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Heute fühlte sich der Protagonist tatsächlich kurz so, als hätte er frei. Das ist gut, denn er hatte ja gehofft, endlich mal wieder ein richtiges Wochenende zu haben. Auch wenn er seine Waschmaschine bereits um 6:30 Uhr angestellt hatte. Mit dem Frühstück hatte er sich Zeit gelassen, die Wäsche hing gegen halb 10 auch schon auf dem Balkon, der inzwischen durch die Sonne etwa 40 Grad hatte. Danach hätte er duschen gehen können, aber er wusste, dass er sicherlich mehrfach im Laufe des Tages an so einen Punkt kommen würde und jedes mal duschen zu gehen, das wäre irgendwann Wasserverschwendung.

Und da passierte es. Er wusste tatsächlich nicht, was er tun sollte. Und wenn man nicht weiß, was man tun soll, dann heißt das, dass man einfach nichts dringendes zu tun hat. Das ist, worauf er schon lange gewartet hat. Aber besonders gut fühlte sich das nicht an. Er hatte das Gefühl, er müsste sich weiter auf freie Stellen bewerben, mehr unternehmen, damit er tatsächlich einen Job bekommen würde. Er fühlte sich auch seltsam einsam, denn in den letzten Monaten, wo immer so viel zu tun gewesen ist, hatte er kaum Zeit investiert, um Menschen kennenzulernen. Die einzigen Leute, die er seit Januar getroffen hat, waren seine Freundin und seine Familie. Da er aber nicht weiß, wo er als nächstes hinziehen wird, in seiner Stadt will er eigentlich nicht bleiben, hatte er sich keine große Mühe gegeben, sozial zu sein. Das fällt ihm jetzt auf die Füße, denn er wohnt ja doch noch in dieser Stadt.

Aber davon will er sich jetzt nicht zu sehr unterkriegen lassen, denn meistens ist er sehr gerne alleine und hat selten Probleme damit, dass er keinen großen Freundeskreis hat. Wahrscheinlich wäre es eher anders herum, wenn er einen großen Freundeskreis hätte, würde er sich davon erdrückt fühlen. Die soziale Interaktion mit seinem Chef und den Kunden reichte ihm auch für gewöhnlich, danach ist er viel zu erschöpft, um sich noch sinnvoll zu unterhalten.

Weil er diese Woche noch drei Kapitel für sein Buch schreiben muss, hatte er sich mit seinem Laptop auf den Sessel gesetzt und angefangen, zu überlegen, wie er die Geschichte nun in Richtung Ende bringen könnte. Etwa 25 Seiten möchte er noch schreiben, die drei Kapitel hatte er heute geschafft. In diesen 25 Seiten muss er jetzt noch den Höhepunkt verpacken, in dem alles aufgeklärt wird, was sich in den letzten 75 Seiten aufgebaut hatte. Er findet, dass er den Weg in Richtung Schluss gut gelöst hatte, die Hautpfigur war auf eine elegante Art und Weise an den Ort gekommen, an den sie gehen musste, um das Finale zu erleben. Die drei Kapitel schrieben sich schneller als gewohnt und er hätte am liebsten noch weiter geschrieben. Aber bei dem Wetter kann man nicht nur drinnen sitzen und auf den Laptop starren, so hatte er es sich gedacht.

Da der Protagonist für das Fischerfest etwas Bargeld benötigt, er geht davon aus, dass man dort nirgendwo mit Karte zahlen kann, war er in die Stadt gegangen. Diese war wieder voll mit Touristen. Er hob sich sein Geld ab und musste dort ungewohnterweise sogar anstehen. Danach ging er zur Universitäts-Buchhandlung, welche im Hinterhof meistens einen Abschnitt mit heruntergesetzten Büchern hat. Heute jedoch nicht, denn der Hinterhof wird renoviert. Umso besser, so spart er sein Geld und eigentlich hat er auch noch genug Bücher, die er lesen muss.

Nach einem weiten Umweg durch den Stadtpark, er hatte das Gefühl, einfach mal ein bisschen zu Fuß gehen zu müssen, setzte er sich an den Hafen mit seinem finnischen Buch. Nach 10 Seiten schwitzte er jedoch so stark, die Sonne knallte so auf seine Haut, dass er entschied, nachhause zu gehen. Von gestern hatte er irgendwie einen roten Strich auf seiner Haut, Sonnenbrand, schon wieder. Er wollte es nicht ausreizen und sich da heute noch mehr verbrennen.

Wieder zuhause angekommen, bereitete er seine Tasche für den morgigen Tag vor. Man würde wohl auch ordentlich Wasser benötigen, denn es soll noch wärmer werden als heute. Danach legte er die erste Wäsche zusammen, nur zwei Hosen hängen jetzt noch auf dem Balkon, die an einigen Stellen noch nicht ganz trocken waren. Und weil er eigentlich bis Seite 100 lesen wollte, am Hafen jedoch nicht so weit gekommen war, setzte er sich nochmal zum Lesen hin. Inzwischen versteht er den Zusammenhang der Figuren und glaubt auch, dass er der Hauptgeschichte gut folgen kann.

Aber er hat auch noch etwas anderes bemerkt. Seit er die Bücher auf Finnisch liest, denkt er teilweise auf Finnisch. Nicht beabsichtigt. Aber die Worte kommen einfach in seinen Kopf, wahrscheinlich Worte, die er zuvor gelesen hatte. Eine Nacht hatte er auch schon auf Finnisch geträumt. Und das ist ein seltsames Erlebnis, das er nicht mal dann gehabt hatte, als er in Finnland gewohnt hatte. Die Sprachen, mit denen man sich umgibt, haben scheinbar eine stärkere Wirkung auf den Menschen, als der Protagonist vorher erwartet hatte. Jetzt denkt er, dass er seine Sprachfähigkeiten tatsächlich verbessert, weil ihm Worte eher einfallen und er flüssiger Sätze bilden kann (zumindest in Gedanken und Träumen).

Vor dem Abendessen suchte er ein gutes Geburtstagsgeschenk für seine Mutter, die in einem Monat Geburtstag hat. Er weiß schon genau, was er ihr schenken wird. Der Protagonist verschenkt immer nur Dinge, die er selbst gerne hätte, und die sowohl für ihn als auch für die beschenkte Person eine Bedeutung haben. Deshalb entschied er, seiner Mutter ein Geschirrhandtuch von den Hattifnatten zu schenken. Das sind Figuren aus der finnischen Kinderbuch-Serie die Mumins. Seine Mutter hatte die Fernsehserie dazu als Kind gesehen, er selbst hatte davon als Kind eine Kasette. Und sie hatte sich bei ihm beschwert, dass er ihr kein Geschirrhandtuch von den Hattifnatten mitgebracht hatte, als er das letzte mal in Finnland war. Es würde also perfekt passen, denkt er (außerdem ist das vergleichsweise teuer, sodass es als Geschenk geeignet ist).

Heute isst der Protagonist Spaghetti mit Pesto, ein neues, das er noch nie hatte. Also mal schauen, ob das vielleicht sogar besser ist als das, das er sonst immer kauft.

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