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Der Protagonist hatte bei der Arbeit einen ungewöhnlich stressigen Tag, ansonsten ist er aber ganz glücklich. Er hatte nicht besonders gut geschlafen und war mehrfach wegen seltsamer Träume aufgewacht. Ein Traum war seiner Meinung nach schon fast gruseliger als Horrofilme, der andere war einfach nur komisch und stellte seine Familie ganz gut dar. Immerhin ging es dabei um seinen Hochzeitstag, die Familie seiner neuen Frau war wirklich nett und ganz normal. Man konnte die Liebe unter einander spüren. Und dann kam seine Mutter, die direkt die ganze Stimmung zerstört hatte. Seine christliche Tante schenkte ihm und seiner Frau 5.000€, was alle als ein zu großes Geschenk wahrnahmen. Sie erklärte das jedoch damit, dass sie wüsste, wie schwierig lesbische Ehen seien (keine Ahnung, warum lesbisch, in seinem Traum hatte sie das eben so gesagt).

Oft kommt es vor, dass der Protagonist davon träumt, jemand anderes zu sein. Auch in diesem Traum war er jemand anderes, aber er war keine Frau. Er hatte in Gestalt einer männlichen Person, die er aus Youtube-Videos kennt, eine Frau geheiratet, die er ebenfalls von Youtube kennt. Deshalb ergibt der Kommentar seiner Tante keinen Sinn. Aber Träume ergeben wohl meistens keinen Sinn.

Er war natürlich wieder eine Stunde zu früh aufgewacht, obwohl er fast schon zu spät im Bett gewesen war und 8 Stunden Schlaf gut hätte gebrauchen können. Morgens war ihm ein bisschen komisch, aber er schob das auf die Nervosität, die er vor der Arbeit manchmal hat. Auch wenn die Leute da alle super nett sind, er findet den Beruf einfach nicht gut. Das passt alles nicht zu ihm, täglich muss er Aufgaben erledigen, die ihm schwer fallen. Es kommen zu viele spontane Interaktionen mit Menschen vor. Deshalb will er ja auch den Job wechseln. Aber heute hatte er per Mail erneut eine Absage erhalten. Er konzentriert sich jetzt vollkommen auf das Vorstellungsgespräch Mitte Juli, in der Hoffnung, dass das klappen wird. Obwohl er dort auch viel Kontakt mit Menschen haben würde, wahrscheinlich sogar noch mehr.

Bei der Arbeit war er erstmal mit der Sekretärin alleine. Das war etwas verwirrend, denn sie arbeitet sonst nur Dienstag und Donnerstag. Sein Chef war nirgends zu sehen, genauso wenig seine neue Mitarbeiterin. Seltsam, denn sie wollten ja eigentlich zusammen Marketing machen. Davon ließ er sich nicht beirren, denn er hatte sowieso viel zu tun. Umso besser, hatte er sich gedacht, immerhin konnte er heute alles schaffen, das er sich vorgenommen hatte. Später kam sein Chef dann noch und fragte, warum die neue Mitarbeiterin noch nicht da sei. Das weiß der Protagonist auch nicht. Zumindest teilte sein Chef ihm mit, dass er ihr bei Whatsapp geschrieben hatte, sie solle erst später kommen, da er auch erst später kommt. Wäre nützlich gewesen, wenn diese Info auch an den Protagonisten weiter geleitet worden wäre, aber bringt jetzt hinterher auch nichts mehr.

Die Sekretärin überreichte ihm ein verspätetes Geburtstagsgeschenk. Selbstgemachtes Brombeergelee. Das hatte er von ihr schon einmal bekommen und es war so lecker gewesen, dass er seitdem auch im Geschäft immer Marmelade oder Gelee kauft. Als Kind hatte er das schon geliebt, seine Oma hatte jedes Jahr Unmengen an Erdbeermarmelade gekocht. Später, als er verlernt hatte, zu frühstücken, hat er diese Köstlichkeit aus den Augen verloren. Irgendwie war er auch nie darauf gekommen, sich so etwas mal zu kaufen. Vielleicht weil man immer glaubt, dass nichts so gut schmecken könnte, wie die selbstgemachte Marmelade von der eigenen Oma (und das stimmt).

Sein Chef und die neue Mitarbeiterin saßen zusammen in der Küche und er arbeitete sie noch weiter ein. Wirklich sinnvoll ist das eigentlich nicht, denkt der Protagonist. Sie muss einfach anfangen, das meiste lernt man erst wirklich, wenn man es mal macht. Aber das kann er nicht entscheiden, das muss der Chef machen. Faszinierend findet er, dass sie noch keine einzige Stunde, die sie im Büro verbracht hatte, in ihre Stundenliste geschrieben hatte. Der Protagonist hatte sie aufgefordert, das zu tun. Sein Mindset ist: du arbeitest keine Minute kostenlos. Aber sie sagt: die Einarbeitungszeit wird nicht bezahlt. Was für ein seltsames Konzept, das sie sich da selbst ausgedacht hat. Man wird für gewöhnlich für die Einarbeitunszeit bezahlt, lasst euch nicht verarschen. Aber das muss sie selbst wissen, er kann sie nicht zwingen, Geld zu verdienen. Sein Chef würde sich darüber sicherlich freuen, wenn sie immer wieder unbezahlt dort auftaucht.

Nach der Arbeit und einem schnellen Mittagessen, wie die letzten Tage auch Knäckebrot mit Käse, ging er in die Drogerie. Schon auf dem Weg dorthin hatte er sich vorgenommen, etwas zu kaufen, das nicht auf der Einkaufsliste stand. Er wusste noch nicht, was das sein würde, aber er hatte den Plan schon mal gefasst. Er empfindet das als Belohnung, sich zwischendurch immer mal wieder unnötige Kleinigkeiten zu kaufen. Und so war er dann mit sauren Würmern von Trolli, einer Schlafanzughose, zwei Packungen Teebeutel für Eistee, einem Duschhandschuh und einer Packung Servietten nachhause gekommen, was alles nicht auf der Liste stand.

Der Protagonist hat ein großes Problem mit Servietten. Das hat er von seiner Oma geerbt. Er findet sie viel zu schade, um sie zu benutzen. Aber ihm gefällt das Konzept und irgendwie sehen sie ja auch schön aus. Sie kosten auch nicht all zu viel, deshalb kauft er ständig neue, weil ihm die Motive so gut gefallen. Das Problem ist eben, dass er sie wirklich nicht benutzt und jetzt hat er inzwischen 14 Packungen in seiner Küche liegen. Drei Packungen hat er nur als Deko gekauft, einmal von seinem Lieblingsdesigner aus Finnland, die anderen beiden aus Dänemark. Die würde er nie auf machen, sie dienen wirklich nur als schöne Sache fürs Auge. Aber die anderen 11 Packungen könnte er ja mal benutzen. Zumindest anbrechen. Oder aufhören, neue zu kaufen.

Danach hatte er noch 100 Seiten in seinem Buch gelesen und zum Abendessen mit Spinat gefüllte Tortellini in einer Käse-Sahne-Soße mit Karotten und Brokkoli gegessen. Das hat aber eher nach Krankenhaus geschmeckt.

Für morgen hat er tatsächlich nichts vor, außer zur Arbeit zu gehen. Aber das reicht manchmal auch schon, um die gesamte Energie des Tages zu nehmen.

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