47 | comforting brother

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MARCUS

"Nun fügt zu dem Chlor das Eisenpulver hinzu", wies uns mein Chemielehrer Mr. Tanaka an. Ich mochte ihn eigentlich, aber nur, da er oft abschweifte und über seine Familie und Heimat sprach. Er erzählte teilweise coole Geschichten. Ich schätzte ihn auf Mitte zwanzig ein, zumindest sah er so aus und verhielt sich so.

Während ich also in meinem Reagenzglas zum Chlor das Eisenpulver hinzugefügt hatte, bestaunte ich das kleine Blubbern am Boden des Gefäßes.

Tanaka brabbelte noch irgendwas bezüglich den verschiedenen Reaktionen und den Auswirkungen, während ich hingegen an Chloe dachte. Vielmehr, was mit ihr los war. Nach der Party am Freitag, zerrte sie Cilya und mich förmlich aus dem Haus und verlangte sofort, dass wir nach Hause fahren. Verdammt verwundert willigten wir zwar ein, aber dennoch ließ mich der Gedanke an die Nacht nicht los.

Diese neue Freundschaft zwischen Jenna und Chloe war teilweise verflucht seltsam. Mal hingen sie rum, mal hauten sie vor dem anderen ab, und mal lief alles gut. Als sie wieder abgehauen war, wollte mir weder Kyle sagen was passiert war, noch Chloe.

Tanaka quatschte weiter, bis er von einem lauten Klingelton unterbrochen wurde. Irgendein beschissenes Handy spielte ganz laut heart-shaped box von Nirvana.

Zunächst verstand ich nicht, wieso alle Augen auf mich gerichtet waren, doch nachdem ich genauer hinhörte, bemerkte ich, dass das beschissene Handy ... meins war.

Ich presste meine Lippen zu einer dünnen Linie. "Sorry, ich mach's aus."

"Beeil dich", schnaufte Tanaka. Obwohl er jung für einen Lehrer war, hasste er Handys genauso sehr wie die anderen Lehrer.

Ich kramte aus meinem Rucksack das Handy und las den Namen auf dem Display. Chloe. Aber warum rief sie an? Ich wusste nicht wieso, aber ein mulmiges Gefühl überkam mich.

Ich spürte alle Augen, die auf mir lagen und verlangt hatten, dass ich ablehne, doch ich konnte nicht. Stattdessen ging ich dreist dran.

"Was ist los? Ich bin im Unterricht!", flüsterte ich streng in den Hörer.

Tanaka schnaubte empört. "Marcus!", ermahnte er mich.

Die andere Leitung war komplett still.

"Chloe? Bist du da? Was ist los?", fragte ich wieder. Ich hörte ein Schluchzen. Ich riss weit die Augen auf und erhob mich von meinem Stuhl. Tanaka beschwerte sich, doch ich blendete ihn einfach aus.

"Sag mir was los ist", forderte ich laut. Mir war scheißegal, dass alle in dem Raum mich anstarrten und tuschelten.

"Marcus? Bitte komm zu den Umkleiden", bat sie dann leise.

"Warum? Was ist pass–"

"Bitte", wiederholte sie. "Ich muss dringend reden. Ich brauche jetzt einfach meinen Bruder."

"O-okay, okay. Ich bin sofort bei dir. Bleib da, ich komme." Sie trennte dann die Verbindung.

Hastig steckte ich das Handy weg, zog meine Schutzbrille aus, und schnappte mir schnell meinen Rucksack.

"Marcus, hast du etwa vergessen, dass wir Unterricht haben? Glaubst du ich bin hier zum Spaß?"

"Es ist ein Notfall", erklärte ich schlicht und stürmte einfach aus dem Chemieraum.

Meine Gedanken bewegten sich in Purzelbäume. Ich machte mir tatsächlich Sorgen um meine Schwester. Das letzte Mal, wo ich sie weinen hörte, war vor zwei Jahren ...

So schnell ich konnte, raste ich durch den Schulflur. Ich war mir sicher, dass ich mindestens zwei Mülleimer und einen Knirps aus der Unterstufe umgemietet hatte, aber in dem Moment war alles egal. Meine Schwester brauchte mich.

Missing part of MineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt