Die Busfahrt zurück zum Hotel verlief still. Jeder hing seinen Gedanken nach, und die Enttäuschung ist in jedem zu erkennen gewesen. Im Hotel angekommen, gehen die meisten direkt auf ihre Zimmer. Doch ich beschließe, bei einigen von ihnen vorbeizuschauen, um sie ein wenig aufzumuntern. Das Spiel war ausgeglichen, und das müssen sie verstehen. Ich kann ja verstehen, dass sie sich scheiße fühlen. Ihre Leistung war anfangs nunmal auch richtig Kacke. Aber am Ende was das Spiel eben ausgeglichen, ob sie das so sehen oder nicht. Es war so.
Also klopfe ich erst bei Marius und Niklas, anschließend bei Jamie und Karim sowie danach bei Mats und Nico an, versuche, ein paar aufbauende Worte zu finden. Sie alle waren dankbar über mein Versuch, sie aufzumuntern. Von allen erntete ich wenigstens auch ein Grinsen, wenn auch nur kurz und klein.
Als Letztes gehe ich zu Marco und Julian. Doch die beiden scheinen am härtesten getroffen zu sein. Sie reden kaum und sind in ihren Gedanken. Marco steht irgendwann auf und sagt, er müsse raus, um eine Runde spazieren zu gehen und den Kopf freizubekommen. Ich kann ihn ja verstehen. Wollte ihn auch nicht aufhalten. Ich schenkte ihm nur ein kurzes aufmunterndes Lächeln.
Julian hingegen bleibt schweigend auf dem Bett sitzen, den Kopf gesenkt. „Es war meine Schuld, weißt du? Ich hab den Ball verloren, und dadurch konnten sie das letzte Tor machen."
Ich schüttle den Kopf und lege eine Hand auf seine Schulter. „Julian, das war nicht deine Schuld. Du hast gekämpft, und das zählt. Jeder macht mal Fehler."
Langsam heben sich seine Augen, und ich sehe den Anflug eines schwachen Lächelns, bevor er mich unvermittelt in die Arme schließt. Es sind keine Tränen, er wirkt einfach nur erschöpft.
Mittlerweile sitzt Julian vorne an der Bettkante und ich neben ihm. Er starrt förmlich auf seine Hände. Das Zimmer ist still; nur das gedämpfte Licht der Nachttischlampe erhellt den Raum. Ich sehe ihm seine Enttäuschung an. Nach diesem Spiel scheint er mehr mit sich zu kämpfen als jemals zuvor.
Er fährt sich mit den Händen durch die Haare und schüttelt leicht den Kopf. „Weißt du, Livi," beginnt er leise, „ich weiß nicht, ob ich das wirklich hinkriege. Nicht so, wie ich es mir vorstelle. Dieses Spiel... es war ein einziger Beweis dafür, dass ich es einfach nicht packe."
Ich halte seinem Blick stand, obwohl ich merke, wie verletzlich er sich gerade fühlt. „Was meinst du damit, dass du es nicht packst?" frage ich ruhig, will ihn ermutigen, weiterzusprechen.
Julian atmet tief durch, fast so, als müsste er seine Worte sammeln. „Dieser eine Ballverlust... du hast es selbst gesehen. Ich war einfach zu langsam, zu unkonzentriert, was auch immer. Das hat Bayern ermöglicht, den letzten Treffer zu machen. Und alles, woran ich gerade denken kann ist, wenn ich diesen einen Moment besser gemacht hätte... wenn ich nicht so ein Fehler gemacht hätte..." Seine Stimme bricht fast, und er sieht verärgert zur Seite. „Ich hab das ganze Spiel versaut. Nicht nur für mich, sondern für alle."
„Juli..." beginne ich, doch er hebt die Hand, um mich zu unterbrechen.
„Nein, Livi, lass mich das zu Ende sagen," sagt er mit einer Mischung aus Enttäuschung und Frustration in den Augen. „Es fühlt sich an, als ob ich einfach nicht genug bin. Jeder zählt auf mich, ich weiß das. Aber was bringt das, wenn ich nicht liefern kann? Ich wollte das Team weiterbringen. Doch jetzt..." Er macht eine Pause, als würde er nach den richtigen Worten suchen. „Jetzt fühlt es sich an, als ob ich nur eine Last bin. Und das tut weh, weißt du? Weil ich dachte, ich könnte das."
Ich lasse ihn ausreden, spüre den Schmerz in jedem seiner Worte. Julian ist selten so ehrlich und roh in seinen Gefühlen, und ich weiß einfach, wie dieser Moment ihn zutiefst verletzt hat. Ich Rutsche näher zu ihm rüber. „Julian, hör mir zu," sage ich leise und lege ihm eine Hand auf die Schulter. „Kein Mensch, wirklich niemand, kann immer perfekt sein. Und ja, du hast heute vielleicht nicht dein bestes Spiel abgeliefert. Aber das macht dich nicht weniger wertvoll für das Team. Ein einzelnes Spiel definiert dich nicht, und das weißt du eigentlich auch."
Er nickt leicht, aber seine Augen bleiben trüb. „Aber was, wenn es kein einzelnes Spiel ist, Livi? Was, wenn ich einfach nicht gut genug bin, um auf diesem Niveau zu spielen? Ich dachte immer, ich wäre stark genug, aber... nach heute zweifle ich daran."
Ich seufze, und dann fällt mir ein, was er mir mal gesagt hat, als ich selbst mit Selbstzweifeln gekämpft habe. Ich sehe ihn eindringlich an und sage: „Weißt du noch, was du mir mal gesagt hast? 'Jeder macht das mal, seine Gefühle unterdrücken. Aber nicht so, Livi. Damit machst du dich kaputt.' Das waren deine Worte, Julian. Du hast mir damals geholfen zu verstehen, dass es okay ist, Zweifel zu haben und dass es nichts bringt, alles in sich hineinzufressen. Also, jetzt lass mich für dich da sein. Du bist mehr, als du gerade von dir denkst."
Julian schaut überrascht auf, und ich sehe, wie etwas von der Härte in seinem Blick nachlässt. „Du hast das echt noch im Kopf?" fragt er leise.
„Natürlich. Du hast mir damals so viel Mut gemacht, Juli. Also mach mir nicht weis, dass du es nicht wert bist oder dass du nicht gut genug bist. Du bist es, und das weißt du eigentlich auch. Das Team braucht dich, auch wenn's heute mal nicht so lief. Ein Spiel definiert dich nicht, und auch nicht ein Fehler."
Er schaut mich an, und ein schwaches Lächeln zieht sich über sein Gesicht. „Danke, Livi," sagt er schließlich, und seine Stimme ist weich. „Danke, dass du immer irgendwie da bist, um mir den Kopf zurechtzurücken."
Ich erwidere sein Lächeln. „Ich hab das Gefühl, du brauchst mich ziemlich oft für sowas. Und dafür bin ich ja da, oder?" Ich ziehe ihn leicht an mich und gebe ihm einen kleinen Knuff auf die Schulter.
Für einen Moment sitzen wir schweigend da, bis Julian schließlich, erschöpft, den Kopf hängen lässt. „Weißt du, ich bin einfach müde. Von allem. Vom Druck, von den Erwartungen... manchmal wünschte ich, ich könnte einfach für einen Moment abschalten und das alles vergessen."
„Dann mach das, wenn auch nur für heute Abend," schlage ich vor. „Vergiss für den Moment alles und denk nicht daran, was morgen ist oder was andere denken könnten. Heute Abend geht's nur um dich."
Er nickt leicht und lehnt sich ein Stück weiter zurück. „Ich werde's versuchen," murmelt er.
„Na dann komm! Heute Abend geht's nur um dich" sage ich entschlossen und ziehe ihn auf die Füße.
„Was wird das?" fragt er skeptisch. Ich zucke nur grinsend mit den Schultern, ehe ich ihm seine Sneaker zuwerfe und ihn an die Hand nehme.
„Livi, was wird das?" fragt er erneut, als ich ihn in den Essensaal schleife.
„Hör auf zu fragen. Wir essen jetzt was!" sage ich selbstsicher. Ich drücke Julian auf einen der Stühle runter und begeben mich anschließend in die angrenzende Küche. Zu meinem Glück ist einer der Köche noch da. Sofort frage ich ihn nach einem Stück Torte. Ich war sofort erleichtert, als er mir ein riesiges Stück aus dem Kühlschrank gibt. Mit zwei Gabel und dem Stück Torte setzte ich mich wieder zu Julian.
„Sahnetorte?" fragt er verwirrt.
„Jetzt tue nicht so Juli. Ich weiß, dass das deine Lieblingstorte ist." sage ich ernst und reiche ihm eine Gabel rüber. „Außerdem ich frustessen die beste Medizin!" Nuschel ich und stecke mir eine Gabel mit Torte in den Mund.Er fing automatisch an zu grinsen „Du bist noch immer so verrückt" schüttelt er lachend den Kopf, ehe auch er sich ein Stück Torte in den Mund schiebt.
Nach einer guten Halben Stunde, haben wir uns wieder auf den Weg nach oben gemacht. Julian bestand darauf, die fünf Meter von seinem Zimmer noch weiter zu gehen, um mich zu meinem zu bringen.
„Danke Livi. Wirklich." sagt er ruhig und zieht mich in seine Arme. Ich schloss meine Arme direkt um seinen Körper „Lass es. Du warst für mich da. Jetzt war ich für dich da. Das machen beste Freunde doch so, oder etwa nicht?" grinse ich ihn an, nachdem wir uns lösen.
„Definitiv" antwortet er lächelnd „Schlaf schön Livi".
„Du auch Juli. Wenn was ist, komm vorbei" zwinker ich ihm noch zu, ehe ich in meinem Zimmer verschwinde.

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When we meet again
FanfictionOlivia hat in ihrem Leben mehr Kämpfe ausgefochten, als sie zählen kann. Aufgewachsen, immer mit dem Gefühl, funktionieren zu müssen, statt wirklich zu leben. Julian, den sie wegstößt, weil sie glaubt, nicht gut genug zu sein. Julian, mit dem sie v...