problem mit Donn wäre beseitigt. Lissa starrte regungslos auf den Bildschirm, blinzelte vereinzelte Tränen weg. Abermals türmte sich die Arbeit auf ihrem Schreibtisch, während er sich irgendwo mit einer der hübschen Angestellten der Firma herumtrieb.

„Ich habe vergangene Nacht noch an einem Auftrag meines Vaters gearbeitet", äffte sie ihn leise schniefend nach. „Ich würde mich gerne hinlegen, kannst du meinen Teil übernehmen?" Was hatte sie geantwortet? Das dumme Huhn hatte zugestimmt, den Worten des aufgeblasenen Gockels Glauben geschenkt.

„Wie kann man nur so dämlich sein?", schimpfte sie weiter. „Und warum das alles? Weil dieses manipulative Stück Scheiße in den vergangenen Tagen nett war." Sie trat unter dem Tisch gegen den Rollcontainer, der metallisch schepperte. Wenn sie den Mistkerl nur in die Finger bekäme! Lissa stand auf, umrundete die Schreibtische. Auf seinem lagen fein säuberlich die Grafik-Tablets und ein Zeichenblock. Der Bleistift war heruntergerollt, versteckte sich halb unter der Tastatur. Donn zeichnete in den vergangenen Tagen viel per Hand, weigerte sich zu ihrem Leidwesen dagegen, ihr etwas zu zeigen. Sie leckte sich über die Lippen, sah verstohlen zur Tür, die seit den frühen Morgenstunden nicht mehr geöffnet worden war. Weil der feine Herr angeblich ins Bett gegangen war. Doch Chil hatte ihr vor wenigen Minuten eine Nachricht geschickt, im Anhang ein Foto von Donn mit einer langbeinigen Brünette, deren Rock nur dürftig ihren Schritt bedeckte.

„Möchtest du heute mit mir die Mittagspause verbringen? Der Sohn vom Chef hat sich schon einen Nachtisch ausgesucht", las sie die Mitteilung noch einmal vor. Nachtisch. Ihr war klar, worauf er anspielte. Die Offenheit, mit der in diesem Unternehmen über solche Themen gesprochen wurde, hatten sie anfangs schockiert. Doch mittlerweile schob sie die Besessenheit einiger Kollegen auf den Fakt, dass außer ihr alle Mitarbeiter absolut hinreißend aussahen. Kein Wunder also, dass die Hormone bei vielen verrückt spielten. Unglücklicherweise änderte das nichts an ihrer Situation, heute eben diesem Personenkreis in der Kantine allein gegenübertreten zu müssen. Cassandra hatte sich freigenommen, weil sie im Gegensatz zu Donn tatsächlich in der Nacht an einer Aufgabe gearbeitet hatte.

„Armleuchter", murmelte Lissa, ließ offen, wen sie damit meinte. Wäre Chil nicht genauso hinter Frauen hinterher wie ihr Kollege, hätte sie heute aus Trotz das Angebot angenommen. Schon allein, weil Donn regelrecht verärgert auf die Avancen reagierte, die der andere Mann ihr machte. Fast schon eifersüchtig. Dabei war ihr bewusst, dass sie eben diese verabscheute. Chil würde bei einem gemeinsamen Mittagessen nur einen neuen Versuch starten, sie für sich zu gewinnen. Ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht. Sie griff zum Telefon, wählte die Kurzwahl.

„Andha? Begleitest du mich bitte heute zu Tisch? Cassandra ist nicht da und Chil denkt noch immer, ich würde nur auf ihn warten." Gebannt lauschte sie der Antwort des breitschultrigen Mannes, der, obwohl er ständig uninteressiert wirkte, alles um sich herum aufnahm wie ein Schwamm. Ihre Kollegin liebte seine Gegenwart und seine rätselhafte Ausdrucksweise. Lissa gewöhnte sich langsam daran, obgleich sie meist nicht einmal die Hälfte von dem verstand, was er sagte. Für sie zählte mehr, dass er ihr die nervtötenden Kerle vom Hals hielt, denn mit Andhaka legte sich nicht mal Donn an. Sie lief zum Lift, fuhr hinunter zur Kantine, an deren Eingang Andha bereits auf sie wartete. Stumm musterte er ihr Gesicht, nickte nur. Einen Arm um ihren Rücken geschlungen, führte er sie zur Essensausgabe. Sie schmunzelte. War er ihr Begleiter, ließen die anderen Wartenden sie ohne einen Ton von sich zu geben vor. Dabei wirkte er auf sie gar nicht wie ein Schlägertyp, vor dem sich alle fürchteten. Selbst vor Donn hatten sie nicht solch einen Respekt.

„Einmal Spaghetti und einen Seelentröster." Flaga stellte zwei Teller auf den Tresen, die Andhaka blitzschnell packte. Mit einer Kopfbewegung forderte er Lissa auf, ihm zu ihrem typischen Sitzplatz zu begleiten. Still setzte sie sich, starrte auf den dampfenden Kuchen, den er vor ihr abstellte.

„Iss den Seelentröster." Der Mann wies mit der Gabel auf den Schokoladenkuchen, aus dem etwas flüssige Schokolade hervorquoll. „Weißt du, wie wir ihn auch nennen, weil er heiß serviert wird?" Verschwörerisch beugte er sich vor, wartete auf eine Reaktion. Sie zuckte mit den Schultern, pikste in das Backwerk hinein. Heißer Dampf stieg auf, trug ihr den süßlichen Geruch zu.

„Keine Ahnung." Sie wandte den Blick von ihrem Mittagessen nicht ab. Woher wusste Flaga immer, was sie in welchem Moment benötigte? Die ältere Frau hatte ein Gespür für Emotionen. Lissas Magen knurrte verlangend. Sachte pustete sie, um die größte Hitze zu vertreiben. „Wie nennt ihr ihn denn?", fragte sie nach dem ersten Bissen, der ihr auf der Zunge verging. Ließ sie den Ärger über Donn und sein wechselhaftes Wesen fast vergessen. Der Verräter, von dem sie angenommen hatte, er würde sie nicht mehr abfällig behandeln. Ein Trugschluss.

„Pustekuchen." Einen Moment sah sie Andha verwirrt an, dann lachten beide gleichzeitig los. Pustekuchen beschrieb es perfekt und nicht nur das Backwerk.

Dem Tode zu naheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt