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Mit einem tiefen Atemzug schließe ich die Tür des Wohnhauses hinter mir. Die kühle Winterluft schlägt mir entgegen, während ich die Hände in meine Jackentaschen vergrabe. Fast alle Jungs sind bereits weg, ihre Gesichter voller Vorfreude auf Weihnachten mit ihren Familien. Nur Jamie steht noch ein paar Meter entfernt und wartet auf seine Familie. Auch Tom müsste gleich abgeholt werden. Ich gönne ihnen diese Momente. Jeder hat sich die Feiertage mit seinen Liebsten verdient.

Ich auch.

Ein schwaches Lächeln huscht über mein Gesicht, während ich mir das selbst einrede. Doch der Gedanke fühlt sich seltsam fremd an. Weihnachten war immer etwas, das ich mit Jonas geteilt habe. Unsere kleinen Traditionen, unsere Pläne. Und jetzt? Jetzt gibt es kein uns mehr.

Ich streiche eine Haarsträhne hinter mein Ohr und versuche, mich auf das Positive zu konzentrieren. Zumindest habe ich eine eigene Wohnung. Meine eigene Wohnung.

Dank Edin und Herrn Watzke konnte ich aus dem Hotel ausziehen und wohne nun in einem voll möblierten Apartment mit Blick auf den Phönixsee. Es ist groß, es ist modern – und doch fühlt es sich noch nicht wie Zuhause an. Die Wände sind leer, die Räume fremd. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich noch nicht wirklich angekommen fühle. Vielleicht liegt es daran, dass meine restlichen Sachen noch bei Jonas sind.

Und genau das muss ich heute ändern.

Die Fahrt zu unserem – seinem – Haus fühlt sich an, als würde ich gegen eine unsichtbare Wand fahren. Meine Hände umklammern das Lenkrad fester, als ich in die vertraute Straße einbiege. Das Haus steht vor mir, unverändert, als wäre nie etwas passiert. Nur das Auto in der Einfahrt verrät, dass Jonas da ist.

Mein Herz beginnt schneller zu schlagen. Scheiße.

Ich hätte gehofft, dass er nicht da ist. Dass ich alles schnell holen und verschwinden kann. Dass ich ihm nicht begegnen muss. Doch jetzt gibt es kein Zurück mehr.

Langsam steige ich aus und gehe zur Haustür. Der Schlüssel liegt schwer in meiner Jackentasche. Es ist das letzte Mal, dass ich ihn benutze. Ich drehe ihn im Schloss, die Tür gibt nach. Der Geruch von Zuhause – nein, von der Vergangenheit – schlägt mir entgegen.

Ohne Zeit zu verlieren, stürme ich nach oben ins Schlafzimmer. Ich habe mir große Säcke mitgebracht, in die ich meine Sachen wahllos hineinwerfe. Es ist mir egal, ob sie ordentlich gefaltet sind oder nicht. Ich will hier nur so schnell wie möglich raus.

Doch jeder Raum, den ich betrete, ist voller Erinnerungen. Der Kleiderschrank, in dem wir gemeinsam nach Outfits gesucht haben. Das Bett, in dem wir unzählige Nächte verbracht haben. Das Badezimmer, in dem er mich immer geneckt hat, wenn ich zu lange geduscht habe.

Jede Sekunde hier fühlt sich an wie eine Qual.

Dann höre ich es.

Ein leises Räuspern.

Mein Körper erstarrt. Ich schließe die Augen für einen Moment, versuche mich zu sammeln, bevor ich mich langsam umdrehe.

Jonas steht im Türrahmen, die Arme verschränkt, sein Blick voller Emotionen.

Nein. Ich will das nicht.

Ohne ein Wort zu sagen, drehe ich mich um und konzentriere mich wieder auf meine Sachen. Doch seine Anwesenheit brennt sich in meinen Rücken.

Ich gehe ins Badezimmer, stopfe meine Sachen zusammen, greife nach den letzten Kleinigkeiten, die mir gehören. Selbst die Zahnbürste lasse ich nicht hier. Dann ist das Wohnzimmer dran. Meine Familienfotos packe ich vorsichtig in meine Handtasche. Und als ich zum letzten Mal nach meinem Schmuckkästchen greife, sehe ich ihn – den Verlobungsring.

Mein Atem stockt.

Ich nehme ihn in die Hand. Er fühlt sich plötzlich so schwer an. Als würde er all die Jahre, all die Erinnerungen mit sich tragen.

Und dann ist er wieder da.

„Können wir nicht nochmal reden?" Seine Stimme ist sanft, fast flehend.

Ich schließe kurz die Augen, bevor ich mich umdrehe. „Worüber denn?" Meine Stimme ist kalt, doch mein Inneres schreit.

„Ich liebe dich, Olivia. Ich habe einen Fehler gemacht. Bitte... lass mich das wieder gutmachen."

Ich will lachen. Ich will schreien. Ich will weinen. Doch stattdessen bleibt mein Gesicht regungslos.

„Lass es, Jonas." Meine Stimme bricht kurz, aber ich fange mich schnell wieder. „Ich will deine Erklärungen oder Entschuldigungen nicht hören. Du hattest deinen Grund. Und jetzt habe ich meinen, wieso das zwischen uns nicht mehr funktionieren kann."

„Aber–"

„Nein." Ich trete einen Schritt auf ihn zu, nehme seine Hand und lege den Ring hinein. „Hier. Den brauche ich nicht mehr."

Meine Finger zittern, doch ich zwinge mich, standhaft zu bleiben. Jonas sieht mich an, als würde er etwas sagen wollen. Doch er bleibt stumm.

Ich schnappe mir die restlichen Säcke und trage sie nach draußen. Jonas verfolgt jede meiner Bewegungen mit seinen Blicken. Als ich den letzten Sack hole, nehme ich meinen Schlüsselbund und fummel die Hausschlüssel davon ab.

Das ist es. Der letzte Schritt.

Ich lege sie wortlos auf die Ablage im Flur. Doch Jonas gibt nicht auf.

„Olivia, komm schon. Tu das nicht. Schmeiß die letzten Jahre nicht einfach so weg." Seine Stimme ist flehend, seine Hand legt sich auf meine Schulter.

Ich bleibe für einen Moment stehen, spüre die vertraue Berührung. Doch sie fühlt sich nicht mehr warm an. Sie fühlt sich falsch an.

Langsam, aber entschlossen, trete ich einen Schritt zurück und sehe ihm direkt in die Augen. „Du hast an dem Abend unsere Beziehung weggeschmissen. Also tu nicht so, als wäre ich schuld daran."

Sein Blick verändert sich. Die Verzweiflung in seinen Augen schlägt in Wut um.

„Glaubst du wirklich, dass irgendjemand dich will?" spuckt er plötzlich heraus. „Du findest doch sowieso niemanden. Schau dich doch mal an – du bist erbärmlich."

Die Worte treffen mich wie ein Schlag in den Magen. Doch diesmal lasse ich es nicht zu.

Ich hebe mein Kinn, sehe ihm fest in die Augen und sage ruhig, aber bestimmt: „Die einzige Person, die hier gerade erbärmlich ist, bist du."

Dann drehe ich mich um, gehe nach draußen und schlage die Tür hinter mir zu.

Die Tränen laufen mir unkontrolliert über das Gesicht, als ich die Straße entlangfahre. Mein Körper zittert. Die Worte von Jonas hallen in meinem Kopf wider, doch ich lasse sie nicht an mich heran.

Ich bin nicht erbärmlich. Ich bin stark. Und ich bin frei.

Als ich in meiner Wohnung ankomme, schleppe ich die Säcke mit letzter Kraft nach oben. Jede Stufe fühlt sich wie ein Kampf an, doch als ich schließlich die Tür schließe, spüre ich eine seltsame Erleichterung.

Es ist vorbei.

Ich lasse mich aufs Bett fallen, atme schwer. Ich will einfach, dass dieser Tag endet. Doch ich habe keine Zeit, mich meinem Schmerz hinzugeben. In wenigen Stunden muss ich nach Wolfsburg fahren. Meine Mutter wartet auf mich.

Und sie weiß noch nichts.

Wie erkläre ich ihr, dass ich plötzlich alleine komme? Dass die Person, die ich einmal heiraten wollte, mich betrogen hat? Dass mein Leben sich in wenigen Wochen komplett verändert hat?

Ich weiß es nicht.

Aber für heute will ich nicht mehr darüber nachdenken.

Heute will ich einfach nur nach Hause.

When we meet againWhere stories live. Discover now