ACAB

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"Du kannst nicht einfach so in mein Zimmer gehen!", rief ich wütend hinter ihm her, als ich Ich die Treppen hinauf folgte.

"Wann kommt die Ratte wieder?", fragte er, als hätte er meinen Ausruf nicht gehört.

Ich knirschte mit den Zähnen, als ich ihm genervt hinterher ging. "Er könnte jeden Moment wieder kommen", log ich. Ich wollte ihn loswerden. Er konnte doch nicht einfach hier hereinspazieren und sich wie Zuhause fühlen.

"Auf dem Zettel in der Küche stand etwas anderes. Ich habe mir die 100$ genommen, falls du dich fragst, wo sie sind." Er sagte das mit einer Beiläufigkeit, die schon unverschämt war.

Aber was war ich anderes von ihm gewohnt? Bis jetzt hatte ich ihn nicht oft gesehen, aber oft genug, um zu wissen, dass er einen Fick auf andere Menschen gab und nur an sich selbst dachte. Trotzdem hatte er mir zwei mal schon aus der Patsche geholfen. Einmal, als er mich nach Hause gebracht hatte und heute, als er bei mir Zuhause einbrach. Aber das tat er nicht, um mir zu helfen, sondern für sich selbst. Er nutzte meine Situation als Gelegenheit. "Warum fragst du dann überhaupt?", fragte ich entnervt.

"Um dich zu testen." 

Als ich in mein Zimmer trat, warf er sich auf mein Bett.

Und hatte Schuhe dabei an.

Ich verdrehte die Augen. "Du hast nicht vor, in nächster Zeit das Haus zu verlassen?", fragte ich. "Ich würde ja mit der Polizei drohen, aber denke ich erstens nicht, dass dich das sonderlich beeindruckt - und zweitens, will ich dich nicht zu meinem Feind machen."

Er grinste nur. "Kluge Entscheidung. Wasser und Strom wurden bei mir in der Wohnung abgestellt. Bleibe also fürs erste bei dir."

Mir fielen beinahe die Augen heraus. "Was? Nein!" Ich schüttelte schnell den Kopf. "Darüber reden wir gleich noch. Aber erstmal gehe ich ins Bad."

Im Badezimmer zog ich mir endlich meine verschwitzten Kleider vom Leib, putzte mir die Zähne und stieg unter die Dusche. Das warme Wasser auf meiner Haut und meinen Haaren fühlte sich erfrischend an.

Dann stieg ich aus der Dusche und rubbelte mich mit einem Handtuch  trocken. Ein Handtuch band ich um meinen Kopf und ein anderes band ich um meinen Körper.

Summend ging ich in mein Zimmer zurück. Eliah lag weiterhin auf meinem Bett und beachtete mich nicht. Er starrte auf seinen Handybildschirm.

Ich ging an ihm vorbei in meinen begehbaren Kleiderschrank, schloss die Tür hinter mir und knipst das kleine Wandlicht an.

Ich entschied mich für meine schwarz-weiß karierten Jeans und ein schlichtes rotes T-Shirt. Gleich hatte ich meinen ersten Arbeitstag im Old but Gold.

"Neues Tattoo?", fragte ich, als ich aus dem Ankleidezimmer heraustrat. Ich griff nach meiner Bürste, um mein nasses Haar zu bändigen.

An der Stelle über den Veilchen um seinen Hals war seine Haut gerötet. Ein ACAB in mittelalterlicher Schrift prankte an der Stelle an seinem Hals.

"Geht dich einen Scheiß an", sagte er unbekümmert und sah nicht von seinem Smartphone auf.

"ACAB? Ist das nicht ziemlich klischeehaft?", fragte ich provozierend nach, einfach um ihm eine Reaktion zu entlocken.

Perfekt. Es schien ihn wirklich zu triggern, denn setzte er sich auf und steckte sein Handy in seine Hosentasche. Seine Augenbrauen zogen sich zweifelnd zusammen und auf seinen Lippen lag ein arrogantes Lächeln. "Klischee also?", hauchte er, gefolgt von einem ungläubigen Lachen. "Ich war im Knast, Carmen. Ich ticke. Für mich ist das kein Trend, es ist eine Haltung, die sich durch mein Leben zieht." Er wuschelte mit seiner Hand durch sein braunes Haar und lachte traurig. "Soweit man das überhaupt Leben nennen kann. Für mich war es immer ein Überleben."

"Entschuldige, dass ich das einfach so sage", murmelte ich, "aber du dealst Drogen. Ist doch logisch, dass du dafür in den Knast kommst, sobald du erwischt wirst. Du hättest dir auch einen anderen Job suchen können. Egal wie scheiße das Leben sein kann, man hat immer eine Wahl."

Er lachte höhnisch. "Ich bin kein Opfer", sagte er. "Ich weiß wie du über mich denkst. Du denkst, ich hätte mein Leben aufgegeben. Als wäre ich Opfer eines nicht endenden Teufelskreis. Doch du vergisst, dass ich der Teufel bin. Ich habe mir diese Hölle zu meinem Königreich gemacht. Ich habe alles unter Kontrolle."

Missbilligend hob ich meine Augenbraue. "So sehr unter Kontrolle, dass du dich bei mir einnisten willst, solange Drew nicht wiederkommt? Das nenne ich mal unabhängig."

Er zuckte mit den Achseln. "Wenn das Leben dir Zitronen gibt...", murmelte er das vertraute Sprichwort. "Ich spiele mit allen Karten, die mir zur Verfügung stehen. Das ist Kontrolle."

"Und deshalb lässt du dir ACAB tätowieren?", fragte ich lächelnd. Dank meinem Vater kannte ich Menschen wie ihn. Menschen, die das System und die Gesellschaft verabscheuten. Menschen, die alles besser wussten und mehr Lösungsansätze prädigten als Politiker höchst persönlich. Sie redeten sich ein, sie hätten alles unter Kontrolle. Aber eigentlich sind es Versager. Vielleicht auch kluge Versager, aber Versager. "Mein Dad war auch Dealer. Er hat auch ein ACAB Tattoo. An seiner Brust. Und er war auch gegen das System."

"Dein Vater ist ein Bastard", sagte Eliah lächelnd.

Zweifelnd schob ich meine Augenbrauen zusammen. "Ihr seid euch aber nicht ganz unähnlich."

Als hätte er so einen Kommentar von mir erwartet, funkelte er mich an.

"Mit dem gravierenden Unterschied", hauchte er verächtlich, "dass ich kein Kind in die Welt setzen würde, für das ich nicht auch sorgen könnte."

"Mein Dad hat für mich gesorgt", widersprach ich ihm. Wie gut er für mich gesorgt hatte, war eine andere Frage.

"Wieso bist du dann jetzt in die Finger von Drew geraten, wenn er so gut für dich sorgt?", fragte er provozierend.

"Na, weil er ins Gefängnis musste."

Er sagte dazu nichts. Er schaute mich mit einem Blick an, der so viel sagte wie siehst du, sag ich doch.

"Carmen", sagte er langsam und streckte sich. "Ich will nur dass du eins über mich weißt: unterschätz mich nicht. Ich deale, weil ich dealen will - nicht, weil ich keine andere Wahl habe. Mir verschafft es Genugtuung."

"Dir verschafft es Genugtuung, das Leben anderer Menschen zu zerstören und dadurch Geld zu verdienen?", fragte ich nach, um sicher zu gehen.

Er schüttelte tadelnd den Kopf und schnalzte mit der Zunge. "Du hast keine Ahnung, wovon du da sprichst. Ich bereichere das Leben der anderen. Das Zeug was ich verkaufe, gibt ihnen ein gutes Gefühl. Gleichzeitig ficke ich den Staat in den Arsch, so wie die Bullen mich in den Arsch gefickt haben, als ich im Knast war."

Ich wusste nicht, ob er das wörtlich oder nur metaphorisch meinte und wollte es eigentlich auch nicht wissen. "Glaubst du wirklich, du bereicherst das Leben derer, die dein Zeug kaufen? Glaubst du nicht, sie nehmen die Drogen, um von ihrer Realität zu fliehen?"

"Du denkst, du wärst ganz schön aufgeklärt", lachte er. "Du hast echt keine Ahnung. Das ist irgendwie süß. Normalerweise umgebe ich mich nicht freiwillig von ahnungslosen Menschen." So wie er es sagte, klang es wie eine Beleidigung, also zeigte ich ihm darauf hin nur meinen Mittelfinger.

Mein ganzes Leben dachte ich, ich sei aufgeklärt. Ich war es auch. Was wollte er mir erzählen? Mein Vater war selber Dealer und hatte mir alles erzählt, was man über Drogen wissen musste. Sie sind illegal, machen süchtig und schädigen den Körper. Meinen Dad war das alles scheiß egal, denn sie machten ihn reich. Dann machten sie ihn arm. Dann brachten sie ihn hinter Gitter. Das schlimmste aber war, dass sie ihn von Innen nach Außen zerstörten.

Mein Magen zog sich zusammen und knurrte. Ich ging hinab in die Küche, schnappte mir einen Müsliriegel und eine Flasche Wasser und machte mich auf dem Weg zur Arbeit.

Meinen Schlüssel hatte ich diesmal in der Hosentasche.

Catch me if I fallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt