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In Julians viel zu großen Klamotten schlurfe ich Richtung Lobby. Schon von Weitem sehe ich ihn am Empfangstresen stehen, in ein Gespräch mit einem älteren Mann vertieft. Wenigstens ist überhaupt jemand da – ein erster Hoffnungsschimmer. Meine Beine schmerzen immer noch höllisch, also komme ich nur langsam voran.

„Alles klar, trotzdem danke", höre ich Julian sagen. Trotzdem danke? Das klingt nicht gut. Bitte lass mich heute Nacht nicht auf einer dieser unbequemen Lobby-Couches schlafen müssen. Erwartungsvoll sehe ich ihn an.

Er seufzt. „Sorry, Livi. Sie können heute keine neue Zimmerkarte ausstellen. Irgendwas mit dem System. Erst morgen früh wieder."

Ich schlage den Kopf in den Nacken und stöhne. „Super. Dann mach ich's mir wohl hier in der Lobby bequem." Allein der Gedanke an eine Nacht auf diesen Sofas verursacht schon Rückenschmerzen.

„Kommt nicht in Frage." Julian schüttelt entschieden den Kopf. „Marco und ich suchen uns Schlafplätze bei den anderen, dann kannst du in unserem Zimmer bleiben."

„Nein, Jule. Das ist nett, aber das geht nicht." Ich schüttle sofort den Kopf.

„Was geht nicht?" höre ich plötzlich Marco hinter mir.

„Olivia schläft in unserem Zimmer. Du und ich pennen woanders", erklärt Julian, ohne eine Sekunde zu zögern. „Dank eurer großartigen Idee mit dem Pool ist ihre Karte nass geworden und funktioniert nicht mehr."

„Julian, nein. Ihr müsst morgen fit sein fürs erste Testspiel. Ich werde euch nicht euer Zimmer nehmen."

„Ich schlaf bei Marius und Niklas. Die haben eh ein größeres Zimmer mit ner Couch", wirft Marco ein.

„Trotzdem." Ich verschränke die Arme. „Ich nehme dir nicht dein Bett weg."

„Gut", sagt Julian schulterzuckend. „Dann bleib ich eben im Zimmer."

„Schön. Dann schlaf ich auf dem Sofa."

Er grinst. „Oder du schläfst einfach mit im Bett."

Mein Kopf ruckt hoch. „Was?!"

Marco schnaubt belustigt. „Wäre ja nichts Neues."

„Halt die Klappe, Marco", rufen Julian und ich gleichzeitig.

Julian ignoriert meine Proteste und marschiert zum Fahrstuhl. Ich starre ihm fassungslos hinterher. „Ey! Verdammt, Jule, bleib stehen!"

Er dreht sich um, sichtbar irritiert über meinen Tonfall.

„Ich hasse es, wenn jemand Dinge über meinen Kopf hinweg entscheidet! Und das weißt du!"

„Okay", sagt er nur und wendet sich wieder dem Fahrstuhl zu.

„Okay?!" Ich starre ihn ungläubig an, folge ihm in die Kabine.

„Livi, was willst du hören? Dass ich dich einfach in der Lobby schlafen lasse? Bestimmt nicht. Also beruhig dich. Es ist nur eine Nacht."

Ich presse die Lippen aufeinander, zu wütend, um zu antworten.

Oben im Zimmer wirft er mir ein T-Shirt zu. „Hier, dann musst du nicht im Pulli schlafen."

Genervt verziehe ich mich ins Bad, ziehe mich um und lege mich ins Bett. Als ich wieder hochblicke, sehe ich, wie Julian sein Handy weglegt und sich seinen Pullover über den Kopf zieht. Unauffällig mustere ich ihn. Definitiv trainierter als früher.

Als ich meinen Blick hebe, sehe ich, dass er mich grinsend beobachtet.

„Ich finde es süß, wenn du so rot wirst", meint er mit einem Lächeln.

Oh Gott. Mein Gesicht fühlt sich an, als würde es in Flammen stehen. Hastig drehe ich mich um.

Kurz darauf sinkt er neben mir ins Bett. „Jetzt hör auf, so bockig zu sein, und schlaf einfach", sagt er lachend und piekst mir in die Seite.

„Lass das!" Ich zucke zusammen.

Natürlich macht er weiter.

„Juleeee!", keuche ich.

„Na, siehste. Dein Lachen gefällt mir viel besser. Solltest du öfter machen."

Ich vergrabe mein Gesicht im Kissen. Warum sagt er heute so komische Dinge zu mir?

Doch egal, wie sehr ich es versuche – Schlaf finde ich nicht. Ich wälze mich von einer Seite auf die andere, während Julian irgendwann ungeduldig aufstöhnt.

„Jetzt komm her und schlaf." Mit einem Arm um meine Taille zieht er mich kurzerhand zu sich. Seufzend gebe ich nach.

Aber der Schlaf kommt trotzdem nicht. Zu viele Gedanken. Zu viele Erinnerungen. Zu viel, was sich wie damals anfühlt – und doch nicht mehr dasselbe ist.

Plötzlich fährt mir ein eiskalter Schauer über den Rücken.

Mein Handy.

Ich habe ihn nicht angerufen.

Jeden Abend wähle ich seine Nummer. Jeden. Verdammten. Abend. Auch wenn niemand mehr rangeht. Es gibt mir das Gefühl, dass er noch da ist. Dass ich ihn nicht verloren habe.

Panik kriecht in meine Kehle. Mein Atem wird schneller.

„Livi?" Julians schläfrige Stimme klingt plötzlich hellwach. „Was ist los?"

„Mein Handy." Meine Worte kommen atemlos, abgehackt. „Ich... ich muss noch... jemanden anrufen."

„Um halb zwölf?" Er gähnt. „Mach das morgen. Jetzt schlaf einfach."

„Nein." Ich schüttle heftig den Kopf. „Ich muss es jetzt machen. Ich mache es immer."

Er setzt sich abrupt auf. „Hey, was ist denn los? Deswegen brauchst du doch nicht—"

Doch ich kann nicht aufhören. Die Tränen kommen einfach. Heiße, unaufhaltsame Wellen.

Julian sagt nichts mehr. Stattdessen zieht er mich wortlos in seine Arme. Und wieder passiert es. Wieder breche ich in seinen Armen zusammen.

Wie kaputt kann ein Mensch eigentlich sein?

When we meet againWhere stories live. Discover now