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Die erste Halbzeit läuft bereits seit mehr als einer halben Stunde. Was da auf dem Platz passiert? Keine Ahnung. Meine Gedanken sind gerade überall, aber nicht hier. Ich bin nicht bei den Jungs. Ich bin nicht beim Spiel. Also körperlich schon. Körperlich sitze ich hier auf der Auswechselbank. Selbst mein Blick ist auf das Spielfeld gerichtet. Aber was da passiert, kann ich nicht sagen. Ich bin überfordert. Überfordert mit der Situation, die Konfrontation mit Jonas, die wie ein ständiges Pochen in meinem Kopf widerhallt.

Ich blinzele und versuche, mich auf das Spielfeld zu konzentrieren, den Lärm der Fans, die Anweisungen von Edin und das Klatschen der Bälle auf dem Rasen. Doch es hilft nicht. Alles verschwimmt, und mein Kopf zieht mich wieder zurück in diesen kurzen Moment, als Jonas plötzlich vor mir stand. Sein Blick, seine Worte, ein Sturz in eine Vergangenheit, die ich längst begraben wollte.

Zweite Halbzeit

Ich bin immer noch dabei, einen klaren Kopf zu fassen, als ich plötzlich bemerke, dass Jonas sich wieder nähert. Er wirkt ruhig, unauffällig, aber ich merke, dass er die Momente abpasst, in denen niemand hinsieht. Sein Blick ist eindringlich, und ich spüre, wie mir ein Schauer über den Rücken läuft.

„Olivia, bitte... nur eine Sekunde," murmelt er, beinahe flehend, und tritt so nah an mich heran, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüre.

Ich wende mich ab und versuche, Abstand zu gewinnen, aber er tritt nur dichter an mich heran. Seine Hand berührt mein Handgelenk, leicht, aber mit einem Druck, der mir viel zu vertraut und viel zu intensiv ist. Es ist, als würde meine Kehle zuschnüren, und ich fühle mich wie erstarrt.

„Jonas... hör auf, bitte..." flüstere ich kaum hörbar, aber er lässt nicht locker. Meine Hände zittern, und mein Blick schießt über das Spielfeld, in der Hoffnung, dass Julian mich irgendwie sieht. Tatsächlich fängt sein Blick meinen auf, und für einen Moment sieht er mir direkt in die Augen. Er hält mitten im Laufen inne und mustert mich – ein Ausdruck von Sorge und Verwirrung in seinem Gesicht, auch wenn er nichts Genaues wissen kann.

Gerade, als Jonas noch einmal nach meiner Hand greift, höre ich Edins Stimme: „Olivia! Kannst du kurz herkommen?"

Ich kann mich endlich aus der Situation lösen, Jonas' Griff abschütteln, und ich gehe zu Edin, auch wenn meine Beine sich wie Blei anfühlen. Ich schenke Julian ein kurzes, beruhigendes Lächeln, das ihm zeigen soll, dass ich okay bin. Aber das bin ich nicht.

Die Jungs gewinnen. Mit einem Tor. Keine Ahnung wer es geschossen hat. Doch den Sieg mit ihnen feiern kann ich gerade einfach nicht.
Die Jungs haben sich gut geschlagen, aber in meinem Kopf war das Spiel nur ein verschwommener Hintergrund. Ich bin die Erste, die den Spielfeldrand verlässt und in Richtung Mannschaftsbus geht. Meine Schritte sind schnell und zielstrebig, als hätte ich nur ein Ziel: weg. Einfach nur weg.

Im Bus angekommen, setze ich mich ganz hinten in die Ecke und schließe die Augen. Mein Körper zittert, und ich will einfach nur in Ruhe gelassen werden. Die Geräusche des Stadions hallen noch in meinen Ohren, aber in mir ist es still. Ich atme tief ein und versuche, mich zu sammeln, doch das Gefühl von Jonas' Griff und sein eindringlicher Blick lassen mich nicht los.

Kurz darauf füllt sich der Bus mit den Stimmen und Gelächter der Jungs, die gerade das Spiel diskutieren. Ich spüre, wie sich jemand neben mich setzt, aber ich reagiere nicht, bis eine Hand sanft meine Schulter berührt. Ich zucke zusammen und reiße die Augen auf.

„Livi? Was ist los?" Julian sieht mich besorgt an, seine Hand noch auf meiner Schulter.

Ich schüttle den Kopf, ziehe meine Kopfhörer wieder auf und blicke stur aus dem Fenster. Doch Julian bleibt hartnäckig.

„Hey," sagt er leise. „Red mit mir, Livi. Du weißt, dass du mir vertrauen kannst, oder?"

Ich schlucke und merke, dass meine Augen feucht werden. Ich will nicht, dass er das sieht, aber seine Worte brechen etwas in mir auf. Langsam nehme ich die Kopfhörer wieder ab und atme tief durch, bevor ich ihm endlich antworten kann.

„Julian, es... es ist nichts, okay?" Ich versuche zu lächeln, aber es fühlt sich gekünstelt an. „Es ist einfach... zu viel heute."

Er zieht die Augenbrauen zusammen und sieht mich einen Moment nur schweigend an, als wolle er in meinen Gedanken lesen. „Livi, ich kenne dich besser, als du denkst. Was ist wirklich los?"

Die Worte bleiben mir im Hals stecken. Schließlich wage ich es, ihm einen kurzen Blick zuzuwerfen. „Es ist kompliziert, okay? Ich... ich kann's einfach nicht erklären."

Julian nickt, auch wenn ihm die Sorge ins Gesicht geschrieben steht. „Du musst nicht alles erklären. Aber du musst auch nicht allein sein, verstehst du?"

Sein Tonfall ist so ernst und sanft zugleich, dass ich spüre, wie sich der Kloß in meinem Hals etwas löst.

Den Rest der Fahrt herrscht Stille zwischen Julian und mir. Ich starre weiterhin aus dem Fenster, meine Kopfhörer auf den Ohren, ohne die Musik wirklich wahrzunehmen. Alles in mir schreit nach Abstand, nach einem Moment, in dem ich einfach allein sein kann. Julian sagt nichts mehr, und ich bin insgeheim dankbar, auch wenn mir sein stummer Blick, der voller Sorge auf mir ruht, nicht entgeht.

Als der Bus endlich am Hotel hält, bin ich die Erste, die sich vom Sitz erhebt. An Julian vorbei geschoben, gehe ich aus dem Bus. Ohne mich zu verabschieden, gehe ich mit schnellen Schritten geradewegs zu meinem Auto. Ich höre die anderen reden und lachen, höre Julian rufen, doch ich lasse mich nicht aufhalten. Kaum sitze ich im Auto, lasse ich den Motor an und fahre los. Die ganze Fahrt über fühlt sich alles wie in Trance an. Die Lichter der Stadt verschwimmen zu einem Wirbel, der mir die Sicht auf die Welt draußen nimmt.

Endlich daheim, schließe ich die Tür hinter mir und lehne mich für einen Moment dagegen. Alles ist still, doch in mir brodelt es. Mein Atem geht unregelmäßig, und mein Herz schlägt schwer. Kaum habe ich den ersten Schritt ins Wohnzimmer gemacht, spüre ich, wie meine Beine zittern und unter mir nachgeben. Ich sinke auf die Knie und kann die Tränen nicht länger zurückhalten.

Mit jedem Atemzug scheint die Anspannung, die ich so lange in mir aufgestaut habe, über mir zusammenzubrechen. Jonas' Worte, seine Berührungen, seine Nähe, alles hallt in mir nach wie ein Schatten, der mich nicht loslässt. Der Schmerz, die Wut, das Gefühl der Ohnmacht prasseln auf mich ein, bis ich einfach nicht mehr kann.

Meine Gedanken drehen sich in einem endlosen Kreis. Wie konnte ich ihn jemals lieben? Wie konnte ich ihm vertrauen? Der Gedanke daran, dass Julian all das mitbekommen hat, verstärkt meine Verzweiflung noch mehr. Die Freundschaft, die wir in den letzten Wochen aufgebaut haben, fühlt sich jetzt wie etwas Zerbrechliches an, das ich nicht zerstören will, und doch drängt sich die Angst auf, dass er mich nicht mehr so ansehen wird wie zuvor, wenn er weiß, was passiert ist.

Ich sitze am Boden, meine Arme um meine Knie geschlungen, und lasse die Tränen einfach fließen. Es gibt keine klaren Gedanken mehr, nur das Gefühl, verloren zu sein.

When we meet againWhere stories live. Discover now