"Ich erwarte nicht, dass du etwas für mich empfindest", fügte ich heiser hinzu, ohne ihn anzusehen. Doch konnte ich seinen Blick auf mir spüren, was mir die Hitze in die Wangen trieb. "Ich erwarte nur, dass du verstehst, warum ich Abstand von dir brauche."Ich konnte selbst nicht fassen, dass ich gerade indirekt gestand, dass ich dabei war, mich in ihn zu verlieben.
"Wie soll ich verstehen, wenn du mir nicht erklärst, wieso?", fragte er und streifte mit seinen Fingerspitzen mein offenes Haar.
Wieso tat er mir das an? Er spielte gerade mit mir. Ich versuchte den Spieß umzudrehen. "Die bessere Frage ist doch, warum du noch hier bei mir bist."
Sein Mundwinkel hob sich. "Na, weil du mich reingelassen hast."
"Aus Höflichkeit", konterte ich.
"Soll ich gehen?", fragte er und hob provokant seine Augenbraue.
Ich schwieg. Und in meinem Schweigen fand er seine Antwort.
Er beugte sich vor. Seine Nähe und sein Duft benebelten mich. "Ich werde dich jetzt nicht alleine lassen", wisperte er mit seiner samtener Stimme.
"Warum?", keuchte ich.
"Weil ich mir gut vorstellen kann, was du gerade durchmachst. Vielleicht tust du in deinem jetzigen Zustand etwas unüberlegtes, was du im Nachhinein bereuen würdest."
"Was denn zum Beispiel?" Das einzige, was ich jetzt tun könnte und im Nachhinein bereuen würde, wäre, ihn zu küssen. Und es war auch das einzige, worüber ich gerade nachdachte, um ehrlich zu sein. Meine Augen klebten förmlich an seinen vollen, rosa Lippen.
"Den Spiegel zerschmettern und dich mit den Scherben ritzen, zum Beispiel? Oder gegen eine Wand Boxen. Den Brief zerfetzen und verbrennen. Den ganzen Tag deine Stirn wütend runzeln, so dass die Falte hier für immer bleibt", zählte er auf und deutete auf den Punkt zwischen meinen Augenbrauen, direkt über meinem Nasenbein.
Unweigerlich glättete sich meine Haut unter seiner Berührung.
"Was möchtest du denn jetzt machen, während du auf mich aufpasst?", fragte ich mit leicht genervten Unterton und lächelte.
Wortlos erhob er sich vom Bett und ging auf mein Bücherregal zu. Dann nahm er das Buch heraus, welches er mir heute zurück gebracht hatte. The dictionary of obscure sorrows.
Er schlug es in der Mitte auf und las vor sich hin. "Vellichor - die stille Weisheit, die von alten Buchläden ausgestrahlt wird - gefüllt mit tausenden von Geschichten, die man niemals alle lesen könnte." Er sah mich an und schüttelte leicht seinen dunklen Haarschopf. "Passt zu dir", bemerkte er.
Dann blätterte er weiter. "Adronitis - die Frustration darüber, wie lange es dauert, endlich jemanden kennen zu lernen." Er zog seine Augenbrauen zusammen und lachte leicht. "Hört sich an wie ne Krankheit."
Er leckte kurz seine Fingerkuppen und blätterte wieder um. "Jouska - eine hypothetische Unterhaltung mit einer Person, die nur im Kopf stattfindet." Er musste grinsen.
Ich erhob mich und wollte ihm das Buch wegnehmen. Doch er war größer als ich und streckte seine Hand mit dem Buch einfach nach oben. Dann las er noch eine Zeile vor.
"Lachesism - die Sehnsucht nach einem Sturm, einem Disaster?" Er zog skeptisch seine Augenbrauen zusammen. Ich sprang hoch und wollte nach dem Buch greifen, doch er war natürlich schneller und drehte sich um.
"Opia", las er vor. "Augenkontakt, der unter die Haut geht. Der so intensiv und intim ist, dass man glaubt, die Seele der Person in dem Glänzen der Augen erkennen zu können."
Dann ließ er das Buch sinken und sah mich an. "Ich kenne das Gefühl", gab er zu. "Du auch?"
Ich nahm ihm das Buch aus der Hand und wollte es zurück stellen, doch er packte mich am Handgelenk und zog mich näher zu sich.
Natürlich kannte ich das Gefühl. Ich hatte es mehrmals in seiner Gegenwart. Mich wunderte, dass er auch so fühlte. Aber wenn er so fühlte, wieso küsste er dann Stace? Weil er ein freier Typ sein wollte. Jemand, der machen konnte, was er wollte - und sich vor niemanden rechtfertigen musste. "Du solltest besser gehen", murmelte ich leise.
Er antwortete nicht.
Er setzte sich auf mein Bett und zog mich auf sich. Mein Herz reagierte direkt mit einem Hüpfer und schlug dann doppelt so schnell wie zuvor.
"Was machst du da?", fragte ich mit bebender Stimme.
So nah, wie ich ihm jetzt gerade war, war ich ihm noch nie. Ich saß förmlich auf seinem Schoß und hatte meine Beine links und rechts von ihm angewinkelt.
Seine Hände streiften die Strähnen, die mir über die Stirn fielen, zurück hinter meine Ohren.
Er war mir so nahe, dass mir sein vertrauter Duft in die Nase strömte. Minze und Meeresluft.
"Dein Duft macht mich verrückt", murmelte er gegen meinen Hals, so dass ich eine Gänsehaut bekam. Ich trug kein Parfum, also musste er meinen natürlich Körperduft meinen, an den ich so gewohnt war, dass ich nicht wusste, was er meinte.
Plötzlich spürte ich seine Lippen an meinem Hals und seufzte auf. Er zeichnete kleine Küsse an meiner Halsbeuge entlang und mein ganzer Körper zog sich zusammen und verharrte in diesem Moment. Ich konnte nicht einmal meinen Atem hören - was daran lag, dass ich ihn angehalten hatte.
Als er von mir abließ, sah ich in seine Augen. Was ich darin fand, machte mir Angst. Mit einem zittrigen Stoß atmete ich aus.
Wie kam es dazu, dass ich in kürzester Zeit alle Regeln brach, die ich mir selber auferlegt hatte?
Der Grund lag doch direkt vor meiner Nase. Ich atmete ihn ein und leckte mir über die Lippen.
Seine Hände fassten an meine Wangenknochen und streiften mit dem Daumen leicht über meine Wangen. Dann zog er mein Gesicht näher an seines und berührte meine Lippen sanft mit seinen.
Kurz ließ er von mir ab und sah mir wieder in die Augen. Er schloss sie und wollte seine Lippen wieder auf meine drücken. Doch ich stemmte schwach meine Hände gegen seine Brust und hielt ihn auf.
Wieso küsste er mich so sinnlich? So als würde er jeden Zentimeter meiner Berührung auskosten.
Als er Stace küsste, sah es so aus, als würde er nicht genug von ihr bekommen. Doch wie er mich küsste, zeigte, dass er sich alle Zeit der Welt nahm, zu erkunden, was er vor sich hatte.
Überrascht sah er mich an.
Ich seufzte. "Weißt du noch, als wir zusammen im Bus waren?", fragte ich.
"Welches Mal?", fragte er.
"Als du mir gesagt hast, dass Barrie mich nur ins Bett kriegen will?"
Er nickte. "Wo ich dich nach Hause begleitet habe, du aber deinen Schlüssel vergessen hast?"
Ich nickte. "Du hast gesagt du bist nicht so. Du machst deine Intentionen von vorn herein klar. Was sind deine Intentionen bei mir?"
Sein Mund klappte auf, als wollte er etwas sagen - ließ es dann aber. Plötzlich landete ich mit einem Ruck auf mein Kissen.
"Es wäre vielleicht tatsächlich besser, wenn ich jetzt gehe", meinte er und erhob sich.
Ohne ein weiteres Wort verließ er das Zimmer und ließ mich auf meinem Bett liegen.
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Catch me if I fall
ChickLitAbgeschlossen ✔️ Er verachtet sie. Er schmeckt sie. Er stürzt sie in den Abgrund. Sie fällt. Wir lagen auf den Rücken und brauchten nichts zu sagen. Ich glaubte, genau das brauchte er gerade - und ich konnte klar verstehen, wieso. Was immer ihn bedr...