Old But Gold

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Zwei Wochen war ich schon auf der Uni. Und der einzige, der mir ab und zu Gesellschaft leistete, war Barrie.

Drew war - so wie fast jeden Tag um diese Uhrzeit - für 2 Stunden laufen. Ich durfte solange sein Auto benutzen und nutze die Zeit, um zum Secondhandshop zu fahren, der 15 Minuten Fahrtweg entfernt war.

Da ich hier aufgewachsen bin, fiel es mir leicht, mich hier zu orientieren. Auf dem Beifahrersitz hatte ich einen Sack mit all den Klamotten gelegt, die ich nicht mehr brauchte. Ich konnte sie für einen guten Zweck im Secondhand Laden verkaufen und mir für das Geld etwas anderes kaufen.

Und ich kannte Old But Gold - so hieß der Secondhandshop - nur zu gut, weil er meiner Mutter gehörte, als sie noch am Leben war.

Ich trat ein und der Duft von staubigen Holz und frischbgebrühten Kaffe stiegen mir direkt in die Nase. So wie damals, als meine Mutter hier noch gearbeitet hatte.

Mich begrüßte der vertraute Klang des Glöckchens, das immer beim Ein- oder Austretens des Geschäftes an der Tür leutete. Eine ältere Frau mit dunklen Locken wank mir zu.

Ich, mit dem Klamottensack in der Hand, ging auf sie zu.
"Hallo", sagte ich, als ich ihr den Sack entgegenreichte. "Die möchte ich gerne verkaufen."

"Aber selbstver-", die Frau stockte mitten im Satz und richtete ihre Brille gerade. "Das kann nicht sein.."

Verwundert zog ich meine Augenbrauen zusammen. "Was ist?", fragte ich perplex.

Sie schüttelte nur kurz den Kopf. "Du liebe Güte, du siehst wirklich jemanden ähnlich, der mir sehr nahe stand. Aber das kann nicht sein, ihre Tochter lebt doch in Los Angeles", sagte sie mehr zu sich selbst.

"Agnes Haverlin?", fragte ich, wobei sich mein Magen zusammen zog. Es tat weh, ihren Namen auszusprechen.

Ihre Augen wurden unter ihren dicken Brillengläsern noch größer. "Das kann doch nicht wahr sein, bist du ihre Tochter?", fragte sie verdutzt.

"Ja", antwortete ich und fügte schnell hinzu: "Ich bin Carmen Haverlin. Ich habe tatsächlich in Los Angeles gewohnt, bin seit neustem aber hier her gezogen."

"Himmel! Das ist ja was!" Sie packte meine Klamotten aus dem Sack und zählte sie still. "20$ bekommst du", murmelte sie, als sie mit ihren dunkelrot lackierten Fingernägeln die Kasse öffnete und mir dann die Scheine überreichte.

Ich nahm das Geld dankend entgegen und wollte mich gerade im Laden umsehen, da packte die Frau mich am Handgelenk.

"Es tut mir so leid, Liebes. Du kannst mit mir über alles reden", sagte sie mit mitleidigem Blick. "Deine Mutter war meine beste Freundin. Es ist schön, dich zu sehen - auch wenn es sich für dich gerade total unangenehm anfühlen muss, sich das von einer Fremden anhören zu müssen." Sie lachte herzlich und streifte über meinen Oberarm.

"Nein, ehrlichgesagt weiß ich es sehr zu schätzen", sagte ich und schenkte ihr ein flüchtiges Lächeln. "Es ist schön, Sie kennen zu lernen."

Sie lächelte zurück und ihr faltiges Gesicht zeigte Grübchen und Lachfalten. In ihren dunklen Augen leuchtete etwas Jugendliches, eine unerschöpfliche Energie. Obwohl ich sie nicht kannte, wusste ich, warum meine Ma sie zur Freundin hatte.

"Schau dich ruhig um, vielleicht findest du ja einige Schätze", sagte sie mit einem Augenzwinkern.

Ich sah mich im Laden genauer um. Neben der Kasse waren lange Ebenholztische aufgestellt, auf denen Porzellantassen mit verschiedenen Blumenmustern darauf abgebildet waren.

Auf einer mit Goldrand verschnörkelten Untertasse erblickte ich einen silbernen Löffel, dessen Stiel einen Rosenstängel - und die kleine Kelle silberne Rosenblätter darstellte. Irgendwas war so anziehend an diesem Löffel, dass ich ihn in meiner Hand behielt, als ich weiter durch den Laden stöberte.

Ich ging an Ramsch vorbei, an kleinen Karussell-Modellen, Spieluhren und Kerzenständern.
Plötzlich stieß ich mit den Rücken gegen etwas - oder besser gesagt, gegen jemanden.

Als ich mich umdrehte, um mich zu entschuldigen, sah ich, dass es Barrie war.

"Oh, sorry..", murmelte er. Dann schien er mich erkannt zu haben und seine braunen Augen weiteten sich. "Hey Rockabilly Carmen, was führt dich hier her?"

"Ich brauche ein Bücherregal... Und vielleicht noch ein paar Bücher... Und sowas hier", ich hielt den Löffel in die Luft, den ich gerade aufgegabelt hatte. (Sorry, der musste 😂🤓) "Und dich?"

"In Japan ist es so, dass alte und gebrauchte Dinge einen höheren Wert zugeschrieben werden, als neuen Dingen. Gebrauchte Gegenstände erzählen eine Geschichte. Sie haben eine Seele, sind lebendig", erklärte er.

"Interessant", sagte ich, obwohl er meine Frage nicht wirklich beantwortet hatte. "Darüber habe ich nie nachgedacht."

Er zuckte mit den Achseln und schaute sich das Ding in seinen Händen genauer an. Es war ein Aschenbecher - und was für einer. Er bestand aus Mamor und war dick wie ein Felsbrocken.

"Dieser Aschenbecher hier", sagte er und wog das Teil in seinen Händen hin und her. "Wer weiß schon, wem er vorher gehört hat? Einem alten griesgrämigen Mann? Einer rebellischen Studentin in den 70gern? Einer Kettenraucherin mittleren Alters? Wir wissen es nicht. Nur der Aschenbecher weiß, in welchen Händen er vorher schon gelegen hat."

Ich blickte auf meinen Löffel und fragte mich, wer ihn das letzte Mal benutzt hatte. Spontan hätte ich an eine alte Frau gedacht. Eine mit im Wohnzimmer bestickten Kissen, Porzellanpuppen, einer dicken Hauskatze und vielleicht einem kleinen Gemüsegarten. Irgendwie machte es den Gegenstand interessanter, je mehr ich darüber nachdachte, wen er vorher gehört hatte.

Barrie half mir, ein Bücherregal auszusuchen. Er half sogar zwei Mitarbeitern dabei, das Ding abzuschrauben und in Drew's Auto zu verfrachten. Es war ein schlichtes, helles Holzregal. Nicht massiv sondern eher leicht vom Gewicht.

"Carmen", sagte Barrie noch, als ich in mein Auto stieg. Mit seiner Hand hielt er meine Autotür auf und dückte sich so, dass er mit mir auf Augenhöhe war. "Komm doch Morgen ins Ocean Pub. Meine Band spielt wieder. Glaub mir, du wirst es nicht bereuen. Die Leute da sind cool und werden dich so aufnehmen, als würden sie dich Jahre kennen."

Irgendwie fand ich es rührend, dass er sich was aus mir machte. Ich schien ihm nicht egal zu sein. Und da er mein einziger Freund auf der Uni war, konnte ich nicht länger so distanziert sein.

"Ich weiß nicht, ob es dieses Wochenende klappt. Aber ich gebe dir meine Nummer. Wenn du mir schreibst, kann ich dir rechtzeitig Bescheid geben."











Catch me if I fallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt