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Es war erst die dritte Woche in dieser Mannschaft, aber mir kam es vor, als hätte ich Monate voller Hochs und Tiefs hinter mir. Normalerweise bin ich gut darin, Distanz zu wahren, vor allem im Job. Aber hier ist das extrem schwer. Vielleicht liegt es daran, dass Julian mir schon zu sehr auf die Pelle rückt. Er hatte oft genug schon mehr von mir gesehen, als ich zeigen wollte. Nervt mich mit seiner Art, bringt mich aber dennoch zum Lachen.

Die Jungs waren beim Training und ich stand wie immer am Rand, beobachtete, achtete auf ihre Gesundheit und ihre Bedürfnisse. Doch heute war es anders. Ich fühle mich merkwürdig unruhig, als ob ein Gewicht auf meiner Brust liegt. Ich habe doch selbst keine Ahnung, aber irgendwie überkam mich immer wieder das Gefühl, hier nicht hinzugehören. Ich will nicht, dass jemand meine Schwächen sieht. Und die Jungs mit ihren dummen Sprüchen in meine Richtung, arghhh. Ich weiß es ist nur Spaß, wenn sie sagen „Hilfe Hilfe, mir geht's so dreckig. Olivia, mentale Unterstützung bitte" und dann immer dieser Theatralische Ton dabei. Als würden sie sich ständig über mich lustig machen. Es nervt einfach nur. Und bringt mir dadurch nur noch mehr Unsicherheit. Unsicherheit, mit der ich einfach nicht klarkomme.

Gerade als ich in meinen Gedanken versunken war, schlich sich Julian unauffällig an mich heran. „Na, Livi, hast du dich schon entschieden, mich doch noch zu ignorieren?" Sein Grinsen war ansteckend, aber ich tat mein Bestes, kühl zu bleiben.

„Nicht genug zu tun oder was?" murmelte ich und verschränkte die Arme. Aber er blieb hartnäckig, lehnte sich grinsend neben mich und musterte mich eindringlich. Irgendwie hatte er es zur Kunstform gebracht, mich mit einem Blick gleichzeitig zu nerven und zu beruhigen.

„Ich kann dich einfach nicht so stehen lassen", sagte er schließlich und tat so, als würde er besonders interessiert aufs Spielfeld schauen. „Du schaust aus, als würdest du gerade eine wichtige Entscheidung treffen."

„Und wenn schon", entgegnete ich schnippisch und tat, als würde ich mich wieder auf das Training konzentrieren. „Nicht alles, was ich denke oder tue, ist dein Business, Juli."

„Oh, jetzt werde ich wieder Juli genannt. Interessant", grinste er weiter und trat ein wenig zur Seite, ließ mich aber nicht aus den Augen.

„Es geht mir gut", log ich, während ich meinen Blick stur geradeaus hielt. „Kümmer dich einfach um deinen eigenen Scheiß."

Julian verschränkte die Arme und nickte leicht, ohne wirklich überzeugt zu sein. „Weißt du, Livi, das Problem ist, dass ich dich kenne. Und du siehst nicht aus wie jemand, dem es gerade gut geht."

Ich verdrehte die Augen und versuchte, cool zu bleiben, aber innerlich kämpfte ich schon. Mein Brustkorb war schwer, und die Unsicherheit nagte an mir. „Du kennst mich doch kaum", flüsterte ich schließlich, fast so leise, dass er es nicht hören konnte.

Aber natürlich hörte er es. „Vielleicht nicht so gut wie jemand, der jahrelang mit dir zusammen war", sagte er und klang dabei überraschend ernst. „Aber gut genug, um zu wissen, dass es dir nicht gut geht. Du vergisst, dass ich dich kenne Livi. Auch wenn es Jahre her ist. Ich kenne dich einfach."

Ich war sprachlos. Als er meinen Blick auffing, schlich sich ein Lächeln in seine Augen – ein warmes, verstehendes Lächeln.

Die Jungs hatten inzwischen das Training beendet und kamen gut gelaunt und voller Energie vom Platz. Marco und Marius blieben kurz stehen und sahen Julian und mich an, dann grinsten sie. „Na, alles okay bei euch beiden?" fragte Marius grinsend.

„Ja, alles in bester Ordnung", antwortete ich schnell und zwang mir ein Lächeln auf. Ich wollte nicht, dass die Jungs merkten, dass ich gerade eine emotionale Achterbahnfahrt durchlebte.

Aber als Julian mich weiter anlächelte und meine Fassade durchschaute, wusste ich, dass er nicht so leicht aufgeben würde. Nachdem die Jungs verschwunden waren, stand er wieder neben mir und ließ mich nicht aus den Augen. „Livi, hör zu", begann er ernst, „ich sage das nicht oft, aber ich verstehe es wirklich, wenn jemand seine Gefühle verstecken will. Wir alle machen das ab und zu. Aber das hier ... du machst dir selbst das Leben schwer."

Ein Teil von mir wollte ihm widersprechen, ihm sagen, dass er keine Ahnung hätte. Aber das wäre eine Lüge gewesen. Tief in meinem Inneren wusste ich, dass er Recht hatte. Ich hatte Angst, dass die Jungs meine Unsicherheiten bemerken könnten. Ich hatte Angst, dass sie mich nicht mehr als die „Starke" sehen würden, wenn sie wüssten, was wirklich in mir vorgeht.

„Was ist eigentlich dein Problem, Julian?" fragte ich schließlich und wandte mich ihm zu, mein Gesicht ernst. „Warum bist du so verdammt interessiert daran, was ich denke und fühle? Warum kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?"

Julian seufzte und schaute mich eindringlich an. „Weil ich sehe, wie du dich hier kaputt machst. Weil ich weiß, dass es dir besser gehen würde, wenn du dich nicht immer so verstellen müsstest."

Seine Worte trafen mich tief. Plötzlich spürte ich, wie die Mauer um mein Herz anfing zu bröckeln. Ich schluckte und sah ihn an, wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich konnte die Wahrheit nicht länger leugnen – er hatte mich durchschaut.

„Julian", sagte ich leise, „ich weiß einfach nicht, wie ich ... damit umgehen soll. Ich habe das Gefühl, dass ich immer stark sein muss, dass ich für die Jungs da sein muss, dass ich meine eigenen Probleme beiseite schieben muss."

„Aber warum?" fragte er sanft. „Warum glaubst du, dass du immer stark sein musst? Du bist doch auch nur ein Mensch, Livi. Die Jungs würden es verstehen. Du musst nicht perfekt sein."

Ich hatte so lange versucht, perfekt zu sein, alles im Griff zu haben, dass ich vergessen hatte, dass es okay war, auch mal Schwächen zu zeigen. „Ich ... ich weiß nicht, Julian. Ich hab einfach Angst, dass ich nicht gut genug bin."

Julian lächelte leicht und legte eine Hand auf meine Schulter. „Livi, du bist mehr als gut genug. Und die Jungs wissen das. Du bist für sie da, du kümmerst dich um sie. Sie werden dich respektieren, egal was passiert. Vertrau mir. Ich tue es doch auch".

Zum ersten Mal seit langem hatte ich das Gefühl, dass jemand mich wirklich verstand. Julian sah mich nicht nur als die „starke", sondern als die Person, die ich wirklich war – mit all meinen Ängsten und Unsicherheiten.

„Danke, Julian", flüsterte ich schließlich und zwang mich zu einem Lächeln. „Danke, dass du mich daran erinnerst, dass ich auch nur ein Mensch bin."

Er lächelte zurück und klopfte mir auf die Schulter. „Jederzeit, Livi. Jederzeit."

In diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich die Distanz zu Julian ohnehin nicht wahren kann. Aber vielleicht ist das auch gut so. Vielleicht hilft er mir ja. Vielleicht schaffe ich durch ihn, mich endlich wieder normal zu fühlen.

When we meet againWhere stories live. Discover now