91 | goodbye kiara

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CHLOE
june 2014, age 14

Freundlicherweise half ich beim Aufräumen und Wegpacken des restlichen Zeug von Kiara und ihrem Dad. Die Hälfte ihrer Möbel schickten sie bereits nach Australien. Die andere Hälfte verkauften sie oder schmissen sie auf den Schrottplatz. Nun war es an der Reihe, das Handgepäck für den Flug zu packen.

Ich stand in der Küche der Bennetts und packte die letzten Müsliriegel, sowohl die Tupperware mit dem geschnittenen Obst und den Sandwiches, jeweils in die zwei Reisetaschen. Kiara beobachtete dabei jeden einzelnen Muskel, der sich in mir bewegte und verstaute Wasserflaschen in den Taschen.

Wir sprachen kein Wort miteinander. Höchstwahrscheinlich, da wir einfach nicht konnten. Wir hatten zu sehr Angst und wollten nicht über diesen neuen Lebensabschnitt nachdenken. Ein Abschnitt, in dem wir vierzehntausend Kilometer von einander entfernt leben würden.

Seit vier Wochen war mein Dad nun fort. Wenige Tage zuvor erfuhr ich, dass meine beste Freundin wegziehen würde. Heute vor genau einer Woche war nicht nur der Tag, an dem mein Vater begraben wurde, sondern auch, wo ich das letzte Mal redete. Nach meinem Zusammenbruch vor all den Menschen in der Kirche, hörte ich einfach damit auf. Ich war von dem Moment an still und zurückhaltend. Ich weinte oder schrie auch nicht mehr. Mom war ununterbrochen am heulen und Marcus hörte ich nur dreimal weinen.

Draußen reichte ich Tom die letzten zwei Reisetaschen für's Handgepäck. Er lächelte schwach und nahm sie mir ab. "Danke, Chloe", sagte er.

"Fick dich", dachte ich, doch ich sagte es nicht.

Tom seufzte und spazierte ein letztes Mal mit Kiara durch ihr absolut leeres Haus. Ich blieb draußen und dachte an die unzähligen Male, bei denen ich Kiara hier abholte und wir gemeinsam zu mir nach Hause verschwanden.

Seit dem sie klein war hatte sie einen Brauch, der darin bestand, auf das Gras im Vordergarten zu spucken, bevor sie das Grundstück verließ. Sie dachte es würde ihr Glück schenken, bald hier wegzukommen.

Gott, sie hasste dieses Haus einfach. Zwischen den Wänden schallte noch immer jeder Streit ihrer Eltern und etliche Stellen im Holzboden wiesen Flecken von umgeschütteten Whiskey auf. Die Treppe war laut (lauter als unsere eigene) und die Fenster undicht.

Kiaras Traum ging in Erfüllung. Sie konnte endlich aus diesem Haus fliehen.

Nach vielen Minuten schlenderten die Bennetts wieder aus dem alten Haus. Sie schlossen die Tür hinter sich und würden nie wieder zurückkehren.

Dieses Mal jedoch, übte Kiara nicht ihren Brauch aus.

• • •

Mom sprach nicht viel, als wir uns alle im Esszimmer versammelten, um ein aller letztes Mal zusammen zu essen. Sie kochte mein, Kiaras und Dads Lieblingsgericht: Lasagne. Tom redete viel, um die Stille zu überbrücken, doch niemand anderes schien wirkliches Interesse an diesem Aufmunterungsversuch zu haben.

Kiara rührte ihr Essen kaum an, hingegen Marcus schaufelte so viel, wie er nur konnte in sich hinein. Ich vermutete, dass er sich so oft Nachschlag holte, da er somit weniger reden musste.

Onkel Nando hatte noch tiefere Augenringe als die Woche zuvor und roch noch intensiver nach Schnaps. Jedoch war ich mir leider ziemlich sicher, dass meine Augenringe viel ausgeprägter waren. In den letzten vier Wochen bekam ich nicht mehr als fünfzig Stunden Schlaf ab. Ich konnte einfach nicht mehr schlafen. Jedes Mal, sobald ich die Augen schloss, sah ich ihn. Meinen Dad.

Und wenn ich dann wirklich einschlafen konnte, weckte mich drei Stunden später meine Mutter, da ich im Schlaf panisch schrie.

"Es hat wunderbar geschmeckt, Judy. Fast so gut wie wenn er es kochte." Tom versuchte meiner Mutter ein aufmunterndes Lächeln zuzuwerfen.

Missing part of MineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt