Seit einer halben Stunde nahm ich kaum noch etwas von den Gesprächen der Jungs wahr. Ihre Stimmen waren nur ein entferntes Hintergrundrauschen, während meine Gedanken in eine andere Richtung drifteten. Erst als Nico mich direkt ansprach, wurde ich wieder ins Hier und Jetzt gerissen.„Oliviaaa? Bist du noch da?" Sein amüsiertes Lachen ließ mich aufschrecken.
„Ähh, ja klar," antwortete ich hastig und setzte mich ein wenig aufrechter hin.
„Also?" Er hob eine Augenbraue.
„Sorry, ich hab wohl nicht zugehört." Ich schüttelte leicht den Kopf und zwang mich, mich zu konzentrieren.
„Okay, dann nochmal. Wir gehen der Reihe nach – jetzt bist du dran. Erster Kuss. Name?" fragte er grinsend.
„Oh, ach so... Äh, ja. Jule." Ohne nachzudenken, zeigte ich auf ihn.
Kaum war das Wort ausgesprochen, hätte ich mir am liebsten selbst auf die Stirn geschlagen.
„Nein, du bist dran. Jule kommt erst nach dir," stellte Marius klar und runzelte die Stirn. Alle sahen mich gespannt an.
Warteten die jetzt ernsthaft auf eine Antwort? Hatte ich nicht gerade gesagt, dass es Julian war? Oder stand ich auf dem Schlauch?
„Hat sie doch gesagt. Ich war's," bestätigte Julian lachend.
Für einen Moment herrschte Stille.
Dann brach ein Chor aus „Warte, was?!" über uns herein.
Ich seufzte innerlich.
„Jule und ich waren ein Paar. Vor acht Jahren," erklärte ich betont deutlich, falls es immer noch jemand nicht verstanden hatte.
„Und damit's weitergeht: Olivia war auch mein erster Kuss," fügte Julian locker hinzu.
Die Jungs starrten uns verblüfft an – manche grinsend, andere mit hochgezogenen Augenbrauen.
„So, nächster," meinte Julian schnell, um das Thema abzuhaken.
Doch Marius schüttelte entschlossen den Kopf. „Nein, nein. Wir wollen jetzt erstmal mehr über euch zwei wissen."
Ich unterdrückte ein Seufzen.
„Was wollt ihr denn wissen?" fragte ich, in der Hoffnung, dass es schnell vorbei war.
Julian zuckte neben mir mit den Schultern, als wäre es ihm völlig egal.
„Drei Fragen, dann machen wir weiter," entschied er schließlich.
Mats war der Erste, der sich meldete. „Wie habt ihr euch kennengelernt?"
Ich lehnte mich ein Stück zurück.
„In der Schule. Julian kam neu dazu, und irgendwann sind wir in der Mensa aufeinandergetroffen."
Julian grinste. „Genau! Und mit ‚aufeinandergetroffen' trifft es perfekt. Du bist gegen mich gelaufen und hast mir die komplette Tomatensuppe über den Pulli gekippt."
Die Jungs brachen in Gelächter aus.
„Ja... war mir ultra unangenehm," gab ich zu und lachte mit.
Gregor stellte die nächste Frage: „Wie lange wart ihr zusammen? War ja in Wolfsburg, oder?"
Ich zog eine Augenbraue hoch. „War das jetzt eine Frage oder eine Feststellung?"
„Definitiv eine Feststellung," warf Marco ein und grinste.
„Gut, dann bestätige ich das einfach. Ja, wir waren in Wolfsburg, etwas länger als ein Jahr zusammen."
Julian nickte nur. Mehr gab es dazu auch nicht zu sagen.
Dann kam die letzte – und unangenehmste – Frage.
„Warum habt ihr euch getrennt?" wollte Nico wissen.
Ich warf Julian einen kurzen Blick zu. Er nickte mir zu, als Zeichen, dass ich es ruhig erzählen konnte.
„Es kam von einem Tag auf den anderen," begann ich. „Er schrieb mir eine Nachricht und war weg."
„Jule, man. Das ist voll mies," meinte Marco mit gespielter Entrüstung.
Julian seufzte. „Ich war fünfzehn, man. Ich wusste doch selbst nicht, was ich tat. Dann kam das Angebot aus Leverkusen, und ich hatte keine Ahnung, wie ich Olivia das sagen oder mich verabschieden sollte."
„Trotzdem – einfach nur eine Nachricht? Das ist schon echt scheiße, Bro," mischte sich Marius ein.
Ich hob abwehrend die Hände. „Ach, Jungs. So schlimm war es auch nicht. Wir waren Teenager. Jeder kennt doch seine erste Beziehung. Für mich war's nicht dramatisch."
Julian sah mich an und formte lautlos ein Danke mit den Lippen. Ich zuckte leicht mit den Schultern und lächelte kurz.
Zum Glück ließen die Jungs das Thema daraufhin fallen, und das Gespräch nahm wieder seine gewohnte Richtung.
Gerade als ich mir eine Gabel voll Essen in den Mund schob, kam von Mats die nächste Frage.
„Sag mal Olivia, wie alt bist du eigentlich geworden heute?"
Da ich nicht direkt antworten konnte, tat es plötzlich Julian für mich.
„23, stimmts?"
Ich nickte, während ich noch kaute.
Das Essen neigte sich langsam dem Ende zu, und die Jungs waren wieder in ihre Fußball-Diskussionen vertieft. Ich hingegen konzentrierte mich mehr darauf, meinen Jumpsuit nicht zu bekleckern.
Doch dann richtete sich Gregor plötzlich wieder an mich.
„Sag mal, Olivia, was machst du eigentlich so? Abgesehen von der Arbeit? Wir wissen ja fast gar nichts über dich."
So langsam hatte ich das Gefühl, dass das hier ein Verhör war. Noch nie wurde ich an einem einzigen Tag so viele Fragen gestellt.
„Äh... nichts. Was soll man schon sonst so machen?" Ich zuckte mit den Schultern.
„Keine Hobbys? Irgendwas, was du gerne machst oder wofür du dich interessierst?" hakte Marco nach.
Ich überlegte kurz. „Nun... ich war mal im Leichtathletik. Und Tennis kann ich vielleicht ein bisschen – hab einige Jahre im Verein gespielt."
Jamie schnaubte. „Vielleicht ein bisschen? Jedes Mal, wenn wir mit den anderen aus dem Haus zum Padeltennis gehen, zockst du uns gnadenlos ab. Du bist nicht nur gut."
„Da muss ich Jamie recht geben. Du hast damals schon echt krass gespielt," stimmte Julian zu.
Ich zuckte die Schultern. „Ja, naja... vielleicht war ich auch ein bisschen besser als ‚nur gut'."
„Und jetzt spielst du gar nicht mehr?" fragte Mats neugierig.
„Nee, hab vor vier Jahren aufgehört. Keine Zeit mehr."
Verständnisvolles Nicken von allen Seiten – dann war das Thema endlich erledigt, und die Jungs tauchten wieder in ihre Fußball-Welt ein. So nannte ich es gern, weil es manchmal so wirkte, als gäbe es für sie nichts anderes im Leben.
Ein unwillkommener Besuch
Wir blieben nicht mehr allzu lange im Restaurant. Schließlich mussten alle morgen früh raus.
Mit dem gleichen Bus fuhren wir zurück zum Hotel.
Kaum hatte ich mein Zimmer betreten, ließ ich mich ins Bett fallen. Ich wollte nur noch schlafen und den Tag hinter mir lassen. Dieses ständige „Ich verstecke meine Gefühle"-Ding machte mich fertig.
Aber so war ich nun mal.
Dass ich mich gestern Abend bei Julian ausgeheult hatte, sollte nicht nochmal vorkommen. Dass ich überhaupt mit ihm darüber geredet hatte, war ein Wunder. Normalerweise öffnete ich mich niemandem.
Und das hier war mein Job. Zu viel Privates hatte da keinen Platz.
Gerade als meine Augen zufielen, klopfte es an meiner Tür.
Ich seufzte.
Wer wollte jetzt noch etwas? Hatte ich irgendwas vergessen?

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When we meet again
FanfictionOlivia hat in ihrem Leben mehr Kämpfe ausgefochten, als sie zählen kann. Aufgewachsen, immer mit dem Gefühl, funktionieren zu müssen, statt wirklich zu leben. Julian, den sie wegstößt, weil sie glaubt, nicht gut genug zu sein. Julian, mit dem sie v...