Schnäppchenjagd

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„Guck mal, ist das nicht toll?" Cassandra zerrte Lissa zum nächsten Schaufenster. Die Ladenbesitzer der Stadt hatten zum Stadtgeburtstag die Preise für ausgewählte Artikel gesenkt. Die Freundin damit in einen Kaufrausch versetzt.

„Hört das heute noch einmal auf?" Andhaka, der wenige Schritte hinter ihnen lief, seufzte leise. Lissa verstand seinen Frust, war er doch über und über mit Einkaufstüten bepackt.

„Soll ich dir etwas abnehmen?", bot sie ihm an. Seit dem Vorfall mit Donn im Büro nutzte sie seinen kleinen Raum, um ihre Arbeit zu erledigen. Fürsorglich schirmte er alles andere von ihr ab. Selbst der Sohn des Chefs flog im hohen Bogen raus, wenn er dort auftauchte. An diesem Tag wortwörtlich, als er kurz vor neun Uhr nonchalant in den Raum spazierte und sie mit Nachdruck aufgefordert hatte, zurück nach oben zu kehren. Gleich darauf war er unsanft auf dem harten Linoleumboden des Flurs gelandet. Andha hatte kurzen Prozess mit ihm gemacht.

„Nein, das schafft der schon", flötete Cassandra vom Eingang des Geschäfts aus. „Oder bist du etwa so schwach wie Gil?" Der Mann brummte etwas in der fremden Sprache, die so einige Kollegen manchmal auf der Arbeit nutzten. Lissa konnte nur ahnen, dass es nichts allzu Freundliches war. Trotz seiner auffallenden Verärgerung folgte er seiner Freundin ins Geschäft.

„Da hat sie ihn aber in seiner Ehre gekränkt", murmelte Lissa, stapfte dann ebenfalls ins Ladeninnere, das dem eines Trödelladens glich. Hatten im Schaufenster noch antike Möbel wie alte Hocker oder Sekretäre, beschienen von gusseisernen Lampen, das Interesse geweckt, fand man im Innern Kinkerlitzchen. Vitrinen mit Schmuckstücken, Regale mit Nippes, einzelne Überseekoffer, über die sie fast stolperte und von oben herabhängende Ketten und Tücher, die ihr ins Gesicht schlugen. Sie kämpfte sich weiter vor, entdeckte auf einem großen Esstisch eine Vielzahl an chinesischem Porzellan, um das sie mit einem Bogen herumlief. Wie Andhaka, ohne ein Scherbenmeer zu verursachen, daran vorbeigekommen war, kam ihr wie ein unlösbares Rätsel vor. Dennoch stand er stoisch nur wenige Meter von ihr entfernt und wartete geduldig auf Cassandra, die sich mit dem Verkäufer über einige alte Bücher unterhielt.

„Ich habe genau das Richtige für dich", krächzte er mit einer brüchigen Stimme, die sein Aussehen um einiges überstieg. Er klang wie jemand, der Jahrhunderte überlebt hatte. Nicht wie ein etwa sechzigjähriger Mann mit ergrauten Schläfen, der vor ihr stand. Seine Augen hatten etwas Unheimliches an sich. Wie ein Raubvogel ließ er seinen Blick umhergleiten, bis er auf Lissa zur Ruhe kam. „Und was darf es für dich sein?" Schneller, als sie ihm für sein Alter zugetraut hatte, und mit der Geschmeidigkeit eines Panthers, schoss er auf sie zu. Nur mit Mühe unterdrückte sie einen Schrei. Wie angewurzelt verharrte sie an ihrem Platz, wartete auf das Unvermeidliche. Aus dem Augenwinkel sah sie Schatten aus unterschiedlichen Richtungen auf sie zu schnellen. Wie Schlangen glitten sie über den alten Holzboden.

„Lass gut sein, Deimos. Sie ist nicht für dich hier." Andhaka ließ die Einkaufstüten fallen und zog den Mann von ihr weg. Doch sein Blick ruhte weiter auf ihr.

„Bist du sicher? Ich hätte da etwas für sie." Der Alte murmelte etwas, dann wandte er sich ab und kramte in den Fächern eines uralten Apothekerschranks. „Da ist es ja." Triumphierend zog er eine Kette heraus. Ein in Silber eingefasster Rubin. Stimmen wisperten um Lissa herum, forderten sie auf, das Schmuckstück anzunehmen. Blind gehorchte sie. Deimos ließ es in ihre ausgestreckten Hände gleiten. „Nur fünf Dollar, weil du es bist."

„Einverstanden." Wie um ihre Worte zu bekräftigen, nickte sie zustimmend. Vorsichtig fuhr sie mit einer Fingerspitze die Fassung nach. Rosen, deren Blüten und Blätter filigran herausgearbeitet waren, und die sich um das Juwel rankten. Ungefährlich, im Gegensatz zu den Rosensträuchern, die Schuld am Tod ihrer Großmutter waren. Kurzentschlossen hängte sie sich die Kette um.

„Sie passt zu dir. Komm, mein Kind." Willig folgte sie dem Verkäufer zur alten Registrierkasse, die auf einem langgestreckten Möbelstück ruhte, und händigte dem Mann den abgesprochenen Betrag aus.

„Ich hätte auch, was ich gesucht habe." Cassandra gähnte neben ihr. „Wir sollten jetzt nach Hause zurückkehren. Die Schnäppchenjagd war anstrengend." Ihr Blick fiel auf das Schmuckstück, ihre Mundwinkel zuckten nach oben. Lissa schenkte dem keine Beachtung. Wie damals, als sie das Diadem trug, überkam sie eine enorme Tranquillität. Die Stimmen flüsterten ihr weiter Sätze zu, die mal mehr, mal weniger Sinn ergaben. Das Pochen hinter der Stirn, das sie seit dem ersten Aufeinandertreffen mit Hadal und seinen Mitarbeitern quälte, kämpfte sich in den Vordergrund, ließ das Wispern verstummen. Ihre Beine zitterten, doch kurz bevor sie unter ihrem Körper nachgaben, hob Andhaka sie hoch. Er trug sie aus dem Geschäft. Cassandras Einkaufstüten achtlos am Boden liegenlassend.

„Die Schnäppchenjagd war wohl etwas zu viel für dich." Ihr entging nicht, wie er auf das Schmuckstück starrte, die Stirn kraus, die Lippen aufeinandergepresst. Doch sie verlor kein Wort darüber. Eine lähmende Müdigkeit befiel ihre Glieder und sie kuschelte sich an den Mann, der sie zum Wagen brachte. „Warte hier. Cassandra schafft es nicht alleine, ihre Einkäufe herzubringen." Er setzte sie auf die Rückbank, ließ sie mit ihren Gedanken zurück.

„Die Schnäppchenjagd war wohl wirklich etwas viel." Sie berührte ihre Stirn, die wie ein Holzofen glühte. Kurz darauf fiel sie in einen tiefen Schlaf.

Dem Tode zu naheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt