Try Me

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"Wo warst du, Carmen?“, begrüßte mich mein Vormund Drew. Seine tiefe Stimme vibriert vor Anspannung und seine muskulösen Arme waren vor der Brust verschränkt.

"Am Strand - und du?“ Ich zog meine Schuhe aus und runzelte die Stirn, als ich darüber nachdachte, was ich falsch gemacht haben könnte. In meinem Kopf ging ich die Regeln durch, die er mir aufgeschrieben hatte. Nein, da war nichts. Ich hatte nichts falsch gemacht.

Ich habe kein Alkohol getrunken, keine Drogen genommen, war vor neun Zuhause und war auf keiner Party. Ich habe mich mit keinem Jungen eingelassen. Tatsächlich habe ich all seine Regeln befolgt.

"Ich habe dich unten am Lagerfeuer gesehen", sagte er ohne eine Miene zu verziehen. "Vom Fenster aus." Er nickte in Richtung des Panoramafensters unseres Wohnzimmers, das direkten Blick aufs Meer hatte und ignorierte einfach meine Gegenfrage.

Ich wurde plötzlich unsicher und kaute auf meiner Unterlippe herum. "War das verboten?" Es fühlte sich so lächerlich an, zu fragen ob das verboten war. Ich war schließlich anderes gewohnt, als ich bei meinem Dad wohnte.

Vor meinem Dad hätte ich mich niemals rechtfertigen müssen. Im Gegenteil. Er hatte jahrelang darauf gehofft dass ich wenigstens ein Mal zu spät und besoffen oder bekifft nach Hause kam.

Leider hatte ihn genau sein lockerer Umgang mit solchen Themen hinter Gitter gebracht.

Ohnehin habe ich mich wie die Erwachsene gefühlt. Er war für mich wie ein nerviger Mitbewohner, der es weder auf die Kette bekam hinter sich die Pizzakartons wegzuräumen noch die Rechnungen zu bezahlen. Er war ein Mitbewohner, der zu laute Rockmusik hörte und sich ohne zu fragen Geld von mir lieh, um sich Zigaretten zu kaufen.

Dass es mehrmals eine Woche lang nur kaltes Wasser oder kein Strom gab, war normal.

"Hast du getrunken?“, fragte er mich und machte einen Schritt auf mich zu.

"Nein", sagte ich wahrheitsgetreu. "Mir hat jemand was angeboten, aber ich habe abgelehnt. Ich trinke nicht."

Er kam noch einen Schritt näher und instinktiv machte ich einen großen Schritt nach Hinten.
Was dazu führte, dass er noch einen Schritt näher kam. Sein Gesicht näherte sich meinem und er nahm einen kräftigen Atemzug durch die Nase.

Dabei verließen seine leicht gekniffenen Augen mich keine Sekunde. Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der ich mir vollkommen entblößt vorkam, strich er sich über seine Bartstoppeln und murrte schließlich ein stilles "Gut."

"Fertig mit dem Verhör?", fragte ich ironisch lachend, um die Situation etwas aufzulockern. Wirklich, es kam mir vor, als wäre er noch im Dienst als Polizist, so ernst wie er mich begutachtete.

"Eine Sache noch", sagte er, bevor er sich die Lippen bleckte.
"Ich will nicht, dass du dich mit solchen Leuten triffst. Die haben einen schlechten Einfluss auf dich."

Ich verdrehte die Augen. Wenn ich alt genug für die Uni war, dann war ich auch wohl alt genug, um selbst zu entscheiden, mit wem ich meine Freizeit verbrachte. Trotzdem, er war mein Vormund - und mit ihm streiten wollte ich definitiv nicht.

Mit einem "Das habe ich auch nicht vor", ging ich die Treppen hoch in mein Zimmer.

***

Am Montag Morgens brühte ich mir grünen Tee auf, putzte mir die Zähne und zog mir eine Mom Jeans und einen beigen Cardigen an.

Ich trank meinen grünen Tee, flitzt zur Bushaltestelle und quälte mich in den überfüllten Bus, der Richtung Uni fuhr.
Und bereute es sofort.
So weit war die Uni nicht entfernt, nächstes Mal würde ich zu Fuß gehen.

Catch me if I fallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt