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Carla.

„Wir haben doch alle jemanden Zuhause, der auf einen wartet und trotzdem loyal an eurer Seite bleibt", rief er in das Mikrophon und die Menge schrie auf. Er sah lächelnd durch die Menge, ließ seinen Blick über den ganzen Raum schweifen, bis seine Augen meine trafen. Er erstarrt. Und das war mein Stichwort: ich musste gehen.

Seit gestern Abend ruft und schreibt Dardan mir ununterbrochen. Ich frage mich sogar, ob er überhaupt eine Minute nach dem Konzert geschlafen hat. Das ist auch ein Grund, weshalb ich mein Handy auf Flugmodus mache. Er stört mich beim Schlafen und wütend sein.

Ich wusste zwar, dass er es ist, bevor ich auf dem Konzert war. Aber als ich ihn dort stehen sah, gab es mir den Rest. Ich hatte geweint, Egzona hat zwar ab und zu mal mit gerappt, aber danach fielen wieder Beleidigungen aus den Mündern meiner Freundinnen, die zum Glück durch die Schreie der anderen Fans untergingen.

Und jetzt liege ich wie eine Leiche in meinem Bett und will mein Reich einfach nicht verlassen. Mir ist einfach Ehrlichkeit am wichtigsten und ich glaube, dass Dardan es auch ganz genau weiß. Natürlich bin ich auch nicht ehrlich ihm gegenüber mit meinem Namen. Aber hätte je jemand gedacht, das ich wieder auf ihn treffe, dass ich mit ihm schreiben werde oder gar mit ihm ausgehe? Ich nicht.

Ich liege jetzt schon zwei Stunden wach in meinem Bett und schaue hoch zur Decke. Es müsste jetzt ungefähr 15 Uhr sein, meine Familie hat bestimmt schon gefrühstückt und trotzdem schaut keiner nach, ob ich überhaupt noch am Leben bin.

Soll ich vielleicht ein Lebenszeichen von mir geben? Aber dafür muss ich mein warmes und kuschliges Bett verlassen.

Soweit kommt es jedoch gar nicht, denn es klopft an meiner Tür und meine Mutter steckt ihren Kopf in das Zimmer. „Carla", sagt sie mit einer sanften Stimme und schaut mich besorgt an. Sie hat wahrscheinlich gemerkt, das irgendetwas nicht stimmt. So sind eben Mütter. „Oh dio mio", nuschelt sie, ehe sie mein Zimmer nun ganz betritt und die Tür hinter ihr schließt. Sofort kommt sie mit wenigen Schritten auf mein Bett zu und legt sich neben mich hin. Ihre Arme legt sie um meinen Körper und gibt mir einen sanften Kuss auf die Stirn. „Ich wusste, dass etwas nicht in Ordnung ist. Ich habe es gefühlt", sagt sie mit trauriger Stimme und streicht mir über meinen Arm. „Willst du mir erzählen, was passiert ist?"

Ich überlege eine Weile, schwanke mit den Gedanken hin und her. Sie ist meine Mutter und keine meiner Freundinnen. Aber trotzdem ist sie meine beste Freundin, dass ist sie schon immer und das wird sie auch immer bleiben.

„Ich..", beginne ich, doch breche direkt ab. Wie soll ich denn auch bloß erzählen, dass ein Junge ihrer Tochter, das Herz gebrochen hat und das nur mit einer Sache, welche er nie angesprochen hat. Einer Lüge. „Weißt du noch, als Rosa dich mal gefragt hat, was du machen würdest, wenn ich einen Freund hätte?" Während ich sie das frage, streicht sie mir durch meine Haare und bleibt stumm, weshalb ich zu ihr aufsehe. Sie nickt nur. „Er und ich sind nicht zusammen, eher in dieser Kennenlern-Phase und er hat mir das wichtigste was er mir hätte erzählen können, nicht gesagt. Ich..", ich nehme einen tiefen Atemzug und spreche schließlich weiter. „Ich hab Riccardo irgendwann spontan getroffen als ich abends noch Zigaretten holen gegangen bin und er hat es mir gesagt. Mehr oder weniger. Und dann hab ich ihn, meinen was auch immer er jetzt von mir ist, gesehen."

Während ich es meiner Mutter erzähle, laufen wieder Tränen über meine Wangen. Immer wieder sehe ich Dardan, wie er auf der Bühne steht und dann in meine Augen blickt. Es grenzt schon an einem Wunder, dass er mich überhaupt erkannt hat.

„Es tut so weh, Mamma", weine ich und vergrabe meinen Kopf in ihrer Schulter. „Wieso trifft es immer wieder mich? Wieso kann ich nicht einmal glücklich sein? Wieso?"

Meine Mutter hebt meinen Kopf an und schaut mich mahnend an. „Hör mir zu, Engel. Du lebst viel zu sehr nach den Worten deines Großvaters. Du umgehst immer wieder schlechten Einflüssen. Okay, dass mit Riccardo hast du noch gut gemacht, da sage ich sogar, dass es eine deiner besten Entscheidungen war, die du je getroffen hast. Er war immerhin handgreiflich und das hat keine Frau verdient. Vor allem nicht in so einem jungen Alter. Aber der jetzige Junge, er verletzt dich doch nur mit Sachen, mit Wörtern, die er nicht von sich erzählt hat, oder?", spricht sie und wischt mir meine Tränen weg. Ich nicke nur auf ihre Worte. „Hör ihn an, hör zu was er dir zu sagen hat. Wenn es dir trotzdem nicht passt und wenn du dich trotzdem nicht wohl fühlst neben ihm, dann lass es sein. Aber du musst bedenken: du bist 20 Jahre alt und den einzigen Fehler, den du dir in diesem Leben erlaubt hast, war Riccardo. Ich will, dass du deine Jugend genießt, mein Engel. Mach so viele Fehler wie möglich, du musst Erinnerungen und Erfahrungen sammeln, und nicht auf einen alten, dennoch weisen Mann hören. Okay?"

„Okay", nuschle ich und lege meinen Kopf wieder an ihre Schulter ab. „Okay."

Meine Mutter gibt mir einen Kuss auf meine Stirn und steht schließlich auf. „Gut. Micah ist übrigens da. Ich denke zwar, das er noch in der Küche verweilt, aber er wird bestimmt gleich in dein Zimmer stürmen und dich fragen was los ist."

Na super. Der Esel hat mir noch gefehlt.

Kaum hat meine Mutter mein Zimmer verlassen, spaziert Micah durch die Tür und lässt sich neben mir auf mein Bett fallen. „Hey Schönheit, bist du öfter hier?"

Genervt seufze ich auf und fahre mir durch meine Haare. Ich sehe bestimmt schrecklich aus. Vor allem, nachdem ich geweint habe.

„Okay, Carla. Hör zu", fängt er an, doch ich unterbreche ihn sofort, indem ich meine Hand hebe.

„Micah, nicht..", flüstere ich und schaue ihn flehend an. „Ich will nichts mehr hören. Ich kann nicht mehr."

Micah schlägt meine Hand weg und drückt mich mit meinem Körper zurück in die Matratze. „Jetzt hör mal zu, Di Santis. Du hast weder deine Mutter noch deinen Vater verloren und verhältst dich trotzdem so, als hättest du es. Du hast nicht mal mit deinem Freund Schluss gemacht noch hat dein Freund dich wieder geschlagen. Also hör mir jetzt verdammt noch mal zu!"

Ist das sein Ernst? Holt er jetzt auch die Riccardo Sache an die Oberfläche? Dass es meine Mutter getan hat, ist etwas völlig anderes, aber nicht bei Micah und vor allem nicht so!

„Lass mich los, Micah", rufe ich und zapple in seinem Griff herum. „Bitte."

„Wenn ich dich loslasse, hörst du mir dann zu?"

„Ja!"

„Versprich es mir", will er von mir hören und sieht mich grinsend an. Oh nein, ich hasse dieses Grinsen.

„Ja, ich verspreche es, aber bitte lass mich los", nuschle ich nur noch, bis ich binnen Sekunden später los gelassen werde und sofort wie von der Tarantel gestochen aus dem Bett springe und meine Arme massiere. Micah weiß eigentlich, dass ich es nicht mag, mich so in die Enge treiben zu lassen, wieso er es dennoch macht, verstehe ich selbst nicht. „Rede."

„Mariele und Egzona haben mir alles erzählt", sagt er nur. „Und ich bin dafür, dass du mit Dardan redest. Und bevor du etwas sagst, ich würde dich hinfahren, da bleiben und dich wieder zurück fahren. Vielleicht kannst du auch bei mir schlafen, wenn du das möchtest."

Sofort schüttle ich den Kopf und massiere weiterhin mein Handgelenk. Mein bester Freund hat mir nicht wehgetan, dass würde er niemals. Es ist eher dieser seelische Schmerz. Ein Schmerz, der nicht mal wirklich existiert aber trotzdem da ist. „Ich möchte noch nicht, Micah. Versteh mich bitte."

Mein bester Freund seufzt auf und setzt sich in meinem Bett auf. „Carla, tesoro. Ich verstehe dich doch, aber erinnerst du dich an meine Worte von Mittwoch letzter Woche?" Ich schaue ihn verwirrt an, was er auch versteht. Denn ich erinnere mich nicht. „Ich habe dir gesagt, dass ich gesehen habe, wie glücklich dich dieser Junge macht. Wie glücklich du wegen Dardan warst. Und jetzt sag mir nicht, dass es nicht so ist. Ich kenne dich von all deinen Freunden am besten. Also, zieh dich an, mach dich frisch und wir fahren", sagt er dann und springt von meinem Bett auf. „Ich warte in der Küche auf dich."

Ich will gerade etwas erwidern, bevor er aus meinem Zimmer verschwindet, doch er dreht sich nur um und hebt seine Hand. „Carla, nicht. Ich will nichts mehr hören. Ich kann nicht mehr", äfft er mir grinsend nach, was mich leicht zum schmunzeln bringt. „Pack dir was für morgen ein. Du schläfst bei mir, tesoro."

Mit diesen Worten verlässt er dann endgültig mein Zimmer.

𝖸𝖫𝖫𝖨 𝖨𝖬. | 𝘿𝘼𝙍𝘿𝘼𝙉.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt