10. Tyler

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Ich bin erledigt. Es wundert mich ernsthaft, dass ich es schaffe, mich selbst die Treppen in meine Wohnung hochzuschleppen, ohne bei jeder zweiten Stufe eine Pause einlegen zu müssen. Vielleicht bin ich wirklich zu alt dafür, die Nacht durchzumachen und dann nicht den ganzen Tag darauf entspannen zu können. Durch ein paar Tassen Kaffee war ich zwar zwischendurch relativ fit, aber jetzt, als das Koffein langsam in seiner Wirkung nachlässt, merke ich, dass ich einen ganzen Tag durchschlafen könnte. Dabei muss ich morgen wieder früh aufstehen.

Ich höre schon den relativ lauten Fernseher, als ich die Tür aufschließe und meine Tasche dann einfach im Flur fallen lasse, um erschöpft aus meinen Schuhen zu steigen.

Meine Jacke hat Alex einfach behalten und für seine erklärt. Er ist der Meinung, sie steht ihm besser als mir und ich soll seine Lederjacke nehmen. Die sähe richtig sexy an mir aus. Meine Erklärungsversuche, dass ich gar nicht sexy aussehen will, wenn ich nicht bei ihm bin, haben ihn wenig interessiert. Aber ich wusste ja schon immer, wie frech er ist und, dass ich, wenn er sich mal was in den Kopf gesetzt hat, einfach nicht gegen seine Sturheit ankomme.

Ich ziehe seine Jacke daher nicht aus, um sie in die Garderobe zu hängen, da ich nicht riskieren will, dass John auf die Idee kommt, sie anzuziehen. Er ist zwar größer als ich, aber wir haben uns trotzdem über viele Jahre hinweg die Klamotten geteilt, daher gibt es keine seine Kleidung oder meine Kleidung. Wir ziehen einfach an, was uns in die Hände fällt. Und ich will nicht, dass ihm Alex' Jacke in die Hände fällt.

Wie schon wegen der Geräusche zu erwarten, sitzt John im Wohnzimmer auf dem Sofa und schaut Fern. Irgendwie wundert mich das. Er fand fernsehen immer langweilig und war derjenige, der lieber stundenlang sinnlos spazieren gegangen ist als sich vor den Fernseher zu setzen. Grade wirkt er aber sowieso nicht wirklich so als habe er viel Energie, sowie er da rumluggert. Der Anblick tut mir fast schon leid.

„Hei" Ich begrüße ihn, er hebt den Kopf und erwidert es. „Ich habe Kuchen gemacht. Steht in der Küche. Gönn dir"

Okay? Auch das ist neu. John hasst backen und kochen. Er wartet lieber ewig auf eine Bestellung oder darauf, dass ich nachhause komme als in der Küche einen Finger zu rühren.

Wie zu erwarten, sieht es dort aus als habe eine Bombe eingeschlagen. Ich bin mir sehr sicher, dass die Spülmaschine, seit ich sie am Freitag angemacht habe, nicht nochmal gelaufen ist, geschweigedenn ausgeräumt wurde. Grade habe ich aber keine Lust, John dafür anzumaulen. Ich halte ihm bereits regelmäßig Vorträge darüber, dass ich nicht mit ihm versauern will und ihm auch sicherlich nicht hinter ihm herräumen werde, aber obwohl er jedes Mal meint, er gibt sich zukünftig Mühe, bleibt doch alles beim Alten.

Als ich den Kuchen entdecke, werde ich etwas besänftigt. Das ist mein Lieblingskuchen.

Wundert mich, dass er grade den gemacht hat. Er mag den eigentlich gar nicht und angeschnitten ist er auch noch nicht. Er meinte aber, ich soll mir gönnen, also schneide ich ein Viertel davon runter, nehme zwei Gabeln mit, um John auch was anzubieten und setze mich zu ihm aufs Sofa, ihm eine der Gabeln hinhaltend.

„Wie kommt's, dass du den gemacht hast?", will ich dabei wissen.

Er zuckt mit den Schultern. „Hatte halt Bock drauf."

Ich nicke. „Und dann hat dich was genau davon abgehalten, das Chaos wieder aufzuräumen?"

Er schaut mich genervt an, verdreht sogar die Augen. „Du bist grade mal fünf Minuten da und schon meckerst du. Wenn es dir nicht passt, räum es doch selbst weg"

Klar. Natürlich. Wieso auch nicht?

Der glaubt doch nicht ernsthaft, ich bin so dämlich. Er zieht sowas immer ab. Ständig muss ich ihm hinterherräumen. Er behauptet, er macht die Wäsche, lässt sie aber dann solange nass in der Waschmaschine, weil er sie vergisst, dass sie total zu stinken anfängt und nur noch durch extreme Duftperlen zu retten ist. Und dann bin ich schuld, weil er mir gesagt hat, dass er die Wäsche macht, ich demnach davon wusste, also genauso dafür verantwortlich bin. Das ist seine Logik, nicht meine. Nach meiner Logik bedeutet, Dinge anzufangen, sie auch selbst zuende zu bringen und nicht von anderen zu erwarten, dass sie das machen. Vollidiot.

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