„Lass uns noch ein wenig spazieren gehen. Es ist so ein schöner Herbsttag." Andhaka parkte den Wagen vor dem Haus von Lissas Eltern. Er hatte ihren persönlichen Chauffeur verscheucht, sie trotz ihres Protests hochgehoben und zu seinem eigenen Auto getragen. Seit dem Mittag leistete er ihr Gesellschaft, war immer nur kurz aus ihrem Büro verschwunden, wenn jemand Probleme mit einer Lampe hatte. Was relativ selten vorkam, obwohl es ein so riesiges Unternehmen war. Er war kein simpler Techniker, wählte seine Worte mit Bedacht und verletzte nie eine Frau, im Gegensatz zum größten Übel der Firma, mit dem sie sich normalerweise den Raum teilte. Donn war nicht wieder aufgetaucht, hatte sich den gesamten Tag vor Arbeit gedrückt.
„Einverstanden." Sie fühlte sich geborgen in der Gesellschaft des breitschultrigen Mannes, der wie ein großer Bruder um ihr Wohlergehen besorgt war. „Der Park ist allerdings nichts Besonderes. Du bist bestimmt Besseres gewöhnt."
„Gartenbau, unnatürlich geschnittene Büsche und Zuchtblumen machen keinen Park aus. Vielleicht für die Yuppies." Er stieg aus, umrundete den Wagen und öffnete ihr die Tür. „Wenn ich bitten dürfte." Galant hielt er seinen Arm hin, damit sie sich einhakte. Lissa erwischte sich bei dem Gedanken, warum nicht alle Männer so waren wie er. Ein sich windendes Tattoo, eisblaue Augen schlichen sich wie Diebe in ihr Bewusstsein. Donn stahl sich immer mehr in ihr Herz, stellte sie schluckend fest. Jeden Kerl, der ihr in der Firma begegnete, verglich sie insgeheim mit dem Bastard, für den Frauen nur Spielzeuge waren. Sie schüttelte den Kopf. Cassandra hatte recht. Donn taugte nichts und verdiente ihre Aufmerksamkeit nicht. Tief einatmend schaute sie sich um.
„Zeigst du mir deinen Lieblingsplatz?" Andhakas warme Stimme holte sie zurück ins Hier und Jetzt. Erwartungsvoll sah er sie an, zeigte auf den Weg, dem sie seit ihrer Kindheit unzählige Male gefolgt war. Der Pfad, der zu der einsamen Bank bei der Wiese führte. Wo sie Donn zum ersten Mal begegnet war und sich mit ihm über den Mond und ihre Leidenschaft unterhalten hatte. Unwissend darüber, was für ein Mistkerl er in Wirklichkeit war. Doch sie weigerte sich, ihn ihr Leben bestimmen zu lassen.
„Gern. Komm mit." Sie zog Andha vorwärts, ein für die Parkbesucher amüsanter Anblick, wie sie den riesigen Kerl hinter sich her zerrte. Verhaltenes Lachen, ein Schmunzeln. Die älteren Herrschaften, die in den Parkanlagen ein wenig Ruhe suchten, schüttelten lächelnd den Kopf. Lissa unterdrückte ein Kichern. Für die Menschen sah es sicher so aus, als wenn sie und Andhaka ein Pärchen wären, bei dem sie den stürmischen Part spielte. Vor gar nicht so langer Zeit hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht, als in Ruhe für das College zu lernen, damit sie später genug Geld verdiente, um ihre Eltern zu unterstützen. Jetzt hatte sie einen Job und dachte an einen Freund. Schon irgendwie schräg. Kopfschüttelnd lief sie zu der Wiese, die im Frühling und Sommer herrlich nach Blumen und Wildkräutern duftete.
„Es gefällt mir hier." Andha löste sich aus Lissas Griff, drehte sich einmal im Kreis. Sein Blick fiel auf einige Bäume, die hinter der alten verwitterten Holzbank standen. „Rotbuchen." Seine Miene hellte sich auf. So begeistert gestrahlt hatte er noch nie. Das breite Lächeln ein krasser Gegensatz zu seinem normalen, desinteressierten Gesichtsausdruck, der es schier unmöglich machte, seine Gedanken zu erraten. Jetzt schien er eine völlig andere Person zu sein. Stirnrunzelnd beobachtete sie, wie er den Boden bei den Bäumen absuchte, sich zwischendurch nach etwas bückte. Sie setzte sich hin, gönnte ihm seinen Spaß.
„Weißt du, wie stolz die Deutschen auf ihre Eichen sind? Urdeutsche Bäume und so?" Sie nickte. Davon hatte sie einmal etwas gehört. War es bei einer Dokumentation über den Zweiten Weltkrieg? Ach egal. Sie schaute wieder zu dem Mann, der jungenhaft grinsend auf sie zu lief. „Die eigentlichen urdeutschen Bäume sind allerdings die Rotbuchen. Sie würden einen Großteil der Wälder ausmachen, hätten die Menschen nicht in den natürlichen Lauf der Natur eingegriffen." Er öffnete seine zuvor fest verschlossene Hand. „Bucheckern. Die nahrhaften Früchte dieser Buchenart. Probiere mal eine." Er bohrte seinen Fingernagel in die kleine dreieckige Nuss, pulte sorgfältig mit seinen Pranken die Schale ab. „Na los, nimm. Eine wird dich schon nicht umbringen."
„Wie meinst du das?" Sie zog den Arm, den sie gerade zu seiner Hand ausgestreckt hatte, blitzartig zurück.
„Große unbehandelte Mengen können wie vieles aus der Natur giftig sein", erklärte er schmunzelnd. „Einzelne Früchte sind kein Problem. Größere Mengen sollte man allerdings erhitzen, dann verschwinden die Giftstoffe. Funktioniert sehr gut durch Rösten. Man kann Bucheckern zu Mehl verarbeiten, oder geröstet über einen Obstsalat streuen. Gibt ein herrlich nussiges Aroma."
„Wenn es ums Essen geht, weißt du verdammt viel." Lissa schmunzelte, nahm ihm fast schon ehrfürchtig die Nuss ab und steckte sie sich in den Mund. Andha hatte nicht zu viel versprochen. Sie schmeckte lecker. „Woher weißt du solche Dinge? Das lernt man nicht gerade in der Schule."
„MeineGroßmutter war eine Hexe. Sie hat mir viel beigebracht." Er seufzte leise.„Aber von ihr erzähle ich dir ein anderes Mal."
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Dem Tode zu nahe
ParanormalEin Mädchen - ein Job. Das Unternehmen? Rätselhaft bis skurril. Die Kollegen? Wie den Covern von Modezeitschriften entsprungen. Der Chef? Zwischen unheimlich und charmant. Der direkte Kollege ein Arsch und obendrein Sohn des Chefs. Was kann da schon...