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Der Morgen beginnt ganz ruhig und doch rast mein Kopf schon los, noch bevor ich den ersten Schluck Kaffee nehme. Wie jeden Morgen, war der Kaffee das erste, was ich zubereitet habe.
Ich versuche, jeden Gedanken an Nervosität zu verdrängen, aber je näher der erste Arbeitstag rückt, desto stärker meldet sich das flaue Gefühl in meinem Magen. Auch wenn ich die Jungs kenne, heute ist es anders. Heute bin ich nicht mehr Jamies Betreuerin, sondern ab jetzt Begleitperson/Betreuerin/ was auch immer für die gesamte erste Mannschaft, offiziell, vor allem Ansprechpartnerin für alles, was sie beschäftigt. Ich frage mich, ob ich dem gerecht werden kann. Diesen Gedanken konnte ich allerdings nicht weiter ausführen, denn ich war schon ziemlich spät dran. Noch gerade pünktlich, kam ich Trainingsgelände an und steuerte sofort das riesige Gebäude vor den Trainingsplätzen an.

Im Büro erwartete mich Edin bereits. Sein Lächeln ist beruhigend, so als hätte er schon viele wie mich durch diese erste Vorstellung geführt. Er wirkt selbstbewusst und geerdet. „Olivia, schön, dass du da bist. Bereit für deinen ersten Tag mit den Jungs?" Seine Stimme ist freundlich und fest, und für einen Moment bin ich dankbar, dass er hier ist.

„Bereit wie immer," antworte ich entschlossen und nicke. Aber ich merke das leichte Zittern in meiner Stimme, das ich nicht unterdrücken kann. Er scheint es nicht zu bemerken oder vielleicht einfach zu verstehen, denn er klopft mir leicht auf die Schulter und führt mich nach draußen „Gute Einstellung" grinst er noch.
Während wir auf das Spielfeld zusteuern, ist das flaue Gefühl im Magen zurück. Eigentlich sind es nur die Jungs, die ich schon lange kenne, aber plötzlich fühlt es sich wie ein Publikum an.

Mats entdeckt mich zuerst, sein Gesicht wirkt überrascht.. Er hebt die Augenbrauen. „Oh, wow! Was verschafft uns die Ehre?" Grinst er fragend.

„Das erklärt mir jemand mal, oder?" fragt Nico, der seinen Blick zwischen Edin und mir hin- und herwandern lässt. „Dachte, Olivia war Jamies persönliche Betreuerin. Was ist denn hier los?" Verwirrung liegt in der Luft, die Jungs sehen mich mit einer Mischung aus Neugierde und Belustigung an.

Mein Blick wandert automatisch über die Gesichter der Jungs. Ein warmes Gefühl breitet sich in mir aus. Diese Jungs, die manchmal überheblich und frech sein können, bringen mich immer wieder zum Lächeln. Ich versuche, möglichst ruhig zu wirken, doch mein Herz schlägt schneller. Dann bleibt mein Blick an Julian hängen, der abseits steht und mir ein sanftes, aufmunterndes Lächeln zuwirft. Es ist, als hätte er genau gespürt, wie sehr ich dieses kleine Zeichen der Ermutigung jetzt brauche. Warum reicht sein Lächeln, um meine Anspannung zu lösen? Ich frage mich, was es an Julian ist, das mich so berührt, das mir das Gefühl gibt, verstanden zu werden.

Ich zwinge mich, den Gedanken zur Seite zu schieben und mich zu konzentrieren, während Edin endlich das Wort ergreift. „Wenn ihr mich mal reden lassen würdet," beginnt er mit einem amüsierten Blick in die Runde, „dann wüsstet ihr schon längst, dass Olivia ab sofort bei uns im Team ist – als Ansprechpartnerin für alles, was euch beschäftigt. Sie wird also regelmäßig dabei sein und euch begleiten, ob im Training, bei Spielen oder auf Reisen."

Die Worte hallen in mir nach, als wäre ich selbst nicht ganz darauf vorbereitet gewesen. Die Jungs schauen Edin dann mich an. Die Verwirrung weicht langsam einem freudigen Lächeln, und in manchen Augen sehe ich sogar eine Art Anerkennung. Einige der Jungs kommen direkt auf mich zu, und plötzlich umarmen sie mich, einer nach dem anderen. In diesen Momenten spüre ich, wie ein Teil der Nervosität abfällt, wie die Last ein bisschen leichter wird. Doch Angespannt bin ich noch immer. Umarmungen bin ich einfach nicht gewohnt. Vielleicht nehmen sie mich doch ernst. Vielleicht brauche ich diese Maske gar nicht so sehr, wie ich dachte.

„Na toll," sagt Jamie und grinst mich an, „jetzt werd ich dich wohl doch nicht los, was?" Seine Augen funkeln vor Freude und Herausforderung, und ich muss lachen.

„Ach, Jamie," antworte ich, während ich gespielt seufze, „irgendjemand muss doch auf euch aufpassen. Sonst geht das hier alles den Bach runter."

Alle lachen, und für einen Moment wird die Stimmung völlig entspannt. Ich fühle mich akzeptiert, als Teil des Teams, und das ist ein Gefühl, das ich lange nicht mehr gespürt habe.

Dann tritt Julian ebenfalls auf mich zu. Für einen Moment sehe ich in seinen Augen ein Funkeln, das ich nicht ganz deuten kann. Er schaut mich eindringlich an, fast als wollte er mir etwas Wichtiges sagen. Dann zieht er mich unerwartet in eine Umarmung. Seine Arme umschlingen mich, und für einen Herzschlag halte ich den Atem an. „Schön, dass du da bist," flüstert er mir leise ins Ohr, und seine Stimme klingt warm und ernst. „Wenn es denn auch die echte Livi ist." fügt er hinzu. Er schaut mich an. Fast schon Prüfend. Dann dreht er sich um.

Ich ziehe mich zurück, verwirrt und überrascht. Die 'echte Livi' Was meint er damit? Ich will ihm antworten, irgendetwas sagen, aber die Worte bleiben mir im Hals stecken. Noch bevor ich etwas sagen kann, geht er mit einem letzten Lächeln zurück zu den anderen. Meine Gedanken rasen.

Was sieht Julian, was die anderen nicht sehen? Es ist, als würde er hinter die Maske blicken, die ich so mühsam aufrechterhalte. Als wüsste er, dass ich im Inneren nicht immer diese starke, unerschütterliche Betreuerin bin, sondern auch Zweifel habe, die ich so gut es geht verberge. Ich bleibe noch einen Moment stehen, blicke ihm nach, während das Training beginnt, und lasse die Worte in mir nachklingen. Wieso hat er diesen kleinen Satz gesagt, der so viel Bedeutung hat?

Noch während das Training vor mir abläuft, ziehen meine Gedanken mich immer tiefer in dieses kleine Chaos, das Julian mit einem einzigen Satz losgetreten hat. „Die echte Livi." Ich höre seine Stimme fast noch in meinem Ohr und spüre die Umarmung, die gleichzeitig Halt und ein leises Hinterfragen war. Als könnte er sehen, dass ich nicht alles bin, was ich zu sein vorgebe. Dass ich... mehr bin? Aber was genau? Was sieht er, was ich selbst nicht sehen kann?

Ich habe mich so daran gewöhnt, dass ich immer weiß, was ich nach außen hin zeigen muss. Die ruhige, zuverlässige Olivia. Die, die alles im Griff hat und für die anderen da ist. So eine Rolle, die sicher und vertraut wirkt. Aber Julian scheint zu glauben, dass da noch etwas anderes hinter dieser Fassade liegt. Etwas, das ich selbst nicht ganz verstehe.

„Sieht er mich?" Ich merke, dass ich die Frage fast laut ausgesprochen habe, leise und fast zögerlich, als könnte das Antworten herbeizaubern. Kann er sehen, wie unsicher ich manchmal bin? Wie schwer es mir oft fällt, die starke Rolle zu spielen? Oder ist da vielleicht ein Teil von mir, den ich selbst nicht erkennen kann, den ich aus Angst oder Zweifel immer wieder wegdrücke?

Diese Gedanken sind wie ein kleiner Riss in einer Wand, durch die plötzlich all die Fragen und Unsicherheiten sickern, die ich so oft verberge. Der Teil von mir, den ich zu verstecken versuche – die „echte Livi"? Und wenn ja, wer ist diese „echte" Livi, die ich selbst vielleicht längst vergessen habe?

In meinem Inneren flackert eine Unsicherheit auf, die mich fast überfordert. Ich will, dass er mich sieht – und gleichzeitig fürchte ich genau das.

When we meet againWhere stories live. Discover now