Donn wühlte sich voller Begeisterung durch eine Schublade ihres Schreibtisches. Zwischendurch stieß er immer mal wieder leise Juchzer aus, wenn er den ein oder anderen Gegenstand hervorkramte und auf der Schreibtischunterlage ablegte. Stirnrunzelnd betrachtete Lissa das Treiben. Es fehlte nur noch, dass ihr Kollege und Sohn ihres Arbeitgebers voller Enthusiasmus einen Freudentanz aufführte.
„Macht es dir Spaß, das Eigentum Fremder zu durchforsten?" Sie schob missbilligend die Unterlippe vor, als Donn kurz seine Aufmerksamkeit von der Schublade zu ihr verlagerte. „Du findest hier keine Schätze, nichts Wertvolles."
„Machst du Witze? Diese Gegenstände sagen mehr über dich aus als tausend Worte. So lerne ich meine Lieblingskollegin gleich noch ein wenig besser kennen." Er wandte sich wieder dem Herumkramen zu. Lieblingskollegin? Lissa bemerkte, wie ihr die Wärme ins Gesicht schoss. Ihre Wangen glühten womöglich wie zwei überreife Tomaten. Meinte Donn das ernst oder veralberte er sie? In den vergangenen Tagen hatte er ihr keinen Grund für Zweifel an seiner Aufrichtigkeit geliefert. Stattdessen half er ihr gegen Kasdeya und deren Spießgesellen, die sich immer neue Gemeinheiten einfallen ließen. Manchmal benahm er sich, als ob er ihr fester Freund wäre. Was dachte sie da nur? Ihr Gesicht brannte noch heißer. Rückwärts lief sie zur Zimmertür. Schnell huschte sie hinaus auf den schmalen Flur, verschwand im angrenzenden winzigen Bad, das nur ein Waschbecken, eine Toilette und eine Dusche beherbergte. Wie luxuriöser war da ihre Wohnung im Wohnhaus ihres Arbeitgebers. Hadal hatte ihr eine Neue zugewiesen, gleich unter dem Penthouse von Donn, der seitdem noch regelmäßiger bei ihr ein und ausging. Erst zu ihrem Unmut, doch mittlerweile gefiel es ihr, den Schwarzhaarigen neben der Arbeitszeit so oft zu sehen. Hauptsache, er drehte nicht wieder durch und ließ sich irgendwelche Gemeinheiten einfallen. Darauf spekulierte Kasdeya, die Lissa heimlich als Dämonin bezeichnete. Je länger sie die Frau kannte, desto mehr verabscheute sie diese.
„Schade, dass Mama und Papa nicht solch einen Luxus genießen dürfen wie ich", murmelte sie. Lissa riskierte einen Blick in den Spiegel. Glühende Wangen, leuchtende Augen. Warum reagierte sie nur so auf ihren Kollegen? Oft kitzelte es in seiner Gegenwart in ihrem Bauch. Unscheinbaren Berührungen maß sie Unmengen an Bedeutung zu. Was sein Vater dazu sagte, dass sie sich verliebt hatte, statt Donn auf den rechten Pfad zu bringen? Denn wenn sie ehrlich zu sich selbst war, verfiel sie ihm mit jedem Tag mehr. Seufzend drehte sie den Wasserhahn auf, zuckte beim quietschenden Geräusch, das darauf folgte, zusammen. Polternd und gurgelnd bahnte sich das Wasser den Weg durch die alten, viel zu engen Leitungen. Was gäbe sie für ein wenig Luxus für ihre Eltern!
„Ach hier steckst du." Donn steckte den Kopf zu Tür hinein. Das schummrige Badezimmerlicht warf einen unheilvollen Schatten auf die Tätowierung in seinem Gesicht. Die Linien schienen wieder wie Schlangen über seine Haut zu gleiten. Ein Trugbild, davon war sie überzeugt. Dennoch war es unheimlich. Es warf sie immer aus der Bahn, wenn sie es bemerkte. An manchen Tagen kam es ihr wie eine stille Warnung vor. So wie das gelegentliche rote Aufblitzen seiner Augen oder die seines Vaters. Meist redete sie sich ein, dass die Iriden beider Männer zu durchlässig waren und die Blutgefäße der Augäpfel hindurchschimmerten. Die einzige logische Erklärung, die sie bisher gefunden hatte. „Du siehst müde aus. Wir sollten für heute Schluss machen und zurück zum Wohnhaus fahren." Er verschwand so leise, wie er aufgetaucht war. Lissa seufzte abermals, wusch sich mit eiskaltem Wasser das Gesicht. Es kühlte das Brennen auf eine angenehmere Temperatur hinunter. Erfrischt lief sie zurück in ihr Zimmer, wo ihr Kollege mit einem prall gefüllten Rucksack auf sie wartete.
„Wir können. Ich möchte nur noch kurz mit meinen Eltern reden." Ihre Stimme versagte zum Ende hin. Donn nickte, folgte ihr schweigend die Treppe hinunter, die unter ihren Schritten ächzte. Er hielt sich im Hintergrund, als Lissa sich erst von ihrer Mutter, dann von ihrem Vater verabschiedete. Auch ignorierte er, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten, sowie beide draußen auf dem Bürgersteig standen. Stattdessen hielt er ihr galant die Beifahrertür auf, bevor er den Rucksack sicher verstaute und sich hinter das Lenkrad setzte. Respektvoll, zuvorkommend. Das Gegenteil von dem Mann, der sie damals barsch in der Firma darauf hingewiesen hatte, dass sie nicht dorthin gehörte.
„Danke", murmelte sie, als er den Wagen in die Tiefgarage des Wohnturms steuerte.
„Da nicht für", gab er ebenso leise zurück.
„Was hast du da eigentlich eingepackt, aus meinem Zimmer mitgenommen? Das ist doch alles Plunder."
„Deine Habseligkeiten sind kein Plunder. Es sind Erinnerungsstücke, Andenken an eine schöne Zeit. Du wirst schon sehen. Aber nicht heute." Er parkte das Fahrzeug auf seinem gewohnten Platz. „Heute reden wir nur noch ein wenig, dann gehst du frühzeitig schlafen. Morgen ist auch noch ein Tag."
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Dem Tode zu nahe
ParanormalEin Mädchen - ein Job. Das Unternehmen? Rätselhaft bis skurril. Die Kollegen? Wie den Covern von Modezeitschriften entsprungen. Der Chef? Zwischen unheimlich und charmant. Der direkte Kollege ein Arsch und obendrein Sohn des Chefs. Was kann da schon...