Wunschtraum

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Lissa wachte erholt in dem großen weichen Bett auf. Sie reckte sich und gähnte ausgiebig. Dann rollte sie sich auf die Seite.

„Auch mal wach, Sonnenschein?" Sie hielt abrupt in der Bewegung inne. Wieso war Andhaka noch hier? Sie linste zum Sofa, sah den großen Mann auf seinem Smartphone herumtippen.

„Was machst du hier?" Sie zog die Decke höher. Wusste Cassandra, dass ihr Angebeteter sich bei ihr herumtrieb?

„Ich schreibe mit einigen Kollegen, die sich in der Teufelshöhle befinden." Andha schaute hoch. Sein Blick fiel auf ihre Haare. Langsam zogen sich seine Mundwinkel nach oben, einer etwas höher als der andere. Ein fieses schiefes Grinsen, das dämonisch und gleichzeitig anziehend wirkte. „Um genau zu sein, habe ich Donn gerade damit aufgezogen, dass du spärlich bekleidet vor mir liegst." Er linste auf sein Smartphone. „Du hast noch etwas fünfzehn Minuten, dann müsste er hier auftauchen."

„Was hast du?" Sie sprang aus dem Bett, hastete zu dem kleinen Bad. „Und wieso kommt er überhaupt her?" Lissa streifte das Nachthemd ab, stieg unter die Dusche.

„Nachdem ihr vergangene Nacht Hals über Kopf aus dem Club verschwunden seid und er die restliche Zeit mit dir allein verbracht hat, scheint er ein wenig besitzergreifend zu sein." Andha zuckte mit den Achseln, sein Gesichtsausdruck wechselte wieder zu der unergründlichen Miene, die er meist auf der Arbeit zur Schau trug. „Bist du dir sicher, dass du keine saubere Kleidung mit reinnehmen willst?", rief er ihr zu, als das erste warme Wasser auf sie hinunter prasselte. Shit, das hatte sie völlig vergessen. Musste sie sich halt schneller waschen und dann mit Handtuch um den Körper einige Kleidungsstücke aus dem Schrank holen.

„Ich beeile mich", schrie sie, um das Rauschen zu übertönen.

„Nicht notwendig." Andha öffnete die Tür nur ein Stück, warf Unterwäsche, Shirt und Hose auf das Waschbecken. „Nichts zu danken. Ich verschwinde mal lieber, bevor der Tod wie ein Racheengel über mich kommt." Gleich darauf schlug die Zimmertür zu. Lissa schüttelte den Kopf. Männer. Wer sollte die verstehen?

Sie kämpfte gerade auf einem Bein hüpfend mit der zweiten Socke, als die Tür zu ihrem Zimmer mit einem lauten Knall gegen die Wand prallte. Innerlich fluchend unterdrückte sie eine Schimpftirade. Der Kerl raubte ihr noch den letzten Nerv.

„Wo ist der Arsch?" Donns Stimme donnerte wie ein Gewitter, das genau über einem thronte, durch die Räumlichkeiten.

„Den hast du erfolgreich vertrieben. Stinkst vermutlich noch zu sehr nach Tod." Ihr gefiel die Analogie, die Andhaka verwendet hatte. Breit grinsend streifte sie die widerspenstige Socke über. Die Badezimmertür flog auf, verfehlte sie nur um wenige Zentimeter.

„Was hast du gerade gesagt?" Donns Stimme passte nicht zu seinen Worten. Wieso war sie sanft? Warum hatte er ihr die Frage nicht entgegengeschrien? Ihr Kollege trat auf sie zu, schlang einen Arm um ihre Taille und zog sie an seine Brust. „Hast du gut geschlafen?" Mit seinen eisblauen Augen suchte er ihr Gesicht nach Anzeichen von Müdigkeit ab. Oder lauerte etwas anderes in den Eisseen, die sie in gefährliche Tiefen zu ziehen drohten? Schnell wandte Lissa den Blick ab. Ihr Herz klopfte wild in ihrer Brust, wie ein durchgehendes Pferd schien es davon zu galoppieren. Sie befeuchtete mit der Zungenspitze ihre Lippen und räusperte sich.

„Was hatte es eigentlich mit diesem seltsamen Spiel auf sich?" Sie versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien. Doch statt mehr Raum zu erhalten, schlang er den zweiten Arm ebenfalls um sie.

„Das würdest du wohl gern erfahren, Engel." Er beugte sich vor, seine Lippen streiften flüchtig ihr Ohr. „Lass es mich so sagen, du hast dir jegliches Recht verbaut, selbst zu kündigen. Solange mein Vater dich nicht gehen lassen will, wirst du bei der Firma bleiben. Über den Rest reden wir ein anderes Mal. Beantworte mir dafür meine Frage. Was sollte deiner Meinung nach mit Menschen wie dem Brandstifter passieren?" Lissa zog die Augenbrauen hoch. Auf was für eine Äußerung hoffte er? Sollte sie ehrlich sagen, was sie solchen Personen wünschte? Oder eher eine diplomatische, wenn auch gelogene Antwort? Zweiteres erschien ihr am klügsten. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihre Stirn. Zischend brachte sie eine Hand an den Kopf. Donn summte leise, wiegte sie in seinen Armen, bis der Schmerz verebbte.

„Ich hoffe, dass der Tod diese Mistkerle holt", antwortete sie wahrheitsgemäß. „Sie sollen für ihre Taten büßen. Doch leider ist das nur ein törichter, unsinniger Wunschtraum." Sie seufzte leise, lehnte den Kopf an Donns Schulter.

„Wieso nur ein Wunschtraum? Es ist viel mehr möglich, als es auf den ersten Anblick scheint. Den Brandstifter von gestern hat es erwischt. Nachdem er den Brand gelegt hatte, versuchte er, über die Feuerleiter zu fliehen. Ein Fehltritt und er stürzte die Stufen hinunter. Innere Blutungen, ein zertrümmertes Bein. Seine Lungen füllten sich schmerzhaft langsam mit Flüssigkeit, bis er jämmerlich erstickte. Wie seine Opfer auf der Palliativstation. Nur dass diese schon vorher teils sehnsüchtig auf den Tod warteten, seinen Namen in die Dunkelheit flüsterten, wenn sie sich allein wähnten." Ein eisiger Schauer lief über Lissas Rücken. Der Brandstifter war genau so gestorben, wie sie es sich ausgemalt hatte. Doch wie war das möglich? Träumte sie noch? War dies alles eine Illusion, ein törichter Wunschtraum?

Dem Tode zu naheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt