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Der Protagonist braucht eine Pause von allen Menschen, es nervt ihn einfach, dass die ganze Zeit gesprochen wird und das nur über Themen, in denen er sich nicht auskennt. Den ganzen Tag sitzt er am Tisch und hört zu. Deswegen hat er sich jetzt eine Auszeit genommen und sitzt alleine auf dem Sofa, während alle anderen draußen sitzen. Solange, bis ihn jemand anmeckert, dass er nicht bei den Gästen sitzt. Bei Gästen, die er nicht eingeladen hat.

Der Tag hatte damit begonnen, dass sein Klon ein Stück Kuchen gegessen hatte. Zu dem Kommentar, ob es nicht seltsam wäre, wenn der Kuchen für die Feier heute mittag schon angeschnitten wäre, gab's nur irritierte Blicke. Egal, da er von dem Kuchen nichts will, hält er sich da für den Rest des Tages raus.

Der Protagonist wollte einfach nur ein Brötchen essen, sein Lieblingsbrötchen. Das gab's nicht. Sein Vater hatte das vergessen und beim Bäcker nur alles andere besorgt, aber kein Brötchen. Egal. Er hatte dann noch etwas gestrickt, bevor alle anderen kamen. Von seiner Tante hatte er ein Geschenk bekommen, Schokolade mit einer Karte, in der Geld war. Geld ist immer gut. Danach gab's dann Kuchen, der Protagonist hatte eine Schüssel Erdbeeren. Den Tisch durfte er abräumen. Es kamen Beschwerden auf, dass er die Teller nicht direkt in den Geschirrspüler gestellt hatte, da war der Tag für ihn gelaufen.

Wenn jemand anderes Geburtstag hat, dann deckt der Protagonist den Tisch und räumt ab. Das Geburtstagskind soll nichts machen. Das war schon immer so, wurde ihm als Kind so beigebracht. Wenn er selbst Geburtstag hat, deckt der Protagonist den Tisch und räumt ab. Das wäre höflich gegenüber den Gästen, wurde ihm als Kind so beigebracht. Er glaubt heute, dass das Verarschung war. Aber so war das heute. Er hatte die Teller abgeräumt und wollte noch den Rest holen, warum muss man dann direkt wütend werden, dass noch nicht alles im Spüler steht?

Seine Tante und seine Mutter hatten dann den Rest des Nachmittags gesprochen, er saß daneben und konnte zum Gespräch nichts beitragen, weil sie über vergangene Zeiten gesprochen haben. Als es dann Zeit fürs Grillen war, hatte er den Tisch gedeckt. Zwischendurch, wenn irgendwas benötigt wurde, wurde der Protagonist geschickt. Er solle schnell in die Küche gehen und für Person xy ein Bier holen, für yx noch Brot schneiden, was auch immer. Und dann wird ihm auch noch vorgeworfen, dass er so wenig lächelt. Als ob er lächeln würde, wenn er für andere ständig hin und her rennen muss.

Natürlich ist das mit dem Geburtstag irgendwie ein gesellschaftliches Konstrukt. Es ist ein normaler Tag wie jeder andere. Wobei er glaubt, dass andere Menschen ihren Geburtstag feiern, weil sie sich freuen, dass sie am Leben sind und die Zeit mit ihren Liebsten verbringen können. Oder? Und andere feiern in dem Moment auch, dass das Geburtstagskind lebt. Zumindest glaubt er das. Trotzdem ist das etwas, das unsere Gesellschaft erfunden hat. Es gibt keinen Grund, weshalb er den Tisch nicht decken sollte. Deshalb will er sich darüber nicht ärgern. Er möchte auch nicht so tun, als hätte er irgendwas verdient, zum Beispiel, dass er heute beim Essen einfach sitzen bleiben kann. Das hat er heute nicht mehr verdient als an anderen Tagen. Er will sich auch nicht wichtiger machen als er ist. Deshalb beschwert er sich nicht. Deshalb sitzt er jetzt drinnen alleine und hat gar keine Lust, wieder raus zu gehen.

Und er hat sogar versucht, sich an den Gesprächen zu beteiligen. Er hat zwischendurch immer mal wieder was gesagt. Aber ihm hört keiner zu. Es interessiert keinen. Die hören nur das, was sie hören wollen. Und ihm fällt dann wieder ein, warum er an seinem Geburtstag eigentlich Zuhause bleiben wollte. Warum er niemanden eingeladen hat von seiner Familie. Aber sie haben sich ja gegenseitig eingeladen und es wäre ja dann dreist gewesen, wenn er nicht gekommen wäre. Zumindest hätte man ihm das so gesagt, auch wenn es nicht stimmt. Der Protagonist hat das Recht, an seinem Geburtstag das zu tun, was er tun will. Er darf Zuhause bleiben. Eigentlich ist es viel dreister, wenn man sich selbst zu seinem Geburtstag einlädt und sich dann auch noch von ihm bedienen lässt.

Tatsächlich hat seine Freundin an seinen Geburtstag gedacht, aber auch erst gegen Nachmittag. Vorher hatte sie ganz normal mit ihm geschrieben. Auch sein Chef, die Sekretärin und seine Tante, die nicht mehr eingeladen wird, weil seine Mutter sie nicht leiden kann, auch sie hatte ihm geschrieben. Der Protagonist hat gar kein Problem mit dieser Tante, denn sie beleidigt ihn nicht. Aber weil er noch halbwegs minimal Kontakt zu ihr hat, gilt er ja schon fast als Verräter. Das Problem ist nicht seine Tante, das Problem ist der Rest der Familie. Das kann man auch nicht anders formulieren.

Zum Abend will sein Vater Fußball gucken und der Protagonist hat keine Wahl, er muss dann mit gucken. Die Tante, die noch zu Besuch kommen darf, die den Protagonisten häufiger beleidigt, wird auch bleiben und mitschauen. Sie bleibt sogar das ganze Wochenende und übernachtet im Gästezimmer. Das stört ihn. Er möchte seine Ruhe. Aber seine Mutter scheint ja nicht damit klar zu kommen, dass nur er zu Besuch kommt. Nein, immer wenn er da ist, kommt auch diese Tante. Und dann muss sich der Protagonist darum kümmern, dass es seiner Tante gut geht. Sie ist schließlich Gast und er scheinbar nicht.

Der Protagonist will seine Ruhe, er will sich am Wochenende entspannen. Er will ihr nicht wieder erklären müssen, wie Universitäten funktionieren und wie es denn sein kann, dass er inzwischen schon fertig ist und alle anderen, die mit ihm im gleichen Jahr begonnen haben, teilweise schon fertig und teilweise immer noch nicht fertig sind. Er will einfach die Zeit stressfrei verbringen. Kann doch nicht sein, dass er nach dem Wochenende nach Hause fährt und es ihm schlechter geht als vorher. Warum ist das ständig so, warum scheint es allen so scheiß egal zu sein?

Der Protagonist wünscht sich, dass er am Wochenende nicht beleidigt wird.

100 Positive TageWo Geschichten leben. Entdecke jetzt