Ghetto Heaven

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Ich würde am liebsten nicht nach Hause gehen, denn ich ahnte schon, was mich erwartete.

Nach Hause. Als wäre es wirklich mein Zuhause. Vielleicht war es das prachtvollste Haus, in dem ich je leben durfte. Aber mein Zuhause war es sicher nicht. Es war kalt, leer und ungemütlich. Egal wie viele Zimmerpflanzen und Polaroids mein Zimmer schmückten. Wohl fühlte ich mich trotzdem nicht.

Als ich mit meinem Dad in LA lebte, hatten wir eine wirklich kleine Wohnung. Mein Zimmer war halb so klein wie mein jetziges. Manchmal hatten wir Probleme mit Schimmel oder undichten Rohren. Oder kaltem Wasser und dünnen Wänden.

Aber die wahren Probleme waren die Schuldenberge, die Polizisten und die schmierigen Kunden.

Das waren die Gründe, warum mein Dad Nachts kein Auge zu bekam. An Nächten wie diesen standen wir auf dem kleinen Balkon.

Und während er auf das Ghetto unter uns schaute, versuchte ich ihm die leuchtenden Sterne im endlos dunklen Anthrazit zu zeigen.

Rückblickend war es absurd, wie normal mir dieses Leben vorkam. Es war alles andere als normal. Vor allem dann, wenn ich es mit dem Leben der anderen verglich. Für mich war es normal, dass Junkies und Alkoholiker bei uns willkommen waren. Mein Vater war wie Mutter Teresa unseres Ghetto Himmels. So dachte ich zumindest mit 15.

Erst jetzt war mir klar, dass es die Geldprobleme waren, die ihm dazu genötigt hatten, unser Zuhause als Hostel anzubieten. Auch wenn es nur 10$ die Nacht war, mein Dad brauchte das Geld.

Aber ja, selbst das war mehr mein Zuhause. Selbst da bin ich lieber hingegangen. Auch wenn sich immer wieder fremde Gesichter im selben Wohnzimmer aufhielten wie ich.

"Eres una rosa en la tierra", murmelte er immer beiläufig, wenn er mich sah. Das bedeutete soviel wie du bist eine Rose im Dreckhaufen. Ich hatte es selbst nie gewusst, bis er einmal so gnädig war, es mir zu verraten.

Ich dachte, ich wäre darüber hinweg, doch der Klos, der sich in meinem Hals bildete, bewies mir das Gegenteil. Meine Augen begannen zu brennen. Der Bus hielt an der Haltestelle in der Nähe meines "Zuhauses".

Auf dem Fußweg nach Hause betrachtete ich den Himmel. Alles war in ein merkwürdig goldenes Licht getaucht. Die orange Sonne schimmerte durch die grauen Wolkendecke hindurch und ein Regenbogen war über dem glitzernden Marine Blau zu sehen.

Wow. Das Meer war wunderschön. Die Erde war riesig und von oben betrachtet waren meine Probleme ganz klein. Und es war okay. Es war okay, traurig zu sein und zu weinen. Manchmal brauchte die Seele das. Einfach loslassen und sich der Traurigkeit hingeben. Für mich war das ein wunderschöner Tanz und ich wusste, dass nach meinem persönlichen, inneren Sturm auch ein Regenbogen kommen würde. Vielleicht nicht heute, oder morgen. Aber irgendwann. Daran glaubte ich ganz fest.

Als ich Zuhause ankam, wartete Drew auf mich. Er saß im Wohnzimmer auf dem Sofa und schaltete den TV auf stumm, als ich herein kam.

"Willst du mich verarschen?", zischte er leise, aber nicht minder bedrohlich.

"Ich war in der Uni", sagte ich. Meine Stimme brach. "Ich musste den Müll vom Hof sammeln."

"Du bist klatschnass", sagte er.

"Es hat geregnet", erwiderte ich platt. Es fühlte sich merkwürdig an, mich zu rechtfertigen. Jetzt erst bemerkte ich, was für ein Glück ich eigentlich mein ganzes Leben lang mit einem Dad hatte, der das Leben etwas lockerer sah und mir viele Freiheiten ließ.

"Das weiß ich." Er blickte aus dem Panoramafenster auf das Meer und den Regenbogen. Der Himmel war noch ziemlich dunkelgrau, was das Licht der Sonne nur noch kontrastreicher erscheinen ließ.

"Wo ist dann dein Problem? Muss ich jetzt auch noch Punkt genau um vier Uhr nachmittags Zuhause sein? Habe ich jetzt keine Freiheiten mehr?" Ich klang gereizter, als ich sollte. Aber ich war gereizt, zur Hölle.

"Ich bin für dich und deine Sicherheit verantwortlich", brachte Drew zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. "Und erhebst du noch einmal die Stimme, werde ich dich spüren lassen, was du davon hast."

"Willst du meinen Kopf gegen eine Wand schlagen? Ist das die Art, wie ein Polizist Probleme löst?"

"Du hast keinen Respekt", knurrte er. "Aber du bist auch bei einem kriminellen, verschuldeten Versager aufgewachsen - das erklärt alles. Was nicht heißt, dass ich dein Verhalten dulden werde."

Augenblicklich war der Klos zurück. Er wurde größer und das Schlucken fiel mir schwer. Ich war sprachlos. Ich schüttelte mit Tränen in den Augen den Kopf und wusste nicht wohin mit meiner Wut. Ich konnte gegen eine Wand boxen, ihm ins Gesicht schlagen. Mir die Haare ausreißen, gegen meine Stirn hämmern. Doch ich bewahrte Fassung. Mein Atem war tief und schwer. Mit jedem Atemzug brannte meine Kehle noch ein bisschen mehr. "Mistkerl", lief es mir über die Lippen. Meine Stimme war nur ein Hauch, nur ein Zittern. Doch genug, um ihn so zu provozieren, dass er sich blitzschnell erhob.

Seine groben, rauen Finger umschlossen meinen Hals. Geschockt ging ich ein paar Schritte zurück und meine Hände fasten an seine muskulösen Oberarme. Er spannte sie an. Ich versuchte panisch ihn wegzuschubsen, doch es ging nicht.

Und als ich die Wand an meiner Hinterseite spürte, wusste ich, dass es keinen Ausweg mehr gab.

Die Mulde zwischen seinem Daumen und Zeigefinger presste er gegen meine Kehle, so dass mir die Luft abgeschnitten wurde. Ich trat ihm gegen das Schienbein, doch er wirkte unberührt, als hätte er es nicht einmal gespürt.

Meine Augen waren weit aufgerissen und ich Blickte schnell und panisch um mich. Im Endeffekt blieben meine Augen an ihm hängen. Seine Miene war ausdruckslos, bis auf die Stirn, die er in Falten gelegt hatte. Über seinen grauen Augen zogen sich seine Augenbrauen tief zusammen.

Ich... Es fühlte sich an, als würde ich von innen verbrennen.
Meine Knie zitterten und ich strampelte mit den Füßen, bis sie nachgaben. Aber ich fiel nicht. Sein Griff war fest um meinem Hals.

Meine Lungen schmerzten wie nie zuvor in meinem Leben. Es war, als würde sie mit tausenden von Messern aufeinmal zerschnitten werden.

Meine Sich würde verschwommen. Schwarze Flecken lagen in der Luft und mein Körper wurde komplett taub.

Als er mich loslies, sank ich zu Boden. Ich schnappte hörbar nach Luft und es tat weh. Ich hielt mir mit der einen Hand an die Brust und mit der anderen Hand an meinen Hals.

"Du musst lernen dich unterzuordnen", sagte er kühl. "Nicht jeder der dir begegnet wird so gnädig sein wie ich. Eigentlich hättest du in ein Heim gemusst. Aber ich habe es deiner Mom versprochen und diesen Vertrag unterschrieben. Hätte ich gewusst was für ein verzogenes Mädchen du bist, hätte ich es mir zwei mal überlegt."

Dieser Typ war krank. Es kam mir so vor, als suchte er förmlich nach Streit. Nach einem Ventil, wo er seine Bitterkeit ablassen konnte. Als wäre das Verhaften von Kriminellen nicht Genugtuung genug. Ich sagte nichts, um es nicht noch schlimmer zu machen.

Mit einem verächtlichen Blick sah er zu mir herunter. Seine Stimme ließ meine Knochen zusammen ziehen. "Um sieben Uhr fahren wir essen."



Catch me if I fallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt