Son Of A

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Ich starrte aus meinem Fenster und beobachtete, wie der Himmel sein Kleid von blau zu orange wechselte. Die Wellen bewegten sich auf das Ufer zu, und der blasse, runde Mond am Himmel nahm langsam ab.

Aber etwas störte mich, als ich näher hinsah.

Im Sand, an der Stelle wo das Lagerfeuer am Wochenende stattfand, lag lauter Müll herum. Rote Plastikbecher, Getränkedosen und Bierflaschen.

Mit meinem Gewissen konnte ich das nicht vereinbaren, schließlich war einer dieser Becher meiner gewesen - auch wenn ich ihn nicht benutzt hatte.

Also zog ich mir einen Hoodie über und ging die Treppen hinunter.

"Wohin gehst du?“, fragte mich Drew, der an der Küchentheke saß und eine Zeitung las.

"Ich sammle den Müll am Strand auf", antwortete ich, als ich die Schublade aufzog, um einen Müllbeutel herauszufischen.

"Vorbildlich" Drew nickte anerkennend.

"Bis später", sagte ich und schloss die Haustür hinter mich.

Es war merkwürdig mit einem Mann in einem Haus zu wohnen, den man nicht einschätzen konnte. Auf der einen Seite hatte er diese strenge und diszipliniert Seite und auf der anderen Seite konnte er auch freundlich sein. Ich musste ihn echt noch kennen lernen. Dafür musste ich aber auch ausnahmsweise mal Zeit mit ihm verbringen, anstatt den ganzen Tag unterwegs zu sein oder mich in meinem Zimmer zu verkrümeln.

Am Strand angekommen hörte ich das Rauschen des Meeres und sah, wie die untergehende Sonne das blaue Wasser zum glitzern brachte. Zu der Stelle des Lagerfeuer war es echt nicht weit, weniger als 10 Minuten Fußweg.

Ich kam an der verkohlten Stelle des Lagerfeuers an, um die große Baumstämme herum gelegt waren. Dann begann ich den Müll aufzusammeln. Es war echt mehr, als es von weitem aussah. Und da ich schon dabei war, sammelte ich auch in weiterer Umgebung den Strand nach Glas und Plastik ab und schmiss alles in die Mülltüte  bis sie randvoll war.

Plötzlich hörte ich Gelächter. Jungengelächter. Ich blickte von meiner Mülltüte auf und sah eine Gruppe von Jungs auf mich zu kommen. Vorerst sahen sie mich nicht und pöbelten herum.

Gerade als ich mit der Tüte in der Hand verschwinden wollte, hörte ich, wie einer von ihnen sagte: "Die kenne ich doch..."

Fuck. Die Stimme kam mir auch nur allzu bekannt vor. Ich beschleunigte meine Schritte.

"Karen!", rief er mich. Er, der Typ mit den stechend grünen Augen. "Wo willst du hin? Hast du nicht vergessen, was aufzuheben?" Er lachte und seine Begleiter lachten mit. Ich drehte mich um, um zu sehen was er meinte und sah, dass er und seine Freunde Zigarettenstummel und Bierdosen, die sie noch nicht ganz ausgetrunken hatten, auf den Boden warfen. Flüssigkeit machte den Sand feucht und in der Luft roch es nach Alkohol.

"Aufräumen, Süße", rief ein anderer Typ. Er trug ein Cappy, so dass ich seine Augen nicht sehen konnte. Das brauchte ich nicht, denn das Grinsen und die Zähne die er dabei zeigte, sagten alles.

"Du bist hot, Blas mir doch einen, Kleine. Was hältst du davon?", stimmte ein anderer mit ein.

Jared war der einzige, den ich aus dieser Truppe kannte. Flehend sah ich ihn an. Wieso war er so ein Arsch? Machte das ihm etwa Spaß? Was war seine Motivation dahinter, mich so zu erniedrigen? Wenn mein Vater hier wäre, würde er jeden einzelnen hier die Leviten lesen und anschließend zwingen, meine Füße zu küssen. Das hätte ich zwar nicht gewollt, aber er hätte sie dazu gezwungen. Er hätte es damit begründet, dass sie so symbolisch ausdrücken würden, meine Würde zu respektieren.

Aber ich war kein kleines Mädchen mehr, dass sich hinter ihrem Vater verstecken musste. Ich musste lernen, meine Probleme selber zu lösen, auch wenn es eins gegen fünf war.

Mein Blick fixierte die Augen von Jared. Ich spürte, dass sie etwas ausstrahlten, das mir eine Gänsehaut beriet. Doch ich hielt diesen Blickkontakt dennoch stand. "Weswegen hetzt du jetzt deine Freunde auf mich? Was habe ich dir getan?"

"Hast du Angst vor uns?", fragte er belustigt und seine Freunde stimmten mit Gelächter ein.

"Keine Angst, Kleine. Wir tun dir nichts. So interessant bist du nun auch wieder nicht. Wir spielen mit allem was wir sehen", sagte einer der Typen und verschränkte höhnisch grinsend die Arme vor der Brust.

"Genau wie Hunde", zischte ich.

Die anderen Jungs machten große Augen und johlten. Eigentlich hatte ich es nur zu mir selbst gesagt, doch schienen sie es gehört zu haben. "Für so ein kleines, braves Mädchen hast du eine ziemlich große Fresse", erwiderte der Typ, der gerade noch höhnisch gelacht hatte. Jetzt wirkte er nur noch bedrohlich. "Wenn das so weiter geht, muss ich sie dir stopfen."

Ich zitterte und schluckte den Klos herunter, der sich langsam in meinem Hals bildete. Ich war dumm, so dumm. Wieso versuchte ich überhaupt mich zu behaupten? Vielleicht um jemanden stolz zu machen, der von dieser Situation nicht einmal wusste. Mein Dad.

Ich musste aufhören, mich in die Scheiße herein zu reiten. Sonst würden die Typen immer wieder kommen und mich fertig machen. Vielleicht war es jetzt einfach das schlauste, mich zu ergeben.

"Ich gehe. Schönen Abend noch." Das klang zwar irgendwie ironisch, doch mir fiel gerade nichts anderes ein, sie abzuwimmeln.

Und doch - war ja klar - hatte es nicht den gewünschten Effekt. "Du bleibst", sagte Jared kühl. "Du willst doch nicht, dass der Strand zur Müllhalde wird, habe ich Recht?" Mit falschem Bedauern sah er mich an. Seine Augenbrauen waren angehoben und seine Unterlippe zitterte gespielt. "Also." Er deutete mit einer einladenden Geste auf den Müll, den er und seine Begleiter veranstaltet hatten. "An die Arbeit. Und keine Sorge - wir gucken dir schön zu, bis du alles aufgesammelt hast." Mit falscher Freundlichkeit grinste er mich an.

Das konnte er vergessen. Ich stieß ein verächtliches Lachen aus, drehte mich um und ging. Zu sowas ließ ich mich doch nicht erniedrigen. Auch wenn ich innerlich nicht so tough war, wie ich mich gab - es gab Grenzen, die konnten andere bei mir nicht überschreiten. Und das hier war eine.

Mit pochendem Herzen und schnellen Schritten verließ ich den Strand.

Ich war erleichtert, dass sie mir nicht folgten und mich nicht festhielten, so wie ich es vermutet hatte. Wenn sie mir Gewalt angedroht hätten, hätte ich ihren Müll wohl oder übel  aufgesammelt. Aber das war Gott sei dank nicht der Fall. Als ich wegging, hörte ich sie nur lachen.

Zuhause angekommen saß Drew noch immer an der Küchetheke. "Was war da unten los?“, fragte er und zog eine Augenbraue in die Höhe.

"Nichts", log ich. Ich wollte ihm nicht wissen lassen, wie sie mich erniedrigen. Am Ende würde er sie verhaften und ich wäre die Petze, die ihre Probleme nicht selber lösen konnte. "Falls du die Typen meinst - sie wollten nur den Weg zum nächsten Walmart wissen."

Fast genauso wie mich die Situation unten am Strand gestört hatte, störte mich auch, dass er scheinbar alles beobachtet hatte. Ich wusste nicht viel über ihn, aber jetzt wusste ich zumindest, dass er ein Kontrollfreak war.

"So sah das aber nicht aus", mutmaßte er. Natürlich. Da er bei der Polizei arbeitete, musste er eine ziemlich große Menschenkenntnis haben. Er spürte, dass ich log und er hatte die Situation am Strand scheinbar genau detailliert beobachtet.

"So war es aber", sagte ich schulterzuckend und nahm die Treppen hinauf in mein Zimmer. Ich wollte nicht, dass er aus einer Mücke einen Elefanten machte.

Oben angekommen erledigte ich meine Abendroutine - Zähne putzen, duschen, Yoga, Tee, Lesen, schlafen.

 

Catch me if I fallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt