15.06.2015

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Fabian
      

Das Fenster war geöffnet und frische Vormittagsluft kam herein, als ich in dem kleinen, weißen und übersehbaren Therapiezimmer auf einer der Stühle im Stuhlkreis saß und den anderen gerade dabei zuhörte, welche neue Erkenntnisse und Besserungen die anderen bereits hinter sich hatten. Ich fröstelte etwas, da es heute nicht besonders warm zu sein schien und ich vor knapp einer Stunde gerade einmal geduscht hatte. Ich beugte mich etwas nach vorne und starrte nachdenklich auf meine einigermaßen ruhigen Hände, als Richard, ein 32-Jähriger Mann, der schon seitdem er volljährig war, also so alt wie ich, verschiedene Drogen konsumiert hatte, aber letztendlich voll abgestürzt war, zu reden begann. Ihm sah man das auch richtig an. Denn vom Aussehen her wirkte er richtig alt, mit tiefen Falten und allem drum und dran. So sah er nicht mehr aus wie 32 sondern wie Mitte 40 oder so. Mindestens. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Gott, so wollte ich nicht enden… Ich würde auch von jetzt an die Finger von Drogen lassen, so viel war sicher. Denn das war pures Teufelszeug. Drogen machten mich zu einer Person, die ich nicht war und auch nicht nur ansatzweise sein wollte. Im Inneren hörte ich schon, wie mich mein Psychologe förmlich auslachte… Okay, vermutlich würde er nicht lachen. Mich besorgt ansehen vielleicht und mir sagen, dass die Rate der Rückfälle in der Regel viel höher war als die der Erfolge nie wieder mehr irgendwo reinzurutschen. Das war mir auch klar. Aber ich wollte es wenigstens versuchen. Für verdammt nochmal alle Personen, die mir wichtig waren. Für meine Schwester und Alex. Waren zwar nur die beiden, aber für mich war das absolut schon genug.

Nachdenklich starrte ich weiter auf meine Hände, die sich regungslos unter meinem Gesicht befanden, da ich mich mit beiden Ellenbogen auf den Knien abstützte, während Richard weiter erzählte. Schon seit ein paar Tagen, war ich schlagartig wieder ruhiger geworden. Ungefähr knapp einem Tag, nachdem ich bei Lukas mehr oder weniger ausgerastet war und Höllenqualen durchlitten hatte. Aber jetzt… jetzt war alles weg. Kein Brennen, kein Gefühl mehr, dass ich gleich explodieren könnte… lediglich eine Art schmerzhaftes Ziehen, das ab und zu in meinem Bauch auftauchte. Viel besser schlafen konnte ich seitdem übrigens auch wieder. Besser gesagt überhaupt schlafen. Er hatte recht gehabt. Es wurde seitdem wirklich wieder besser…

        
"Diese Schmerzen… ich sag’s euch. Das war die reinste Hölle! Schweißausbrüche, Magenkrämpfe, ständiges Brennen,… Paar mal wär‘ ich fast durch die Decke gegangen. Nicht grad angenehm. Aber dann… dann wurd’s auf einmal wieder besser.", erzählte Richard gerade. Neugierig sah ich auf und direkt in das Gesicht des alternden Mannes. Ihm ging’s so wir mir. Wahrscheinlich ging es jedem hier in diesem Raum so. Und wir waren zu zehnt, also eine relativ kleine Gruppe. Nur musste man bei ihm anmerken, dass dies bereits in etwa sein dritter Klinikbesuch war, da er immer wieder rückfällig geworden war. Und jetzt durchlebte er die gleiche Scheiße bereits zum dritten Mal. Wohl immer im Hinterkopf, dass es letztendlich doch nicht funktionieren würde, da diese Abhängigkeit einfach viel zu stark war. Bis man sich am Ende komplett selbst zerstörte. Das musste so deprimierend sein… Aber leider war es einfach verdammt wahr.

Der Therapeut, ein Anfang 50-Jähriger mit bereits grauem Ansatz, welcher direkt neben mir hockte, nickte und notierte sich irgendetwas auf seinem Block. Als er wieder aufschaute fragte er: "Und was hast du getan, um den Druck auszugleichen? Damit es dir besser gehen konnte?" Während Richard noch überlegte, dachte ich für einen Moment selbst darüber nach. Was hatte ich getan, damit es mir wieder besser ging? So gut wie gar nichts eigentlich… Obwohl, doch. Ich war öfter rausgegangen, um im Park herumzujoggen. Nicht wie bei dem teilweise echt strengen Programm bei meinem Trainer am Morgen, sondern einfach so. Weil ich einen frischen Kopf bekommen wollte und diese Bewegung einfach gebraucht hatte. Ich wollte mir wieder mehr Kondition antrainieren, da ich nachdem ich hier wieder raus war, wieder anfangen wollte Fußball zu spielen. Außerdem hatte das ab dem ersten Mal, als ich am Nachmittag rausgegangen war, um zu laufen, einfach so gut getan, dass ich seitdem jeden Tag vorhatte, wenn ich Zeit hatte, rauszugehen und einfach ein bisschen zu laufen. Musste auch nicht wahnsinnig lange sein. Eine halbe Stunde reichte vollkommen. "Ich hab‘ Tennis gespielt.", erklärte Richard nun. Kurz und knapp. Der Therapeut lächelte. Und dann war auch schon der nächste dran. Es war der zweitjüngste in der Gruppe, der 21-jährige. Mark glaub ich hieß er… Und verdammt, mir fiel gerade auf, dass er der vorletzte war, bevor ich dran kam. Denn es ging so nach der Reihe. Nach ihm folgte nur noch Julia, eine Ende 30-Jährige, und dann war ich dran. Und ich hasste es vor mehreren Leuten zu reden. Da stieg immer mein Puls und ich wurde schlagartig richtig nervös. Klar, es würde nicht das erste Mal sein dass ich vor diesen Leuten redete, sie kannten sogar meinen Namen. Aber es war wie in der Schule damals. Jedes Mal auf’s Neue die Hölle. Ich hasste es, wenn sie mich dann alle anschauten, als gäbe es in dem Moment nichts Interessanteres. Und dann auch noch teilweise diese Blicke… Jap, ich fühlte förmlich schon wie meine Hände schwitzig wurden und mein Puls stieg. Ich hasste es einfach.

Aus dem Leben eines Mädchens..~♥Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt