A Letter

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Nach der Uni stieg ich in den Bus, der in die Richtung meiner Arbeit fuhr. Im Bus setzte ich mich bewusst nicht hin, da ich sonst einschlafen würde.

Als er an der Haltestelle hielt, ging ich den Rest des Weges zu Fuß. Fiona begrüßte mich mit einem Lächeln.

"Carmen, ich habe das hier gefunden, als ich letztens meinen Schreibtisch ausgemistet habe. Das hier ist ein Brief deiner Mutter. Sie hat ihn mir überreicht, kurz bevor..." Sie verstummte und sah verlegen auf die dunklen Holzdielen des Fußbodens.

"Naja", sagte sie, als sie sich wieder fing. "Jedenfalls dachte ich, dass dich das auch berühren würde. Am besten liest du ihn zu Hause, nicht jetzt." Dann zwinkerte sie mir zu. "Es sind wieder neue Kartons voll mit Büchern eingetroffen, wenn du das übernehmen könntest, mache ich die Kasse."

Sie wusste, wie sehr ich es liebte, die Bücher ein zu sortieren. Trotzdem war mein Lächeln nur schwach und falsch. Ich war müde und mein Herz war gebrochen. Ich war gerade nicht dazu in der Lage, gut gelaunt zu sein.

Ich schleppte die schweren Kartons nacheinander zum Bücherregal. Dann begann ich, die Bücher nach den Genres in die Regale einzuräumen.

Eigentlich war das eine Aufgabe, die normalerweise nicht den ganzen Nachmittag beanspruchte. Aber diesmal schon. Diesmal war ich so schlapp, dass ich erst 5 Minuten vor Schluss fertig wurde. Und das nur, weil Fiona mich kurz vor der Schließung unterstützte, als weniger im Laden los war.

Ein Buch hatte mich wieder besonders angesprochen. A dictionary of obscure sorrows.

In diesem Buch standen Wörter drin, die man im Alltag nie gebrauchte, die aber Gefühle beschrieben, für die andere Worte nicht reichen würden.

Mit Brief und Buch in der Hand verließ ich den Laden. Es war zwar nicht einmal sieben Uhr, doch zuhause würde ich mich direkt schlafen legen. Aber nicht bevor ich den Brief nicht gelesen hatte.

Im Bus setzte ich mich auf einen Platz ganz hinten und holte den Brief heraus. Gerade als ich ihn lesen wollte, öffnete die Tür sich ein weiteres Mal und jemand, der mir nicht unbekannt war, stieg dazu.

Schnell versteckte ich den Brief im Buch und das Buch klemmte ich unter meinen Arm.

Mein Herz begann zu rasen, ich spürte es in jeder Faser meines Körpers pumpen. So gut es ging versteckte ich mich hinter dem Sitz vor mir.

Doch ich sah in seinem bereitwilligen Grinsen, dass er mich schon längst entdeckt hatte. Bevor er überhaupt die Gelegenheit hatte, sich neben mich zu setzen, erhob ich mich schnell und stellte mich in den Gang vor die Bustür.

Vince. Er stellte sich so dicht an mich, dass ich seinen Atem an meinem Hals spüren konnte. "Ich weiß zwar nicht mehr, wie du heißt - aber ich weiß noch, wie du schmeckst", raunte er in mein Ohr.

Verwirrt zog ich meine Augenbrauen zusammen und nahm einen Schritt Abstand.

"Komm mir ja nicht zu nahe", zischte ich und drückte auf den Stop-Knopf. Was zur Hölle meinte er?

Ein leises Lachen glitt aus seinem ekelhaft verzogenem Mund. Ich konnte sein dreckiges Grinsen in der Reflexion der Glasscheibe sehen.

Ich wusste nicht wieso, aber ich hatte eine solche Panik, dass ich mir wünschte, ein Pfefferspray oder Messer bei mir zu tragen.

Als der Bus endlich hielt und die Tür sich öffnete, stürmte ich heraus. Doch natürlich nicht alleine. Vince folgte mir. Ich drückte das Buch mit dem Brief eng an meine Brust.

"Was hast du so wichtiges da in der Hand?", wollte er wissen.

"Geht dich einen Scheiß an", fauchte ich. "Wieso verfolgst du mich? Wieso hast du es auf mich abgesehen?"

Catch me if I fallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt