99

3 1 2
                                    

Nur noch morgen, dann ist das Experiment vorbei. Heute hatte der Protagonist Spaß bei der Arbeit. Wie seltsam, wer sagt denn sowas? Aber der Tag hatte natürlich erstmal damit begonnen, dass er 3 Stunden zu früh aufgewacht war. Er schiebt es darauf, dass die Schlafqualität einfach besser geworden ist. Vielleicht benötigt er weniger Schlaf? Aber er war trotzdem eine Stunde liegen geblieben, was soll man so früh am Morgen schon machen?

Danach hatte er gestrickt und sogar eine Kiwi zum Frühstück gegessen, bevor er zur Arbeit gegangen ist. Bei der Arbeit hatte er eigentlich nicht viel zu tun. Er hatte sich unnötige Aufgaben überlegt. Zum Beispiel hatte er einen Zettel ausgedruckt und laminiert, auf dem die neuen Öffnungszeiten drauf sind. Und weil er die Laminier-Maschine eh schon draußen hatte, laminierte er dann noch ein paar mehr Zettel, die eigentlich nicht laminiert werden müssen. Aber er kann sich so sehr für dieses Gerät begeistern.

Leider kamen dann einfach Kunden (was bilden die sich ein), die irgendwann vor 20 Jahren schon mal dort waren und eine Dienstleistung gebucht hatten, die es bestimmt seit ebenfalls 20 Jahren nicht mehr gibt. Der Protagonist hatte aber schnell begriffen, dass die Kunden sich leicht bereden lassen, also konnte er ihnen eine Alternative andrehen. Wie fühlt man sich mit sowas? Er ärgert sich immer darüber, wenn ihm jemand etwas anderes verkaufen will als er gerne haben wollte. Aber die Leute haben sich offensichtlich darüber gefreut. Gebucht haben sie ja auch noch nichts, sie haben nur alle Informationen mit nachhause genommen und kommen dann nochmal wieder, sobald sie sich für eine der drei Möglichkeit entschieden haben.

Danach gabs Kuchen mit Sahne, dabei hatten sein Chef, die Sekretärin und er einige Dinge besprochen. Unter anderem, dass sie dem Kunden, für den er so viel vorgearbeitet hatte, tatsächlich absagen wollen. Darüber ärgerte er sich total, denn seit November hatte er immer mal wieder etwas dafür gemacht und die ganze Arbeit wäre jetzt umsonst. Er hatte sich so sehr geärgert, dass er fast geheult hätte, aber er konnte sich zurück halten. Warum ist er eigentlich einer dieser Menschen, die bei jeder Emotion direkt weinen? Wenn er traurig ist, logisch. Aber er muss auch immer vor Wut weinen. Und vor Stress. Nervosität. Manchmal weint er auch, weil er glücklich ist, aber das ist eher selten. Es kann nur echt anstrengend sein, jemandem erklären zu müssen, dass man unfassbar sauer ist, während dieser jemand versucht, einen zu trösten, weil man so traurig aussieht.

Immerhin hatte sein Chef ihm noch die fehlenden 121€ überwiesen, was natürlich direkt für die nächsten Rechnungen drauf gehen würde, mehr als 5 Tage würde sich das Geld ganz sicher nicht auf seinem Konto befinden. Immerhin muss er unter anderem noch Strom bezahlen.

Er war etwas länger bei der Arbeit als geplant, aber er hatte sich das nicht als extra Zeit aufgeschrieben, weil er keine Überstunden mehr machen kann. Er kommt bis Donnerstag, wo sein neuer Vertrag beginnt, genau auf die Anzahl an Stunden, die er nach aktuellem Vertrag maximal machen kann (wegen Steuern und so, er müsste sonst Steuern nachzahlen). Eigentlich hatte er schon 6 Überstunden, die er einfach nicht aufgeschrieben hatte, weil er keinen Bock auf das Finanzamt hat. Am Ende würde er mehr an Steuern nachzahlen müssen als er für die 6 Überstunden bekommen hätte. Warum ist das in Deutschland so umständlich?

Nach der Arbeit hatte er zwei Scheiben Brot gegessen und auf seinem Schreibtischstuhl gesessen. Er hatte keine Lust, raus zu gehen. Draußen waren fast 30 Grad, was nicht unbedingt zur Motivation beitrug. Aber es war erst Nachmittag, es wäre eine Verschwendung, nicht raus zu gehen. Also nahm er letztlich doch sein Buch in die Hand und setzte sich an den Hafen. Seine übliche Bank war einfach belegt, was eine bodenlose Frechheit ist. Ein Stück weiter konnte er einen anderen guten Platz finden und dort hatte er dann etwas länger als eine Stunde gesessen und gelesen. Die nächsten 50 Seiten sind geschafft. 

Anders als die meisten Bücher, die er gelesen hatte, weil er sich dazu zwang, war dieses bisher gut. Es ist dänisch, allein das macht es lustig. Aber auch der Inhalt ist interessant. Es geht um eine junge Frau aus Litauen (er glaubt, sie ist 15), die in einer armen Familie aufgewachsen ist und von Menschenhändlern nach Stockholm gelockt wird, wo sie angeblich in einem Café arbeiten soll. Eigentlich geht es um Prostitution. In Stockholm wird sie von einem Norweger gekauft, ihr neuer Zuhälter, in den sie sich dann auch noch verliebt. Jetzt ist der Protagonist gespannt, ob sie es irgendwie schaffen kann, aus ihrer Situation zu entkommen. Etwas abstrakt ist nur der Gedanke, dass sie selbst Russisch spricht, aber Litauisch gelernt hat. Die Menschenhändler, die sie nach Schweden bringen, sprechen Englisch. In Schweden sprechen natürlich alle Schwedisch, bis auf ein paar Mädchen, die mit ihr gefangen sind, die auch Russisch sprechen. Und in Norwegen sprechen alle Norwegisch. Aber das Buch ist auf Dänisch. Der Protagonist mag es nicht, dass die Dialoge auf Dänisch geschrieben sind, nur ergänzt mit der Information "...., sagte er/sie auf Norwegisch/Englisch/was auch immer. Das ergibt doch gar keinen Sinn? Also es ergibt nur dahingehend Sinn, dass kaum ein Leser alle dieser Sprachen sprechen würde, deshalb muss man bei einer Sprache bleiben. Aber es ärgert ihn trotzdem.

Zum Abendessen gabs den Rest Tortellini mit Pesto von Sonntag. Es schmeckte immer noch nicht besonders gut. Als Nachtisch gabs Mini-Donuts und Wassermelone. Am Abend will er jetzt noch eine Stunde tanzen und danach weiter an seinen Socken stricken.

Was nimmt er sich für morgen vor? Eigentlich hat er nichts geplant, außer natürlich Arbeit und Lesen. Die Tage gleichen sich. Aber mal schauen, wie es dann wird, wenn er jeden Tag mindestens eine Stunde mehr arbeiten wird als zuvor. Ob er dann noch Lust haben würde, am späten Nachmittag draußen zu lesen? Aber das ergibt sich alles mit der Zeit. Vielleicht würde er morgen auch noch mal nach weiteren offenen Stellenausschreibungen suchen. Es könnte nicht schaden, noch zwei-drei weitere Bewerbungen zu schreiben. Irgendwann würde es ja mal klappen müssen.

100 Positive TageWo Geschichten leben. Entdecke jetzt