33 ✔️

1.6K 83 6
                                    

Carla.

Nachdem ich gestern in Italien angekommen bin, mit meiner Familie ein großes Essen hinter mir hatte, lernte ich bis zwei Uhr morgens für meine Prüfungen und das obwohl ich mehr als müde war. Aber ich bin nicht nur hier, um meine Familie zu sehen. Ich bin hier um meinen Kopf abzuschalten und das Grab meines Opas zu besuchen.

Heute ist der Tag. Chiara würde Nonna und mich zum Friedhof fahren, doch davor ging ich mit Nonna zu einem Blumengeschäft und kaufe dort die Lieblingsblumen meines Opas. Ich entscheide mich dieses mal für lachsfarbene Gerbera und Nonna für gelbe.

Nachdem wir dies erledigt haben, fahren wir weiter und kommen nach zehn Minuten an, da es nicht wirklich weit entfernt ist.

Zuerst geht meine Oma zum Grab und legt den Strauß Gerbera dort auf sein Grab und sagt noch ein paar Worte, ehe sie sich zu mir dreht und mich herwinkt. Mit schnellen Schritten laufe ich zu ihr und bleibe neben ihr stehen.

„Schau mal wer zu uns gekommen ist, cuore mio", lächelt meine Nonna und schaut auf sein Grabstein. „Carla ist da. Bei uns." Lächelnd blicke ich zu meiner Nonna und gebe ihr einen Kuss auf ihre Wange. „Ich lasse euch alleine, Stellina. Lass dir soviel Zeit, wie du brauchst, ja?"

Ich nicke nur und warte bis sie sich auf die Bank in der Nähe setzt. Wenige Minuten später kommt auch Chiara dazu und lässt sich neben ihr nieder.

Als ich mich bereit dazu fühle, knie ich mich hin und lege meinen lachsfarbenen Strauß auf die Erde. „Hey Nonno", begrüße ich ihn flüsternd und lächle leicht. „Das ich hier bin, war eine spontane Entscheidung von mir. Aber ich bin hier um meine Gedanken zu ordnen und ebenfalls zu lernen." Mir ist eigentlich danach, mich zu setzen, doch Nonna würde mich wahrscheinlich dafür töten und mir liegt was an meinem Leben. „Ich hab jeden Tag meines Lebens nach deinen Worten, nach deinem Versprechen gelebt. Ich habe mein Abitur abgeschlossen und studiere mittlerweile. Aber das weißt du ja schon." Kurz lache ich und streiche mir über meine Hose. „Ich habe es nie bereut nach deinem Versprechen zu leben, aber Mamma sagt, ich solle aufhören, und mehr Erfahrungen sammeln." Ich zucke leicht mit den Schultern und schließe m meine Augen. „Da ist nämlich dieser Junge, Dardan. Er heißt Dardan Mushkolaj und naja, er ist in Deutschland ziemlich bekannt. Alle außer mir kennen ihn. Du weißt ja, das ich mit deutscher Musik nichts anfangen kann. Aber wir haben angefangen uns zu treffen, wir wollten beide etwas ernstes, haben uns aber beim Kennenlernen Zeit gelassen. Er wollte alles von mir wissen, jede meiner Launen und noch so kleinsten Details." Lächelnd starre ich auf die Erde und streiche mit meinen Fingern über diese. „Ich glaube, ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich mich nicht irgendwie in ihn verliebt habe. Aber er hat mich angelogen und mit den Jahren fand ich Ehrlichkeit am wichtigsten. Egal ob es eine einfache Freundschaft oder eine Beziehung ist. Er hat mir verschwiegen, dass er Künstler ist und Musik macht, welche bei den Leuten gut ankommt. Ich habe es selbst miterlebt."

Ein leichter Wind durchfährt meinem Körper und hinterlässt mir eine Gänsehaut.

„Ich weiß, dass du von oben auf mich herab siehst und irgendein Zeichen gibst. Mir ist es egal, was für eins, aber ich weiß nicht weiter. Micah sagt mir immer, dass Dardan mir gut tut und mich glücklich macht. Aber macht man eine Person glücklich, indem man sie verletzt und zum weinen bringt?"

Mit Tränen in den Augen schaue ich sein Grabstein an. Aurelio Di Santis.

„Wieso hat er mir nicht vertraut und mir gesagt, dass er ein Rapper ist, Nonno? Wieso?", flüstere ich unter Tränen und wische sie mir im nächsten Moment aus dem Gesicht. „Ich bin doch keine schlechte Person und kehre ihm den Rücken zu."

Ich nehme einen tiefen Atemzug und spreche schließlich weiter. Es muss alles raus und es tut mir jetzt schon Leid für Chiara und Nonna, dass sie so lange hier bleiben müssen.

„Er kämpft schon seit einer Woche nach meiner Aufmerksamkeit. Er möchte mich nicht verlieren, er will das klären und sich deshalb wieder mit mir treffen", spreche ich weiter und lächle vor mich hin, als ich wieder an die Nachrichten von Dardan denke. Er gibt sich wirklich Mühe und ich renne vor meinen Problemen weg. Unseren Problemen, die wir durch ein Gespräch klären können. „Ich sollte vielleicht wirklich mit ihm sprechen", flüstere ich und streiche mir eine lose Strähne hinter mein Ohr. „Aber ich fühle mich nicht bereit dazu. Es tut noch so weh, dass er mir etwas wichtiges verschwiegen hat. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll, Nonno."

„Hey Carla", höre ich die Stimme von Chiara neben mir und zucke erschrocken zusammen. Mit großen Augen sehe ich die Blondine vor mir an. „Wie lange brauchst du noch?" Meine Cousine schaut mich lächelnd an und legt eine Hand an meine Schulter. Ich antworte ihr nicht, denn ich weiß selbst nicht, wie lange ich noch brauche. „Er war immer stolz auf dich und Rosa", sagt sie und drückt leicht meine Schulter. „Schade, dass er deinen 21. Geburtstag nicht miterleben konnte."

Ja, das ist wirklich schade. Nicht nur weil mein Nonno nicht da war, sondern auch, weil ich es selbst nicht feiern wollte. Ich hatte viel für diesen Tag geplant, aber nicht umgesetzt. Ich hatte nicht die Laune dafür und es tat mir im inneren selbst weh.

„Ich brauche noch etwas", erwidere ich dann auf ihre Frage und blicke zu meiner älteren Cousine. Sie ist zwar nur ein paar Monate älter als ich, aber das macht nichts. „Ich nehme mir später ein Taxi. Fahr mit Nonna schon mal nach Hause."

„Okay", sagt sie und küsst meine Wange. „A dopo!"

„A dopo", lächle ich ihr hinterher und warte bis sie mit Nonna im Auto sitzt. Kurz danach schaue ich wieder zum Grab und seufze etwas auf. „Jeder hat doch eine zweite Chance verdient oder nicht? Er hat mich ja nicht betrogen", sage ich und setze mich nun auf den Boden. „Aber Riccardo hatte es auch nicht, er hat etwas viel schlimmeres getan. Er hatte seine Hand gegen über einer Frau gehoben und mich geschlagen. Er hat mich gestalkt, selbst nach unserer Beziehung, bis ich zum Anwalt gegangen bin um heraus zu finden, was ich tun soll. Bis ich schließlich bei der Polizei gelandet bin und all meine Social Media's offline gelegt habe."

Ich ziehe meine Beine an meinen Körper und lege meine Arme um meine Beine und meinen Kopf auf meine Knie ab. „Aber Dardan hat mich nur mit einer Sache verletzt, die er mir nicht erzählt hat. Es hat mich innerlich zerrissen und mich kaputt gemacht. Ich dachte, dass er mir vertraut um mir Dinge aus seinem Leben zu erzählen. Schließlich habe ich das ja auch."

Je mehr ich von Dardan erzähle, merke ich, dass es nicht mal mehr so schlimm ist. Das ich vielleicht überreagiert habe.

„Glaubst du, ich hätte es ihm ebenfalls nicht erzählt, wenn ich berühmt wäre?", frage ich und merke, wie dumm es ist, einem Grabstein eine Frage zu stellen, aber so komme ich immerhin weiter. Alles muss aus meinem Kopf. „Ich glaube schon.."

„Ich weiß nicht weiter, Nonno", nuschle ich und schaue stur auf seinen Namen. Er war so ein gutherziger Mensch und ich verstehe es bis heute nicht, wieso er uns weggenommen wurde. „Ich habe mir wahrscheinlich noch nie so Gedanken über einen Jungen gemacht. Momentan fühle ich mich sogar wie in einem schlechten Teenie Film. Hannah Montana oder so", lache ich und schaue kurz zur Seite, da ein Paar gerade den Friedhof betritt. Mit Blumen in ihren Händen.

Verstorbene Menschen werden nicht vergessen, egal wie viele Gedanken sie sich darüber machen oder Angst davor haben. Sie werden nicht vergessen. Niemals.

„Sag mir, Nonno. Soll ich mich überwinden und mit ihm sprechen?", stelle ich die Frage und warte einfach nur ab. Auf irgendein Zeichen. Früher hat es auch geklappt. Oder ich habe es mir nur eingebildet.

Nach zehn Minuten warten, stehe ich schließlich auf und klopfe mir den Dreck von meiner Hose.

„Auch wenn ich keine Antwort erhalten habe, Nonno, werde ich darüber nachdenken. Es in Erwägung ziehen mit ihm zu sprechen, sobald ich zurück in Deutschland bin. Denke ich", lächle ich, laufe auf seinen Grabstein zu und lege eine Hand auf dieses.

Ich glaube nie an solche Dinge, bis ich es vor Jahren selbst immer wieder erlebt habe. Ein Windzug durchfährt meine Haare und lässt sie im Wind wehen. Er ist hier und hat mich angehört.

„Danke."

𝖸𝖫𝖫𝖨 𝖨𝖬. | 𝘿𝘼𝙍𝘿𝘼𝙉.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt