54. Alex

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Die Asche in Johns Händen vermischt sich mit seinen Tränen. Er starrt darauf, doch bewegt sich nicht. Es scheint fast so als versuche er durch seinen verzweifelten Blick, den Brief wiederherzustellen. Doch er schafft es nicht.

Vorhin ist Ty einfach aus dem Raum gegangen, direkt in sein Zimmer. Ich bin ihm gefolgt, habe ihn wortlos in den Arm genommen und versucht, eine Hilfe zu sein. Doch er hat mich weggeschoben und begonnen, mir alles zu erklären, so als würde er über neuste Entwicklungen in der Politik reden. Und dann, als er am Ende des Ganzen eine einzige Träne vergossen hat, hat er mich gebeten, ihn alleine zu lassen, bevor ich auch nur daran denken konnte, etwas dazu zu sagen.

Jetzt sehe ich, wie John am Esstisch sitzt, die kleine, nicht verbrannte Ecke des Briefes vor sich, und den Großteil davon als Asche in seinen Händen.

Ich setze mich ihm gegenüber. „Durch Starren wird er auch nicht wieder ganz"

Er schließt die Augen, atmet tief ein, nickt dabei und haucht: „Ich weiß"

Kurz ist es still zwischen uns. Ich weiß, dass ich ihn nicht trösten kann und ich weiß nicht, ob ich es denn wollen würde. Mir brennt eine Frage auf der Zunge und ich schaffe es nicht, sie zurück zu halten.

„Hast du ihn geliebt? Logan?"

Vielleicht, nein sehr wahrscheinlich, ist es total unsensibel diese Frage zu stellen. Aber ich muss es wissen.

„Kann man zwei Menschen gleichzeitig lieben?", murmelt John. „Das frage ich mich seitdem ständig."

Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Zu behaupten, ich könne ihn verstehen, wäre eine Lüge. Ich verstehe gar nichts davon. Aber grade deswegen will ich mir kein Urteil darüber erlauben. Ich war nicht dabei. Ich kann nicht sagen, wer was falsch gemacht hat und wer welche Schuld trägt und es geht mich auch gar nichts an.

„John..." Ich strecke meine Hand nach ihm aus, lege sie auf seinen Unterarm. „...Ich weiß, wir sind keine besten Freunde und das werden wir wohl auch nie sein. Aber ich will, dass du weißt, dass du mit mir reden kannst, wenn du willst. Ich kann zwar nicht viel ändern, aber ich kann zuhören und da sein halt... Das heißt nicht, dass ich dich nicht hasse, sondern nur, dass es mir lieber ist, dass du mit mir darüber redest, was dich beschäftigt, als es wieder so weit kommen zu lassen, dass du keinen anderen Ausweg mehr weißt."

„Danke", sagt er bloß, weiterhin ohne mich anzusehen. Stattdessen steht er auf, nimmt den Schnipsel, der vom Brief übriggeblieben ist und geht damit in die Küche.

Seufzend bleibe ich zurück. Ich weiß, dass ich vermutlich die letzte Person bin, der sich John anvertrauen wird, doch ich musste ihm zumindest die Möglichkeit geben. Was Anderes hätte sich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren lassen.

Nachdem ich eine Weile hier herumgesessen habe und John nicht mehr zurückkommt, verziehe ich mich aufs Sofa und checke Nachrichten. Seit gestern war einiges los, vor allem, weil ich ein bisschen was von unserer kleinen Party in meine Snap-Story gepostet habe und meine Freunde darauf total entsetzt reagiert haben. Sie haben mich für zwei Stunden im Gruppenchat beleidigt und als Verräter betitelt, mich bedroht und sehr detailliert geschildert, was sie mit mir machen, wenn ich auf die Idee komme, sie zu ersetzen. Unter anderen Umständen wäre ich davon wahrscheinlich genervt und würde sie ignorieren oder allerhöchstes einen Kacka-Smiley oder einen Mittelfinger schicken. Doch jetzt ist es anders.

„Leute, ich habe ein paar ganz nette Menschen gefunden, mit denen es sich gut feiern lässt. Das heißt aber nicht, dass ihr mir weniger wichtig seid oder ich euch vergessen werde. Hab euch lieb😘"

Ich behandle meine Freunde viel zu oft richtig beschissen, doch tief in meinem Inneren liebe ich sie und einen von ihnen zu verlieren, könnte ich nicht ertragen. Ich bin nicht gut darin, sowas zu zeigen, aber nach allem, was Ty mir über seinen besten Freund erzählt hat, weiß ich, dass ich mir lieber etwas Mühe geben sollte, als es dann hinterher zu bereuen, dass ich so scheiße war und niemandem gesagt habe, was er mir bedeutet. Dazu gehört auch meine Familie. Meine Eltern zum Beispiel.

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