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vor 6 Jahren..

„Weißt du, jede deiner Freundinnen wird dir sagen, dass der Junge, den du lieben wirst, derjenige sein wird, für den du alles tun wirst. Aber das ist nicht die Liebe. So ist auch nicht das Leben", fing mein Nonno aus dem Nichts an, während wir in der Eisdiele Santa Trinita saßen und den Fluss Arno vor uns zu sehen war. „Das Leben ist ein Geben und Nehmen. Du gibst und bekommst etwas zurück. Du gibst diesem Jungen zu erst deine Freundschaft. Im Gegenzug bekommst du seine. Dann fängst du an, ihm dein Leben zu zeigen und er zeigt dir sein Leben. Du fängst an, ihm deine Liebe zu schenken und dann gibt er dir seine. Und zu guter Letzt teilt ihr euch euer Vertrauen. Keine Beziehung kann funktionieren ohne Vertrauen. Du darfst niemals, hörst du, niemals die Person verletzten oder anlügen, welche du liebst. Capito, Stellina?"

Ich war zu der Zeit gerade Mal 14 Jahre alt, hatte vor kurzem noch meine erste Periode bekommen, meine Schule hatte geschlossen wegen der Sommerferien und ich war zum Gespött der Klasse gemacht worden.

„Ich habe sowieso kein Interesse an Jungen, Nonno", sagte ich wahrheitsgemäß und löffelte in meinem Spaghetti Eis herum. „Keiner aus meiner Klasse kann mich wirklich leiden, weil ich so gut bin und jeder Lehrer mich mag."

Nonno seufzte und biss in seine Waffel. „Den Schülern aus deiner Klasse kann es doch egal sein, ob du die beste bist oder nicht. Deine Eltern sowie ich sind stolz auf dich und du wirst nach deiner Schule dann mehr erreichen als sie, weil du dich seit Tag eins auf deine Ziele fokussiert hast."

Ich aß einfach stumm weiter und ließ seine Worte auf mich wirken. Egzona war die einzige, die mir geblieben war. Sie war schon immer meine beste Freundin gewesen, seitdem Tag im Kindergarten, als sie mir einfach den Fußball aus der Hand gerissen und diesen weg geschossen hatte.

„Du interessierst dich also auch nicht für Jungs?", fragte mich mein Opa, worauf ich nur meinen Kopf nicke. „Es wird der Tag kommen, an dem ein Junge deine ganzen Pläne durchkreuzen wird und deine Gedanken sich nur um eines kreisen: ihn. Und wenn dieser Junge dich dann auch noch gut behandelt, dann halte ihn fest."

„Ich werde sowieso niemanden finden, der so ist wie du, Nonno", lächelte ich ihn an und stopfte mir einen weiteren Löffel in den Mund. Nonna und er waren schon seit mehr als 50 Jahren zusammen und liebten sich immer noch wie am ersten Tag. Das faszinierte mich immer und immer wieder aufs Neue. Ich verstand nicht, wie so etwas sein konnte. Aber sie fanden immer wieder zueinander. Egal wie oft sie sich stritten, egal wie heftig ein Streit von ihnen war und egal wie oft sie nie miteinander geredet hatten. Sie liebten sich und fanden immer wieder zurück. Ihre Liebe rostete nicht. Nein. Sie hatten immer wieder Öl zur Seite, wenn es anfing zu rosten.

„Natürlich wirst du jemanden finden wie mich", lachte er herzlich auf und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, während er auf den Fluss starrte.

„Was ist aber, wenn der Junge mich fertig macht? Nicht körperlich, aber seelisch? Wenn ich ihn trotzdem liebe, aber mich diese Liebe zu ihm kaputt macht und ich nicht weiter kann?", fragte ich meinen Opa und blickte zu ihm.

Er überlegte eine Weile bis er seinen Kopf in meine Richtung drehte. „Wenn dies passieren sollte, Carla, dann denkst du an erster Linie an dich. Es gibt nichts wichtigeres als deine eigene Person. Wenn ein Mensch dich fertig macht, obwohl er dich lieben sollte, dann ist es nicht der Richtige. Und wenn du in der Heilungsphase bist, dann versuchst du nicht jemand anderen kennen zu lernen. Du wirst diese Person verletzen und das wird dich ein Leben lang verfolgen."

„Aber wenn ich nur an mich selbst denke, dann werden die anderen von mir glauben, dass ich selbstverliebt bin", meinte ich und rührte mein Eis, sodass nur noch eine Brühe entstand. Ich liebte es.

„Das nennt sich nicht Selbstverliebt, das nennt man Selbstbewusstsein. Wenn du lernst, dich selbst zu lieben, wie du bist, dann bist du bereit andere genau so sehr zu lieben, wie dich selbst", lächelte mein Großvater mich an. „Das sind unterschiedliche Dinge, dass eine ist negativ und das andere positiv."

Ich nickte nur und aß schließlich auf. Nonno schaute wieder auf den Fluss. Dafür, dass er sonst mehr lachte, war er heute ruhiger und zurückhaltender.

„Ich habe eine Bitte an dich, Stellina", flüsterte er dann und wartete nicht mal auf meine Antwort ab. „Ich will, dass du deine Schule mit guten Noten beendest um deinen Traumjob zu erlangen. Du wirst dich selbst finanzieren können und müssen und nicht mehr von deinen Eltern abhängig sein. Du wirst dein Leben voller Freude weiter leben und trotzdem geplant halten, damit du die Träume erfüllst, die du immer hattest. Und dann wirst du einen Mann kennenlernen, der dich liebt, dich ehrt und dich vergöttert. Er wird dich nicht finanzieren müssen, denn zu dieser Zeit wirst du es schon selbst tun. Das einzige, was du von ihm verlangen kannst, ist seine Liebe und Loyalität zu dir. Mehr nicht. Wenn du so einen Mann gefunden hast, lasse ihn nicht los."

Hätte ich gewusst, dass es der letzte Tag mit ihm zusammen wäre, hätte ich diesen Tag mehr ausgenutzt. Denn am nächsten Tag verstarb mein Nonno. Er ging fort für immer, doch ist nun an einem besseren Ort. Er hatte seine Ziele im Leben erreicht. Er hatte einen guten Job gehabt, eine Frau und Kinder, welche ihm immer zur Seite standen und Enkelkinder, welche ihn genauso sehr geliebt haben, wie er sie.

Aurelio Di Santis, du wirst immer in meinem Herzen bleiben. Mit den schönsten Erinnerungen, die ich mit dir erleben durfte...

𝖸𝖫𝖫𝖨 𝖨𝖬. | 𝘿𝘼𝙍𝘿𝘼𝙉.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt