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Auch heute war der Schnelltest des Protagonisten positiv. Der Strich wird heller, auch wenn er weiß, dass das nichts zu bedeuten hat, und vor allem nicht mit der Viruslast zu tun hat, dennoch gibt ihm das Hoffnung. Damit konnte er sich zumindest das Mittsommerfest bei der Arbeit sparen, wo sein Chef immer alle möglichen Leute einlädt, die irgendwelche Hobbys mit ihm teilen. Das sind für gewöhnlich Rentner, die im gleichen Gartenverein sind. Die sind in den letzten beiden Jahren immer unnormal fasziniert vom Protagonisten gewesen, so als ob sie noch nie einen Menschen gesehen haben, der jünger als 60 ist.

Eigentlich wäre er gerne einkaufen gegangen, das wäre rein rechtlich gesehen auch okay gewesen, aber er hält nicht so viel davon, seine Mitmenschen in potentielle Gefahr zu bringen. Deshalb ist er zuhause geblieben und hofft, dass er vielleicht morgen wieder raus kann, denn im Laufe des Tages ist auch der Husten fast vollkommen verschwunden.

Zum Frühstück gab es tatsächlich zwei Scheiben echtes Brot. Etwas seltsam haben die geschmeckt. Er weiß aber nicht, woran das lag. Am Käse? An der Marmelade? Nein, beide Scheiben haben gleich geschmeckt. Also am Brot? Nein, das sieht normal aus und riecht auch noch normal. Der Protagonist schiebt den seltsamen Geschmack darauf, dass er noch nicht zu 100% normal schmecken kann.

Danach hatte er wieder auf dem Balkon gesessen und gelesen. Inzwischen fehlen ihm nur noch 30 Seiten, dann hat er das Buch fertig. Er glaubt jetzt auch, doch alles verstanden zu haben, da am Ende alles irgendwie wieder zusammen kommt und logisch erscheint. Morgen möchte er dann den Rest lesen, damit er endlich seine Rezension dazu in sein Buchclub-Buch schreiben kann. Und dann gehts weiter mit dem nächsten Buch, wahrscheinlich nimmt er ein Schwedisches.

Da ihn das Unternehmen so lange hat warten lassen, hatte er ihnen noch nicht auf deren E-Mail vom Dienstag geantwortet. Am liebsten würde er auch 4 Wochen warten, aber wahrscheinlich würde sich das Unternehmen kaum dafür interessieren. Deshalb hatte er sich gegen Mittag an den Schreibtisch gesetzt, an der Wand dahinter hängen seit gestern die neuen Konzertkarten. Er war einfach mal davon ausgegangen, bis nächste Woche wieder negativ zu sein, sodass ein Treffen am Montag oder Dienstag möglich sein sollte. Das hatte er in seiner Antwort vorgeschlagen, in der Annahme, dass man ihm im Laufe des Tages darauf antworten würde (Spoiler: das ist natürlich nicht passiert).

Danach hatte er noch einmal das komplette Internet durchforstet und eine Stellenausschreibung gefunden, die nicht zu 100% mit seinem Profil übereinstimmt, aber er hatte sich trotzdem beworben. Was soll schon passieren, außer dass er im schlimmsten Fall eine weitere Absage bekommen würde? Es war ihm einfach nur wichtig, nach etwa 3 Wochen Stillstand auch mal wieder eine Bewerbung zu verschicken, damit er sich selbst nichts vorwerfen könnte. Auch wenn er natürlich nicht daran Schuld ist, dass im Moment einfach niemand nach ihm sucht.

Gegen Nachmittag erinnerte er sich, dass er sich gestern vorgenommen hatte, weiter an seinem Buch zu schreiben. Eigentlich fühlte er sich nicht besonders danach, beim Lesen hatte er schon bemerkt, dass er sich nicht richtig konzentrieren kann. Aber er wollte dennoch zumindest ein halbes Kapitel schreiben, damit er in den nächsten Tagen weniger zu tun haben würde. Letztlich hatte er dann doch zwei Kapitel geschrieben, weil er so im Schreibefluss war und ihm immer wieder neue Ideen kamen, wie es weiter gehen sollte.

Insgesamt ist er sehr zufrieden mit seiner Geschichte und er hat mehr als nur einmal schon darüber nachgedacht, seinen Entwurf am Ende sogar an verschiedene Verlage zu schicken. Er glaubt, dass die Geschichte tatsächlich Potential hätte. Und das ist bemerkenswert, denn normalerweise hat er nicht so viel Selbstbewusstsein, wenn es um etwas geht, das er selbst gemacht hat. Allerdings hat er keine Lust auf einen ähnlichen Ablauf wie mit seinen bisherigen Bewerbungen. Natürlich wäre der Einfluss auf sein Leben deutlich geringer, wenn sein Buch nicht verlegt werden würde, verglichen mit dem Einfluss, keinen neuen Job zu finden. Dennoch kann er noch mehr Absagen und negative Antworten im Moment nicht gebrauchen. Wenn er seine Geschichte abgeschlossen hat, dann wird er alles noch einmal lesen und so weit überarbeiten, dass er damit zufrieden ist. Und dann kann er sich immer noch entscheiden, ob er es versuchen möchte oder nicht.

Abends gabs ein Focaccia mit Spiegelei zu essen, wobei er mit dem Fett in der Pfanne übertrieben hatte. Es waren eher frittierte Eier als Spiegeleier. Das ist auch so ein Mysterium, das er seit er alleine lebt versucht, zu lösen. Wie viel Fett benötigt man wirklich zum Braten? Er glaubt, dass keiner das wirklich wissen kann. Danach gabs ein Softeis mit Schoko und Vanille. Sein Abendessen konnte er anders als sein Frühstück tatsächlich ganz normal schmecken und darüber war er so froh, man kann sich das gar nicht richtig vorstellen, wie froh.

Ihm war dann auch noch aufgefallen, dass er einen Sonnenbrand auf der Brust hatte, denn er hatte Mittags nur im Unterhemd auf dem Balkon gesessen. Für mehr wäre es zu warm gewesen und da die Sonne ja schnell weg war, maximal 30 Minuten hatte er dort gesessen, erschien es ihm unwahrscheinlich, dass er davon direkt rot werden würde. Aber dennoch. Wie viele Leute vor ihm wohl in ihrer Corona-Quarantäne einen Sonnenbrand bekommen hatten?

Der Protagonist hat das Gefühl, dass er heute ganz produktiv war. Damit ist er sehr zufrieden. Für morgen nimmt er sich vor, hoffentlich einkaufen zu gehen. Das hängt natürlich davon ab, ob er noch Symptome hat und wie sein Test ausfallen wird. Wenn er keine Symptome mehr haben sollte, würde er vielleicht trotzdem mit einer Maske einkaufen gehen, damit er sich ein paar Dinge kaufen könnte. Wasser würde er neues benötigen zum Beispiel. Aber lebensnotwendig ist das nicht, er hat noch ausreichend andere Getränke. Vielleicht wäre es das nicht wert, zu riskieren, jemand anderen anzustecken. Andererseits ist wahrscheinlich kaum noch jemand so vorsichtig, wie er. Auch seine Mutter hatte ihm heute geschrieben, dass er einfach einkaufen gehen solle. Aber er findet, dass man doch ein Mindestmaß an Verantwortungsbewusstsein haben müsste.

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