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Heute hat der Protagonist weder geschrieben noch gelesen. Aber das findet er vollkommen okay. Nach dem Frühstück, bei dem er wieder sein Lieblingsbrötchen mit Mohn und Sonnenblumenkernen gegessen hatte, sah er zusammen mit seiner Schwester und seiner Mutter fern.

Als Kind hatte er, immer wenn er krank war und nicht zur Schule gehen konnte, Barbara Salesch geguckt, diese Gerichtssendung. Diese lief auch heute. Das guckt er natürlich nicht ernst, sondern wegen des schlechten Schauspiels. Meistens ist es lustig.

Während er eine Folge davon sah, strickte er etwas. Im Moment strickt er Socken für seine Mutter. Der Protagonist strickt am aller liebsten Socken, weil es schnell geht und trotzdem abwechslungsreich ist. Für jede Socke suchte er sich ein neues Muster raus, meistens aus finnischen Anleitungen. Er findet, dass die Muster aus Nordeuropa nochmal etwas Spezielleres haben als in anderen Ländern. Vielleicht ist das aber auch Einbildung.

Das Wetter war heute weniger gut als in die letzten Tagen. Aber obwohl es bewölkt war, war es draußen warm genug, um etwas auf der Terrasse zu sitzen. Dort spielte er dann wieder mit seiner Schwester, die wieder so laufen kann, als wäre nie etwas gewesen. Er ärgerte sich total, als er bei Wizzard haushoch verlor. Das lag gar nicht daran, dass er nicht wollte, dass jemand anderes gewinnt. Er ärgerte sich einfach nur darüber, dass er seine eigenen Karten so schlecht eingeschätzt hatte. Bei den anderen Kartenspielen konnte er zum Glück auch mal gewinnen.

Während des Kartenspielens begann es sogar zu regnen, was nicht so schlimm ist, da seine Familie eine Markise hat. Durch den starken Wind kam ab und zu ein Tropfen unter die Markise, aber großartig gestört hatte es nicht.

Rechtzeitig zum Abendessen hatte es bereits wieder aufgehört. Natürlich wollte seine Familie nochmal grillen. Das kommt einem vielleicht viel vor, aber bei ihnen war das irgendwie so normal. Im Sommer grillten sie fast immer, zumindest wenn mindestens drei Leute Zuhause waren. Für nur zwei Leute würde sich das vielleicht nicht so sehr lohnen.  Der Protagonist freute sich darüber, konnte er doch bei sich Zuhause nie grillen. Dafür fehlt ihm sowohl Platz als auch Grill.

Die ersten paar Sachen, die er morgen wieder mit nach Hause nehmen würde, hatte er auch bereits zusammen gelegt. Nachts vorm schlafen würde er dann die ersten Sachen schon in den Koffer legen. Morgen muss er nicht so früh los, seine Fahrt beginnt erst 14 Uhr. Also würde morgen auch noch genug Zeit sein, um den Rest einzupacken. So viel hatte er sowieso nicht, was er mitnehmen wollte, schließlich würde er im Juni zu seinem Geburtstag wiederkommen. Das war noch gar nicht richtig besprochen worden, allerdings meinte seine Mutter zu ihm, dass seine Tante zum Geburtstag extra vorbei kommt. Da war er überrascht, denn wie gesagt, es war noch nicht besprochen worden, wo er an seinem Geburtstag sein würde. Und selbst wenn er entscheiden würde, dass er zur Familie fährt, heißt das noch lange nicht, dass er seine Tante einladen wollen würde.

Oft genug wurden solche Sachen einfach über ihn hinweg entschieden, obwohl es doch eigentlich seine Aufgabe ist. Zumindest findet der Protagonist das. Er hat ja auch noch gar nicht mit seinem Chef gesprochen, ob das überhaupt möglich wäre. Aber es wird wohl möglich sein, denn er hat dieses Jahr an einem Freitag Geburtstag und dann ist das Büro sowieso geschlossen. Ein paar Tage vorher, er glaubt zwei Tage vorher, würde er vielleicht sowieso nach Hamburg fahren, um auf das Konzert von Alice Cooper zu gehen. Aber auch das war noch nicht klar und davon abhängig, wie er bei der Arbeit eingespannt sein würde. Immerhin ist auch die Bahnfahrt nach Hamburg nicht gerade kurz oder leicht, man würde da so oft umsteigen müssen.

Heute hofft der Protagonist erstmal, dass die Zugfahrt morgen nicht so schlimm werden würde. Inzwischen hatte er schon herausgefunden, dass zumindest bei der einen Stelle, wo es zeitliche Probleme geben könnte, etwa eine Stunde später noch ein ICE kommt, der ihn bis nach Hause fahren würde. Das wäre natürlich blöd, weil er dann eine Stunde später Zuhause wäre und auch nochmal extra Geld ausgeben müsste. Aber er müsste nicht, wie normalerweise, ganze zwei Stunden auf den nächsten Anschluss warten.

Wie es am Ende ablaufen wird, zeigt sich eh erst morgen. Das wird der Protagonist dann auch berichten, wahrscheinlich noch im Zug sitzend. Immerhin würde er frühstens um 21 Uhr Zuhause sein.

Früher, als er noch studiert hatte, war er für gewöhnlich sogar alle zwei Wochen zu seinen Eltern gefahren. Das hatte unter anderem auch daran gelegen, dass seine Unterkunft im Studentenwohnheim einfach so schlimm war und er um jede Sekunde, die er fernbleiben konnte, froh war. Es hatte aber auch daran gelegen, dass sein Vater ihn aus der nächsten Stadt abholte und er so fast zwei Stunden im Zug sparte, war das Auto doch so viel schneller. Irgendwann hatte sein Vater damit aufgehört, was der Protagonist natürlich nachvollziehen kann. Immerhin ist das hin und zurück fahren für seinen Vater auch ein gewisser Zeitaufwand. Bei Stau und ähnlichem war das sehr anstrengend. Allerdings fand der Protagonist auch, dass man ihm ruhig etwas entgegen kommen könnte, wenn er doch schon fünf Stunden gefahren ist. Ein fünfter Zug Wechsel, der wieder extrem knapp getaktet war, bedeutet für ihn umso mehr Stress.

Da die Verbindung zu seinen Eltern immer beschissener wurde, warum kann wahrscheinlich nicht Mal die Deutsche Bahn beantworten, war er nach dem Umzug in seine eigene Wohnung nicht mehr so häufig gefahren. Tatsächlich war er jetzt gerne in seiner Uni-Stadt. Und der Stress mit dem Zug stand in keinem Verhältnis mehr. Damit ist vor allem sein Vater unzufrieden, er möchte, dass der Protagonist häufiger zu Besuch kommt. Es ist nur psychisch einfach nicht gesund, die Strecke so oft zu fahren. Der Aufenthalt im Studentenwohnheim war psychisch deutlich anstrengender als die sieben Stunden mit fünf Zugwechseln. Aber da dieses Problem entfällt, merkt der Protagonist immer mehr, wie anstrengend die Strecke tatsächlich ist.

Heute Abend guckt er noch einen Film und hofft dann, schnell einschlafen zu können.

100 Positive TageWo Geschichten leben. Entdecke jetzt