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Der Protagonist hat das Haus heute nicht verlassen, außer um auf seinem Balkon die Wäsche auf zu hängen. Er findet aber nicht, dass das als "Haus verlassen" gezählt werden kann. Dafür sind die Kopfschmerzen weg, also lag es wohl wirklich an der Sonne, die ihm tagelang auf den Kopf schien.

Manchmal bereut der Protagonist, sich das Ziel gesetzt zu haben, jeden Tag 1000 Wörter zu schreiben. Das kann viel schwieriger sein als man denkt, vor allem wenn man fast nichts am Tag erlebt hat. Aber es sollte von der Zahl zu den 100 Tagen passen und nur 100 Wörter pro Tag zu schreiben, wäre wiederum sehr wenig. Da sind wir ja jetzt schon drüber.

Zum Frühstück gab es wieder zwei Aufbackbrötchen und ein Rührei. Aus praktischen Gründen hat der Protagonist direkt alle restlichen Brötchen mit gebacken. Er würde morgen nicht so viel Zeit haben zwischen Vorstellungsgespräch und der Zugfahrt, also wird es einfacher sein, alles im Voraus fertig zu haben. Noch währends des Frühstücks bekam er dann eine E-Mail, dass seine Zugverbindung ausfällt.

Normalerweise regt sich der Protagonist ganz fürchterlich über so etwas auf, die Bahn ist ja oft unzuverlässig. Aber nun versucht er, das positive zu sehen. Immerhin wurde ihm fast 24 Stunden vorher Bescheid gesagt, war es doch oft genug so, dass die Bahn so etwas erst verkündet, wenn man schon am Bahnsteig steht. Außerdem hat er jetzt etwas Zeit, um nachzudenken, wie er stattdessen fährt. Eine Option wäre Samstag, allerdings glaubt er, dass dann noch mehr Leute Bahn fahren als Freitags. Immerhin ist Pfingstwochenende und viele machen Urlaub. Sein momentaner Plan ist, dass er einfach wie gewohnt fahren wird, bis zu dem Anschluss, der nicht fährt. Dann schaut er weiter. Vielleicht gibt es einen Ersatz oder eine gute andere Strecke. Das heißt, dass sich seine Fahrt um mindestens eine Stunde verlängern wird, andererseits hatte er morgen auch nichts anderes vor und genug Proviant vorbereitet.

Die Wäsche hatte der Protagonist wie geplant vor 10 Uhr angestellt, tatsächlich schon um 7. Dadurch konnte sie kurz vor 10 bereits auf dem Balkon in der Sonne trocknen. Dazu kommt ein starker Wind, der alles nochmal schneller trocknen lässt. Mit dem Wind hat der Protagonist gerne den ganzen Tag seine Balkontür offen, denn so kommt wenigstens mal frische Luft in den Raum, befanden sich doch alle Fenster auf derselben Seite und Durchzug war nie möglich. Gegen 14 Uhr war dann das letzte Kleidungsstück trocken und zurück im Schrank verstaut.

Dabei ist dem Protagonisten auch eingefallen, dass er sich morgen für das Gespräch gut kleiden müsste. Vor allem bei gutem Wetter verzichtet er gerne auf schicke Kleidung, war sie oft eng und fest, für den Sommer quasi ungeeignet. Ihm graut es auch schon vor den Schuhen, die er sich für die Arbeit gekauft hatte, immerhin waren seine Füße gerade erst verheilt. Morgen würde er damit jedoch nicht ganz so weit laufen müssen wie beim letzten Mal. Er musste sich außerdem Gedanken über seine Frisur machen, hatte er ja ansonsten keine. Aber der Arbeitgeber ist seiner Meinung nach schickimicki und deshalb musste er morgen gut aussehen.

Putzen und Saugen ging mit Musik heute noch schneller als sonst, zumindest kam ihm das so vor. Außerdem hatte er bereits mittags die ersten Sachen zusammengesucht, die er in seinen Koffer packen wollte, sobald seine Freundin am Abend gegangen war. So hatte auch das Kofferpacken nicht lang gedauert und für morgen ist quasi alles vorbereitet (außer Dinge, die er am Morgen nochmal benötigt). Vor ihrem Besuch hatte er auch noch einmal schnell die wichtigsten Dinge über das Unternehmen gelesen, das er morgen besuchen würde. Das würde er sicher Nachts im Bett vorm Schlafen noch einmal machen. Aber der Protagonist möchte sich auch nicht zu sehr hinein steigern, sonst könnte er vor Aufregung vielleicht nicht schlafen.

Seine Freundin war heute wieder zu spät, aber er hat nichts dazu gesagt. Heute hatte sie Bienenstich mitgebracht und innerhalb kürzester Zeit die Schokomilch inhaliert. Das bereitete dem Protagonisten etwas Sorge, denn er hatte gar nicht eingeplant, noch ein anderes Getränk zu öffnen. Er wollte nicht, dass geöffnete Getränke für die Zeit, in der er weg war, im Kühlschrank stehen würden. Aber er will auch kein schlechter Gastgeber sein, also hat er noch eine Cola für sie geöffnet. Die wird er dann heute abend in sich hinein zwingen, damit nichts übrig bleibt.

Überraschenderweise ist sie sogar 30 Minuten vor abgesprochener Zeit gegangen, weil sie vorm Training noch einkaufen musste. Umso mehr Zeit hatte der Protagonist also, seine Wohnung weiter darauf vor zu bereiten, dass er für eine Woche weg war. Irgendwie kommt er mit so etwas nicht so gut klar. Immer wenn er einen Ort für längere Zeit verlassen muss, hat er das Gefühl, nie wieder zurück kommen zu können. Abends bekam er dann Beklemmungen und Panikattacken. Dabei ist ihm völlig klar, dass er in seine Wohnung zurück kommt. Es fühlt sich trotzdem immer so an, als würde er all seine Habseligkeiten zurück lassen und somit alles verlieren. Paradoxerweise vergaß er das Gefühl in dem Moment, in dem er an seinem Zielort ankam und hatte dann Beklemmungen und Panik, wenn er nach einer Woche diesen Ort verlassen müsste und zurück nachhause fährt. Es ist auch vollkommen unrelevant, wie weit das Ziel weg ist, der Protagonist leidet darunter jedes Mal.

Natürlich sollte man das auf einen Moment in der Vergangenheit zurück führen können, in den er jedes Mal zurück getriggert wurde. Der Protagonist hat auch ein paar Ideen, welche Momente das gewesen sein könnten. Aber eine Lösung für das Problem trägt sowas auch nichts bei. Deshalb hofft der Protagonist, dass er heute gut schlafen kann. Es würde ihn ja nicht nur diese seltsame Angst, sondern auch Nervosität vor dem Vorstellungsgespräch wach halten. Dabei musste er morgen unbedingt ausgeschlafen sein. Er wusste, wenn es dieses mal nicht klappen würde, würde er das Angebot seines Chefs wahrscheinlich annehmen, auch wenn er das eigentlich nicht wollte. Aber das würde besser sein als arbeitslos zu sein.

Der Protagonist berichtet morgen, wie sein Gespräch verlaufen ist und ob er die Zugfahrt geschafft hat.


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