Es ist spät, halb 12. Aber der Protagonist hat sein Kapitel nicht vergessen. Naja zugegebenermaßen schon, er hat es vergessen, weil er tagsüber viel unterwegs war, sodass er abends froh war, einfach nur auf dem Sofa zu sitzen.
Der Tag hatte mit einem Brötchen begonnen, belegt mit seinem Lieblingskäse, Havarti. Die zweite Hälfte mit Frischkäse. Seine Mutter hatte ihm immer gesagt, dass er das nicht essen soll, in dem Frischkäse wäre kaum echter Käse enthalten. Das hätte sie irgendwo in einer Sendung auf dem Dritten gesehen. Mag sein, aber der Protagonist isst diesen Käse aufgrund des Geschmacks und der Konsistenz. Nicht, weil da besonders viel echter Frischkäse drin ist. Das ist vollkommen irrelevant. Alle anderen Sorten, die sie mitgebracht hatte, um ihn von "echtem" Frischkäse zu überzeugen, waren viel zu saftig und schmeckten zu sehr nach Frischkäse. Aber so ist das, wenn man spezifische Vorstellungen von Lebensmitteln hat, man kann anderen sowas schlecht erklären, wenn sie nicht selbst ähnliche Probleme haben. Der Protagonist hat ständig Probleme mit Lebensmitteln, seit der Kindheit schon. Aber das stört ihn nicht, es wird immer erst zum Problem, wenn er mit anderen Menschen gemeinsam essen muss, die nicht so viel Verständnis haben.
Nach dem Frühstück musste er seiner Mutter helfen, die letzten Sachen vom Dachboden zu holen, die für den Sperrmüll benötigt werden. Das ging schneller und einfacher als erwartet. Sein Vater hatte gestern im Krankenhaus gewarnt, dass die Sachen teilweise zu schwer sein würden, aber er hatte dabei übertrieben. Oder er hatte seine Familie unterschätzt. Der Protagonist ist vielleicht nicht besonders groß oder stark, aber er kann auch ein paar Dinge tragen. Das hatte er bei der Arbeit schon lernen müssen, obwohl Dinge durch die Gegend tragen eigentlich kein Bestandteil seiner Aufgaben war. Es kommt dennoch oft genug vor.
Danach war es dann auch schon so weit, dass sie sich fertig machten, um zu seinem Vater zu fahren. Heute hatten sie wieder ein paar Erdbeeren dabei und Ersatz-Kleidung. Nach den ersten Tagen waren die Klamotten doch schon durchgeschwitzt, vor allem in diesen synthetischen Bettsachen. Der Protagonist konnte seinem Vater deutlich anmerken, dass er traurig darüber war, die Tage nicht mit seiner Familie verbringen zu können. Dabei waren sie ihn jeden Tag besuchen gefahren, zumindest seine Mutter war seit Mittwoch jeden Tag da gewesen und alle anderen waren jetzt auch schon zwei Mal da. Die Tante des Protagonisten hatte sich auch noch für morgen angekündigt. Es war offensichtlich, dass sein Vater sich wünschte, er würde morgen noch einmal vorbei kommen, allerdings muss der Protagonist um 13 Uhr mit dem Zug starten und Besucherzeit ist in dem Krankenhaus erst ab 15 Uhr. Hin und Rückfahrt zum Krankenhaus dauern außerdem jeweils 50 Minuten, deshalb müsste er eigentlich schon um 11 Uhr morgens vor Ort sein. Dann wären die Krankenhausleute angepisst, das waren sie nämlich schon am Donnerstag, als seine Mutter um 14:30 Uhr zu Besuch gekommen war. Man muss es nicht ausreizen.
Der Zimmernachbar seines Vaters tut ihm leid. Er war im Urlaub und hatte in der letzten Nacht einen epileptischen Anfall. Er wartet seit über einer Woche auf einen Termin im MRT. Seine Frau ist in der Zwischenzeit natürlich schon wieder nach Hause gefahren und da das etwas weiter weg liegt, hatte er in der ganzen Zeit keinen Besuch. Das ist wohl insgesamt noch halbwegs zu verkraften, aber das Problem ist eher, dass er keine saubere Kleidung mehr hat. Er musste sich schon welche vom Kleidungsgeschäft in der Nähe liefern lassen. Der Protagonist ist erstaunt, denn auch wenn man für eine Fahrt ins Krankenhaus etwa 3,5-4 Stunden benötigen würde, so wie es bei dem Zimmernachbarn der Fall ist, dennoch würde er sein Familienmitglied besuchen. Vor allem am Wochenende. Es kann wirklich langweilig sein, die ganze Zeit im Krankenhaus zu liegen und nichts zu tun zu haben. Außerdem will man sich doch auch vergewissern, dass es dem Familienmitglied gut geht, oder nicht? Aber in sowas sollte man sich nicht einmischen, wer weiß, wie die Verhältnisse dort sind. Vielleicht hatte der Zimmerbachbar auch gesagt, dass er keinen Besuch will. Immerhin hat er für Montag endlich einen Termin im MRT. Er hatte erst versucht, einen Termin bei sich Zuhause zu bekommen, damit er endlich heim kann, aber der nächste freie Termin wäre dort erst im Dezember. Es wäre wohl eine Zumutung, bis Dezember noch mit eventuellen Problemen im Gehirn durch die Gegend zu rennen. Aber diese Probleme gibt es wohl in jedem Krankenhaus.
Abends hatte seine Familie Fladenbrot mit verschiedenen Cremes gegessen, dazu hatte der Protagonist einen Grillkäse. Die anderen hatten alle verschiede Arten von Fleisch, was eben noch im Kühlschrank so offen war. Und kurz danach schauten sie fern, es lief Fußball. Warum? Sein Vater hat im Krankenhaus kein RTL und das Spiel lief aber nur auf RTL. Deshalb hat der Protagonist ihm versprochen, ihm einen persönlichen Liveticker zu machen. Der hat nicht so gut funktioniert, weil der Protagonist nicht so viel Ahnung von Fußball hat, aber auch weil sein Vater kurz nach der ersten Halbzeit eingeschlafen war. Erst gegen Ende des Spiels war er wieder aufgewacht. Aber die Geste zählt.
Weil beim Spiel fast nichts passiert ist (findet er), konnte er nebenbei weiter stricken. Die zweite Socke ist jetzt auch zur Hälfte fertig. Morgen nach der langen Zugfahrt würde er wohl nicht dazu kommen, noch weiter daran zu arbeiten. Aber er geht davon aus, dass er die zweite Socke Montag oder Dienstag Abend fertig bekommen sollte.
Die ersten wichtigen Sachen hatte der Protagonist auch schon in seinen Koffer gelegt, morgen kommt noch ein Apfel dazu und wahrscheinlich der Rest Käse. Seine Mutter backt morgens einen Kuchen, was für ihn egal ist, er mag den eh nicht. Aber sie will davon ein paar Stücke mit ins Krankenhaus nehmen, zusammen mit einer Kanne Kaffee. Es soll Zitronenkuchen geben, den mag sein Vater so gerne.
Zumindest ein Kapitel hatte er in seinem Buch gelesen, was nicht an die 50 geplanten Seiten ran kommt, aber immerhin etwas. Den Umständen entsprechend ist der Protagonist mit dem Wochenende ganz zufrieden.

DU LIEST GERADE
100 Positive Tage
RandomEine Challenge für den Protagonisten, der versuchen wird, in Tagebuchform jeden Tag nur positiv zu berichten. Der Protagonist erhofft sich dadurch eine optimistischere Einstellung und ein besseres Weltbild. Ob das klappt, sehen wir in 100 Tagen