01 | unhappy chloe

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CHLOE
august 2018, age 18

Ich starrte in den Spiegel.

Die dunklen Ränder unter meinen Augen, die blasse Haut und das fehlende Strahlen waren schon gar nicht mehr wegzudenken.

Ich stellte mir stumm die Frage, ob ich jemals wieder in den Spiegel sehen könnte, ohne dass mir bei meinem eigenen Anblick speiübel werden würde. Ich hasste alles daran. Ich mochte weder die Person die ich einmal war, noch wer ich heute zu sein vorgab. In dem Spiegel vor mir sah ich die dunklen Teile meiner Vergangenheit und was sie aus mir machten.

Manchmal verliert man einen Teil von sich selbst, ohne es zu bemerken. Es ist wie ein Diebstahl, der unbemerkt bleibt, bis man sich plötzlich leer und unvollständig fühlt.

Ich hatte damals an jenem grausamen Tag alles verloren.

Es gab eine Zeit, in der ich mir selbst nahe stand und in der sich meine Hände ständig nach einer sicheren Zukunft ausstreckten. Doch irgendwo auf diesem Weg hatte ich mich verloren.

Sie würden mich nicht wieder erkennen.

Mit einem Seufzen rieb ich mir die braunen Augen, richtete mir so gut es ging die dunklen Haare und verließ schleunigst das Bad, denn länger hätte ich das wirklich nicht ausgehalten.

Die Sommerferien waren vorüber. Und genau wie die Jahre zuvor, fand ich es beschissen. Schule war reine Nebensache in meinem wahrhaftigen Leben. (Falls man das überhaupt Leben nennen konnte).

Unten in der Küche stand das Frühstück bereit, welches meine Mom zubereitet hatte. Mich ekelte es an, wie sehr sie versuchte, einen auf perfekte vorzeige-Familie zu machen, die direkt aus einem Katalog stammen könnte. Wir frühstückten seit Jahren nicht mehr gemeinsam, also verstand ich nicht, was das nun sollte.

Am kleinen Tisch saßen bereits sie und mein Zwillingsbruder Marcus, die schon aßen. Ich setzte mich zu ihnen.

Wie so oft war ich einfach nur angepisst. Mein Schädel dröhnte und ich konnte schwören, dass er jede Sekunde explodiert wäre.

"Wie fühlt ihr euch mit dem Wissen, dass ihr es ins Abschlussjahr geschafft habt?", fragte meine Mom.

"Hervorragend", antwortete ich mit gespielter Freude. "Absolut mega mäßig glücklich."

Ihr aufgesetztes Lächeln verrutschte, sie versuchte es aber aufrecht zu halten. "Geht es dir gut? Du siehst aus, als ob dich irgendwas bedrückt."

"Mutter, mir geht es fantastisch." Wie ich meine Mom kannte, wusste ich, dass sie den Sarkasmus raushörte, es aber einfach ausblendete.

"Hast du heute nach der Schule schon etwas ... vor?" Mit anderen Worten: "Chloe, wirst du heute weiterhin den bockigen Teenager raushängen lassen und weiter koksen, bis dir die Nase abfällt?"

Nein. Ich konnte mich seit drei Monaten zurückhalten.

"Ich hab nichts vor", brummte ich.

"Ich hätte schwören können, dass du und Kyle irgendwas vorhaben", mischte sich mein Bruder ein.

Ich grübelte, denn ich wusste, dass Kyle höchstwahrscheinlich keine Zeit für mich hatte, da er im Sommercamp einen Typen kennengelernt hatte und diesen unbedingt weiter rumkriegen wollte.

Ich überlegte und sagte anschließend nur: "Nein, Kyle ist anderweitig beschäftigt." Meine übertriebene Formulierung brachte Marcus zum schmunzeln.

"Verdammt traurig, wenn man als Achtzehnjährige nach der Schule nichts vorhat", zog er mich unlustigerweise auf. Er spielte mit dem Lippenring an seiner Unterlippe in der Mitte, welchen ich ebenfalls an der selben Stelle besaß. Als wir ihn uns gemeinsam stechen ließen, waren wir so zugedröhnt, dass es nicht mal mehr lustig war. Allerdings bereute es keiner von uns. Es war unser Ding.

Missing part of MineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt