Es ist früh, viel zu früh für meinen Geschmack, aber die Nacht war überraschend ruhig, zumindest nach allem, was passiert ist. Irgendwann muss Julian wohl eingeschlafen sein, nachdem wir fast die halbe Nacht im Wohnzimmer gesessen und geredet hatten. Es tat gut, jemanden bei sich zu haben, jemanden, der verstand, ohne dass ich viel erklären musste. Und jetzt sitzt er, die Decke bis zur Brust hochgezogen, mit zerzausten Haaren und schläfrig zusammengekniffenen Augen auf meiner Couch.
Ich bringe ihm eine Tasse Kaffee und setze mich neben ihn auf die Couch. „Guten Morgen, Schlafmütze."
Julian nimmt die Tasse mit einem schiefen Lächeln entgegen. „Guten Morgen. Ich wollte eigentlich nicht einschlafen."
„Ach, wirklich? Ich hab dich kaum aus dem Zimmer bekommen," necke ich ihn, und er lacht leise, etwas verlegen.
„Na gut, vielleicht wollte ich sicherstellen, dass es dir gut geht," sagt er und nimmt einen Schluck Kaffee. Seine Stimme ist noch rau vom Schlaf, und seine Augen mustern mich aufmerksam. „Aber ehrlich gesagt, hätte ich nicht erwartet, so schnell einzuschlafen. Dein Sofa ist überraschend gemütlich."
Wir schweigen für einen Moment, beide etwas unsicher darüber, wie wir das Thema von gestern Nacht wieder aufnehmen sollen, wenn überhaupt. Doch das Schweigen ist angenehm und nicht belastend. Die Nacht hat einiges von meiner Anspannung genommen, und zum ersten Mal seit Langem fühle ich mich ein wenig leichter. Vielleicht liegt es an Julian oder daran, dass ich endlich jemanden gefunden habe, dem ich mich öffnen konnte, aber das Gefühl ist irgendwie beruhigend.
„Also... was steht heute an?" fragt Julian schließlich und stellt seine leere Tasse auf den Couchtisch.
Ich zucke mit den Schultern. „Nichts Großes. Eigentlich wollte ich nur einen ruhigen Tag verbringen." Ich sehe ihm an, dass er einen Moment zögert, als wollte er mir etwas vorschlagen, aber dann entscheidet er sich offenbar dagegen. Stattdessen schaut er auf seine Uhr und macht Anstalten, aufzustehen.
„Ich sollte dann mal los," sagt er, obwohl er noch etwas verschlafen aussieht und mir irgendwie leid tut, dass er sich jetzt wieder auf den Weg machen will.
„Du kannst noch bleiben, wenn du möchtest," sage ich leise, ohne ihn direkt anzusehen. „Ich meine... falls du nichts anderes vorhast." Ich höre den zögernden Ton in meiner Stimme, und Julian lächelt leicht, als er das bemerkt.
„Na gut, wenn du schon so nett fragst," antwortet er scherzhaft und setzt sich wieder auf die Couch, wobei er sich demonstrativ zurücklehnt, als hätte er nicht die Absicht, so schnell wieder zu gehen.
Ich schüttle den Kopf und verdrehe spielerisch die Augen, aber eigentlich bin ich ziemlich erleichtert. Es fühlt sich gut an, ihn hier zu haben, und obwohl wir beide wissen, dass er irgendwann gehen muss, will ich den Moment noch ein wenig hinauszögern.
Nach dem Frühstück, was bei uns beiden nur aus ein paar Toasts und einem zweiten Kaffee bestand, saßen wir erst einmal Still auf der Couch.
Ich holte tief Luft, spürte, wie mein ganzer Körper sich anspannte, während ich versuchte, die Worte zu finden. Julian saß mir gegenüber, und ich wusste, dass ich ihm irgendwie erklären musste, was in mir vorging. Er sah mich einfach nur an, ohne zu drängen, was mir etwas Mut gab. Aber das machte es trotzdem nicht leichter.
„Es ist... schwer zu erklären," begann ich schließlich leise und senkte den Blick auf meine Hände, die immer noch zitterten. „Ich dachte wirklich, ich hätte das längst hinter mir gelassen. Jonas und ich, das ist... kompliziert gewesen. Ich dachte immer, dass ich Dinge tue, weil ich es auch will. Er hat immer alles verdreht. Mich glauben lassen, dass ich das alles wollte. Doch mir ist jetzt klar, dass ich das nie wollte. Nur habe ich es in der Beziehung mit ihm einfach nicht gesehen. Es war einfach so normal für mich." Meine Stimme brach für einen Moment, und ich fühlte, wie mein Herz schneller schlug.
Julian sagte nichts, aber das war gut. Genau das, was ich brauchte.

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When we meet again
FanfictionOlivia hat in ihrem Leben mehr Kämpfe ausgefochten, als sie zählen kann. Aufgewachsen, immer mit dem Gefühl, funktionieren zu müssen, statt wirklich zu leben. Julian, den sie wegstößt, weil sie glaubt, nicht gut genug zu sein. Julian, mit dem sie v...