146. Kapitel eigene Geister

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Mein Verstand versucht trotz meines Schockes über die Situation alle Eventualitäten abzuwägen. Soll ich ihn machen lassen und mich in mein Schicksal ergeben, oder doch lieber den Schritt nach hinten gehen, lieber das Unbekannte im Nichts wählen und vielleicht dadurch zumindest körperlich unversehrt bleiben, denn meine Seele haben sie ja nun endgültig gebrochen. Tja, da ist guter Rat teuer, meine eigenen Geister sind anscheinend alle mit den Gefühlen geflohen, jedenfalls bin ich allein und niemand hilft mir, wieder mal. Die Zigarette kommt meiner Haut immer näher und ich kann die verbrennende Hitze bereits spüren. Endlich bewegen sich meine Füße und schieben sich minimal nach hinten in das Nichts. Ich lasse mich rückwärts fallen, sehe wie Samu noch versucht nach mir zu greifen, mich jedoch nicht mehr zu fassen bekommt und so schließe ich erleichtert die Augen. In Erwartung einer hoffentlich kommenden Erlösung falle ich immer tiefer und höre nur noch von oben einen bitterbösen und doch irgendwie verzweifelten Schrei "Nein, du Hexe bleibst hier. Nein, komm zurück, du gehörst uns. Du bist doch mein pieni paholainen". Bestimmt werde ich nicht zurück gehen, lieber sterbe ich wirklich und es ist mir egal wie lange ich falle und wie hart der irgendwann folgende Aufprall sein wird. Hauptsache diese Teufel bekommen mich nicht. Je tiefer ich falle, desto freier und ruhiger fühle ich mich. Zwischendurch verspüre ich einen kleinen Stich in meinem Körper, weiß aber nicht so genau wo, was und warum. Ist mir auch egal und ich vergesse es gleich wieder, genieße einfach dieses Gefühl des Sinkens oder vielleicht doch mehr Niederschwebens. Irgendwann öffne ich meine Augen und stelle verwundert fest, dass ich auf der Royal Clipper in der Kabine sorgsam zugedeckt im Bett liege, obwohl ich mich ja auf die Balkonliege gelegt hatte. Es ist auch bereits hell draußen, ich drehe mich vorsichtig zur anderen Betthälfte und entdecke den blonden Herrn. Dieser liegt mit Abstand und ohne mich zu berühren, aber mir komplett zugewandt auf seiner Betthälfte und scheint zu schlafen. Eigentlich ein schöner Anblick, wenn da nicht dieser traurig-verzweifelte Ausdruck und die offensichtlichen Tränenspuren in seinem so hübschen Gesicht wäre, nicht entspannt und friedlich wie sonst. Ihm ist eine vorwitzige Strähne ins Gesicht gefallen und ich hebe meine Hand, um sie vorsichtig wegzustreichen. Doch kurz vor einer Berührung ziehe ich sie wieder zurück und drehe mich weg. Ich kann ihn nach dem Erlebten nicht berühren, auch wenn es anscheinend nur in Teilen Realität bzw. ein Traum war. Nur was wohin gehört, ist mir im Augenblick nicht klar. Es geht nicht ihn zu berühren oder überhaupt nur anzuschauen und ich versuche leise aufzustehen. Ich fühle mich so kraftlos, ohne Leben und wäre eigentlich gerne in diesem komischen Schwebezustand geblieben. Nichts spüren, hören oder sehen, einfach nur fallen bis in die Unendlichkeit. Bis zur Bettkante meiner Seite habe ich es mittlerweile auch geschafft und sitze nun dort, um jedenfalls soviel Kraft in mir zu mobilisieren, dass ich es alleine ins Bad schaffe, da ich ja ansonsten den Herrn hinter mir um Hilfe bitten müsste, was definitiv ausscheidet. Doch was dann, wenn ich etwas Kraft finde, was soll ich noch hier. Besser ist es wohl, ich werde von Bord gehen und mir irgendwo auf dieser Welt ein einsames Plätzchen suchen. Dort kann ich ja fernab von allen und allem versuchen zu leben, sofern man das dann so nennen kann. Vielleicht bin ich einfach nicht sozialfähig und sollte meine Umwelt nicht weiter belästigen. Solche und noch weitere Gedanken schwirren mir durch den Kopf und deshalb habe ich nicht mitbekommen, dass mein Mitbewohner wohl wach geworden ist und mittlerweile vor mir hockt. Mich jetzt sogar leise und zaghaft anspricht "Hej Prinzessin", aber nicht berührt und immer noch Abstand zu mir hält. Stimmt mich widerliche Person will Mann nicht berühren.

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