Wet Hair

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Sofort hat er gesagt.

Als wäre ich sein Hündchen, das aufs Wort gehorchen musste. Dabei kannten wir uns nicht mal. Wieso redete er so mit mir? Was dachte er, wer er ist.

Mein Atem zitterte. Meine Sicht verschwamm leicht, doch ich fokussierte meinen Blick auf seine stechen grünen Augen.

"Lass mich los", keuchte ich und versuchte mein Handgelenk aus seinem Griff zu befreien.

Überraschender Weise ließ er mich direkt los. Ich hatte mit mehr Widerstand gerechnet, weshalb ich meinen Arm kräftig aus seiner Hand zog, was dazu führte, dass ich ein paar Schritte zurück taumelte.

"Was willst du von mir?" Meine Stimme klang kehlig. Mein Mund fühlte sich plötzlich furchtbar trocken an.

"Eliah", sagte er nur. "Erzähl mir alles. Worüber habt ihr geredet."

Ich schüttelte hastig den Kopf. Ich konnte mich nicht konzentrieren. Das einzige, woran ich gerade denken konnte, war, wie ich es ohne Kreislaufzusammembruch ins Gebäude schaffte, ohne das Opfer eines Blitzeinschlags zu werden.

"Raus mit der Sprache", presste er hervor und kam einen Schritt auf mich zu. Nein, nein. Bitte nicht. Nicht jetzt.

"Wieso fragst du mich und nicht ihn?", piepste ich. "Er ist doch dein Bruder. Wir haben über nichts interessantes geredet. Ich erinnere mich kaum noch..."

Es war eine Halbwahrheit. Schließlich war es subjektiv, was man unter interessant verstand.

"Hör auf zu lügen", keifte er. Seine Hände legten sich auf meine Schultern und er schüttelte mich leicht.

Oh Gott, wenn er so weiter machte, würde ich mich vor seinen Füßen übergeben. Vielleicht sollte ich das auch, damit er sich von mir fern hielt.

"Lass es bitte", hörte ich mich flüstern. "Ich gehe rein."

"Nein", widersprach er. "Du gehst erst, wenn du mir alles erzählt hast."

Wir drehten uns im Kreis. Er würde mich erst gehen lassen, wenn ich ihm was erzählte. Nur das würde ihn jetzt zufrieden stellen. "Er hat mir erzählt, dass sein Kofferraum voller Drogen ist und wenn die Polizei das wüsste, er wieder ins Gefängnis müsste", erzählte ich. "Bitte behalte es für dich, sonst..." Ich konnte nicht weiter reden.

Jared ließ meine Schultern los und raufte sich sein dunkles, nasses Haar, welches im Regen sogar schwarz wirkte. Ich hörte ihn vor sich hin fluchen, doch war die Stimme plötzlich zu weit weg, als dass ich sie hören konnte. Sie klang weit, weit weg. Redete er überhaupt? Seine Lippen, sie bewegten sich in Zeitlupe. Was?

Meine Augen kehrten sich nach innen und ich spürte, wie mein Körper herunter fuhr, wie ein Handy ohne Akku. Nein.

***

Als ich erwachte, lag ich in einem Zimmer mit weißen Wänden und weißen Papiervorhängen.

"Ah, sie ist wach!", rief eine hohe, quirlige Stimme. Ich blinzelte und sah, dass eine weiße Frau mit kurzen, schwarzen Haaren und einem Tattoo am Hals mir ins Gesicht starrte.

"Ich gehe dann jetzt, wenn ihr mich nicht mehr braucht", hörte ich eine mir bekannte Stimme sagen. Sie gehörte zu Jared. Als ich zum Tür blickte, sah ich, dass er da stand und sich gegen den Rahmen lehnte.

Sein Haar war nass und tropfte auf sein durchnässtes, weißes Shirt. Ich konnte seine Muskeln sehen, da die Nässe dafür sorgte, dass das Shirt durchsichtig und eng an ihm klebte.

Ich errötete.

"Ah, sie bekommt auch wieder Farbe", sagte die Frau hochmotiviert, ohne auf Jared's Aussage zu reagieren.

Ich erhob mich in Windeseile und blickte um mich. "Wo bin ich? Und was mache ich hier?"

Aber es fiel mir ein. Draußen hatte ich einen Kreislaufzusammenbruch. Hatte Jared etwa den Notarzt angerufen? War ich im Krankenhaus?

Die Frau lächelte mich mitleidig an. "Du bist im Krankenzimmer der NJCU. Der gute Mr. hat dich hier hoch gebracht." Sie nickte der Tür entgegen.

Als ich noch mal in Jared's Richtung schaute, musste ich enttäuscht feststellen, dass er nicht mehr da war. Wie - enttäuscht? Ich schüttelte über mich den Kopf.

Doch ich war irgendwie erleichtert, dass nicht der Notarzt wegen mir kam. "Kann ich jetzt gehen?", fragte ich, als ich mich vom Rand der Pritsche erhob. "Mir geht es sehr gut", beteuerte ich.

Nicht, dass ich nach Hause kam und Drew sich fragte, wo ich die ganze Zeit war.

"Hier, trink erstmal was. Sollen wir deine Eltern anrufen?" Die Frau reichte mir mit ihren tättoowierten Händen eine Wasserflasche und einen Schokoriegel.

"Bist du allergisch gegen Nüsse? Ich hoffe nicht. Der junge Mann hat das gerade für dich hochgebracht." Sie zwinkerte mir vieldeutig zu.

Ich öffnete die Wasserflasche mit aller Kraft und trank aus ihr, als würde mein Leben davon abhängen. Noch nie hatte ich so schnell eine 0,5l Flasche leer getrunken.

Dann öffnete ich den Schokoriegel, der mit Nüssen und Caramelcreme gefüllt war und biss ab. Nicht nur, damit sie mich schnell gehen ließ, sondern auch, weil ich wirklich hunger hatte.

"Ich rufe jemanden an, der mich abholt. Keine Sorge", beteuerte ich. Dann erhob ich mich und ging zur Tür. "Danke", sagte ich noch mit einem Blick zu ihr.

"Selbstverständlich", murmelte die dunkelhaarige und zwinkerte mir erneut zu.

Wen sollte ich ohne Handy anrufen? Aber es gäbe sowieso niemanden hier, den ich anrufen würde. Zum einen, weil ich niemanden eine Last sein wollte und zum anderen, weil ich nicht unnötig Aufmerksamkeit auf mich ziehen wollte.

Das Gewitter nahm immer noch seinen Lauf. Ich setzte mich in die Cafeteria und hoffte, dass das Gewitter vor acht Uhr noch zuende sein würde. Ich wollte nämlich noch vor neun Uhr Zuhause sein, um meinen Vormund nicht zu provozieren.

Aber es hörte nicht auf. Der Regen nicht und das Gewitter auch nicht. Der Himmel war in so dunklen grau Tönen, dass man meinen könnte es sei schon neun, dabei war es erst kurz vor fünf.

Eigentlich liebte ich so ein Wetter. Aber nur wenn ich in meinem Zimmer saß und mir nichts passieren konnte.

Woher die Angst vor Gewitter kam? Meine Grandma hatte mir als Kind immer Horrorgeschichten darüber eingetrichtert, die auf wahrer Begebenheit beruhten. Deshalb konnte ich Menschen nicht verstehen, die keine Probleme damit hatten, bei Gewitter raus zu gehen.

Zwei Stunden wartete ich in der Cafeteria. Ich wurde in der Zeit sogar zum Streber und las mir all die Notizen, die ich bis jetzt gemacht hatte, durch.

Dann gab ich es auf, auf eine Besserung des Wetters zu warten.

Ich nahm meine kleine Tasche und ging hinaus. Ich war zwar drinnen nicht vollständig getrocknet, doch wenn es so wäre, dann hätte es nichts gebracht. Denn als ich hinaus ging, ergoss sich der Regen über mich. So wie der Regen immer kam, wenn man dachte, dass es schlimmer nicht kommen könne.

Aber ich war resilient. Mich konnte nichts so leicht aus der Bahn werfen. Auch kein Kreislaufzusammenbruch, kein Gewitter und kein Jared. Kein gewalttätiger Vormund. Kein Unistress. Klar, das ganze ließ mich nicht ganz unberührt. Aber umso stärker war ich für das Morgen gewappnet.

Als ich an der Bushaltestelle ankam, stand ich noch zwei Minuten im Regen, bis der Bus endlich kam. Ich zeigte ihm meine Fahrkarte und ging an ihn vorbei, hin zu den Sitzplätzen.

Der Bus war nicht voll um diese Uhrzeit. Schlapp ließ ich mich auf einen Sitz entgegen der Fahrtrichtung fallen.




















Catch me if I fallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt