Warm Water

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Als ich mich umdrehte, sah ich ihn. Er stand da, sah mich belustigt und mit vor der Brust verschränkten Armen an. In seinen Augen lag Schalk.

"Autsch", sagte er mit gespielter Dramatik und fasste sich ans Herz. "Du verletzt mich, Karen." Er verzog sein Gesicht zu einer Fratze, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Er machte sich über mich lustig, dieses Arschloch.

"Als du mich - zu Unrecht - beim Rektor verpfiffen hast, konntest du meinen Namen komischerweise richtig aussprechen", höhnte ich und zog eine Augenbraue in die Höhe.

"Als du mich beim Rektor verpfiffen hast, musste ich ihm 600$ geben, damit er die Situation für sich behält", konterte er.

"Was?“, fragte ich. "Ich habe dich nie beim Rektor verpfiffen."

"Und woher wusste er dann von Jared und mir?“, fragte Stace und fasste sich an ihre Hüften. Sie trug bauchfrei und an ihrem Nabel hing ein glitzerndes Piercing.

"Woher soll ich das wissen? Die Uni ist ein öffentlicher Ort, wenn ihr nicht erwischt werden wollt, dann sucht euch doch ein Schlafzimmer. Vielleicht war ich nicht die einzige, die von euren widerlichen Geräuschen auf dem Flur belästigt wurde."

"Ich habe bis jetzt noch niemanden an dieser Uni gesehen, der so spießig ist wie du", sagte Jared gelangweilt. Sein Basketballshirt und die dunkle Hose sahen gut an ihm aus. Seine Muskeln waren leicht definiert und sein Haar war vom Wind etwas durcheinander verweht. "Niemand hätte was gesagt."

"Wieso bist du dir da so sicher?“, fragte ich herausfordernd.

"Weil sie mich kennen", antwortete er schlicht. In seiner dunklen Stimme lag etwas bedrohliches. Etwas, was mir eiskalt den Rücken herunter laufen ließ.

"Hört auf, Leute!“, warf Vanessa ein. "Ich habe zwar keinen blassen Schimmer, wovon ihr gerade spricht, aber bitte verträgt euch doch einfach. Meine Güte, seid doch nicht so melodramatisch." Sie hielt sich dramatisch die Hand an die Stirn und rollte übertrieben mit den Augen.

"Nein, Vanessa." Stace sah sie ernst an. "Entweder sie oder wir. Ja, sie mag Dobbie das Leben gerettet haben. Aber das hätte ich auch getan, wenn ich da gewesen wäre. Jeder hätte das, das ist nun wirklich nichts besonderes."

"Wieso stellst du mir ein Ultimatum, Stace?", fragte Vanessa. Ihre Stimme klang plötzlich merkwürdig ruhig - so wie man es von ihr nicht gewohnt war. "Du weißt genau was ich von sowas halte."

"Und du weißt, was ich von Verrätern halte", erwiderte Stace kalt. Sie starrte beleidigt auf ihre langen Fingernägel, die sie vor sich hielt.

"Vanessa, es ist okay. Wie lange kennst du mich - erst seit einer Woche. Ich bin dir nicht böse, wenn du mit ihnen gehst." Nicht böse, aber traurig wäre ich schon. Sie war meine erste Freundin, seit dem ich hier her gezogen war. Und ihre Tarotkarten hatten uns eine gute Zukunft versprochen.

Vanessa war sichtlich hin- und hergerissen. Sie biss sich auf die Unterlippe und runzelte die Stirn. "Stace", sagte sie flehend in ihre Richtung. "Du hast gesagt du überredest Jared, dass er sich entschuldigt."

"Da wusste ich auch noch nicht, dass Carmen so eine Snitch ist", erwiderte Stace mit einem tödlichen Blick in meine Richtung.

"Wie oft noch, ich habe euch nicht verraten. Und wenn doch, dann hätte ich nichts zu verbergen", keifte ich.

Mit zweifelnd zusammengezogenen Augenbrauen sah Stace mich an. "Du kannst dich ja bei uns entschuldigen und Jared die 600$ zurück geben. Vielleicht - aber auch nur vielleicht - werden wir dann darüber hinweg sehen."

Schweigend sah ich sie - und dann Vanessa an. Vanessa formte mit ihren Lippen ein "Sorry", sprach es aber nicht laut aus. Ihre Augen sprachen Bände, es tat ihr wirklich leid.

"Lass gut sein Stace, lass uns gehen", sagte Ness und nahm Stace beim Handgelenk.

Die drei ließen mich am Strand zurück.

Zuhause stellte ich mich unter die Dusche und ließ das warme Wasser auf meine Haut prasseln.
Was für ein mieser Tag.

Ich musste ehrlich zu mir selbst sein: es war nicht leicht. Alles andere als leicht. Und genau jetzt spürte ich, wie ich meine Familie um mich brauchte. Meinen Dad. Er wusste, was zu tun war, wenn es mal nicht lief. Er schaute sich dann irgendwelche Dokus über Ufosichtungen oder verschiedenen Sekten oder Serienmorden mit mir an, bestellte eine Familienpizza Margarita und wir blieben den ganzen Tag in Chill-Klamotten.

Aber jetzt war er im Gefängnis. Und ich lebte mit meinem Vormund - meinem Stiefvater, den ich nicht wirklich kannte. Mein Dad würde ihn allein schon nicht mögen, weil er Polizist war und mein Dad Staatsfeind. Aber ich gab ihm dennoch eine Chance. Ich konnte mich glücklich schätzen, hier zu sein. Ich hätte auch in ein Heim kommen können - und dann wäre mein Traum, hier zu studieren, vielleicht komplett geplatzt.

Und Mom? Manchmal spürte ich ihre Gegenwart. Und wenn ich sie spürte, dann wurde es plötzlich warm, als würde die Sonne auf mich scheinen.

Und genau jetzt spürte ich es. Danke, Mom.




Catch me if I fallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt