Wer auch immer dieses Arrangement veranlasst hatte, gehörte standrechtlich erschossen. Das sollte geschmackvoll, gar künstlerisch sein? Die Nase rümpfend starrte die junge Frau auf das Gebilde vor ihr. Ein schwarzer Umschlag steckte darin, wie eine Einladung vom Höllenfürsten persönlich. DAS sollte ein Geschenk zu ihrem achtzehnten Geburtstag sein? Über ein Buch hätte sie sich mehr gefreut.
„Mama?" Kopfschüttelnd verließ sie das Wohnzimmer, suchte die Mutter in der Küche auf, wo diese am Herd hantierte. „Weißt du, wer das dornige Grauen für mich abgegeben hat?" Wenn es einer der Jungen vom College war, konnte der sich auf etwas gefasst machen. Sie benötigte keinen Verehrer, der sie vom Lernen abhielt. Einen gutbezahlten Job strebte sie an, damit ihr Vater sich nicht weiter kaputt schuftete, statt Zeit mit der Familie zu verbringen.
„Aber Schätzchen. Die Rosen sind doch wundervoll!", protestierte ihre Mutter. Die Frau liebte Blumen, bewunderte diese gern im nahegelegenen Park, wenn ihre wenige Zeit es erlaubte.
„Oma ist ihretwegen tot", knurrte das Mädchen. Eine winzige Verletzung, hervorgerufen von dem Dorn einer Rose, hatte die Großmutter das Leben gekostet. Eine fleischfressende Bakterie war durch die Wunde eingedrungen, hatte sich durch die Blutbahn wie ein gefräßiger Schwarm Heuschrecken im Körper der gebrechlichen Frau ausgebreitet, sie von innen zerstört. Die Ärzte hatten ihr nicht helfen können, für einen Spezialisten fehlte das Geld. Ihr Brustkorb krampfte schmerzhaft, ihr Atem stockte, als sie an den Tod ihrer Großmutter dachte. Das Gesicht qualvoll verzogen, ein letzter Schmerzensschrei, dann tödliche Stille. Das Herz der alten Frau hatte die Schmerzen nicht mehr ertragen, hatte versagt.
„Ach Lissa, mir fehlt sie doch auch." Die Mutter schloss sie behutsam in die Arme. Ihre Kleidung roch nach Apfelkuchen, den sie in den frühen Morgenstunden gebacken hatte. Der Geruch, die Nähe, sie wirkten wie eine warme Decke. „Dennoch hätte sie es niemals gewollt, dass du ihretwegen Blumen hasst."
„Meinetwegen", murmelte Lissa gegen die Schulter der Frau, auf den eigenen Herzschlag lauschend, der sich langsam beruhigte. „Also, wer hat den Strauß für mich abgegeben?" Es war besser, wenn sie dem Typen gleich die Hoffnung auf ein Date oder Schlimmeres nahm.
„Ein älterer Herr in einem feinen Anzug. Er sagte, dass er es im Namen seines Bosses abliefern sollte. Ich wusste gar nicht, dass du einen wohlhabenden Verehrer hast." Die ältere Frau sah ihre Tochter voller Neugierde an.
„Habe ich auch nicht." Das Mädchen atmete erleichtert aus. Das Ganze würde sich mit Sicherheit als eine Verwechslung herausstellen. „Die Blumen sind garantiert nicht für mich. Der Typ hat sich aller Wahrscheinlichkeit nach in der Adresse geirrt. Außerdem, was sollte so ein reicher Schnösel schon von einer kleinen grauen Maus wie mir wollen?" Kopfschüttelnd ließ sie ihre Mutter los, stiefelte entschlossen zurück ins Wohnzimmer. Sie zerrte den schwarzen Umschlag zwischen den Blumenstängeln hervor, stets darauf bedacht, sich nicht an den Dornen zu verletzen. Grinsend riss sie den Briefumschlag auf. Eine blutrote Karte kam zum Vorschein. Ein eingestanztes Herz zierte die Front.
„Es gehört sich zwar nicht, die Post fremder Leute zu lesen, aber gleich habe ich den Beweis, dass der Rosenstrauß nicht für mich bestimmt ist. Mama kann ihn trotzdem behalten." Lissa schlug die Karte auf, las die wenigen in schwarzer Tinte geschriebenen Zeilen. Sie schnappte nach Luft, das Papier entglitt ihren zitternden Fingern. Fassungslos starrte sie auf das Arrangement, bevor sie kraftlos zu Boden sackte. Tränen bahnten sich Wege über ihre erhitzten Wangen, sie schluchzte laut auf. Wer erlaubte sich einen so miesen Scherz mit ihr?
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Dem Tode zu nahe
FantastiqueEin Mädchen - ein Job. Das Unternehmen? Rätselhaft bis skurril. Die Kollegen? Wie den Covern von Modezeitschriften entsprungen. Der Chef? Zwischen unheimlich und charmant. Der direkte Kollege ein Arsch und obendrein Sohn des Chefs. Was kann da schon...