90. Tyler

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Innerlich fluche ich auf, als ich die Tür zu meiner Wohnung aufsperre und Geräusche aus der Küche höre. John wird sehen, dass ich da bin, wenn ich an der Tür vorbeilaufe. Mein Plan, mich einfach in mein Zimmer zu schleichen und mich für die nächsten fünf Wochen in meinem Bett zu verkriechen, wird also so leicht nicht aufgehen.

Erschöpft stelle ich meine Tasche im Flur ab, streife meine Schuhe ab und stelle sie so hin, wie sie angehören. Allein, mich danach wieder aufzurichten, kostet mich so viel Energie, dass ich gar nicht glauben kann, wie ich es geschafft habe, grade stundenlang Autozufahren ohne einfach einzuschlafen.

Aber obwohl ich so erschöpft und müde bin, wie man es nur sein kann, wäre das mit dem Schlaf nichts geworden. Dafür braucht man nämlich auch Ruhe. Nicht nur in der Umgebung, sondern vor allem in sich selbst. Und diese habe ich nicht.

Ich glaube, ich würde nicht mal wirklich einschlafen wollen, wenn ich es den könnte. Schlaf an sich gut und schön, den kann ich echt gebrauchen. Aber das Wachwerden danach will ich mir ersparen. Ich weiß genau, dass ich rein aus Gewohnheit erstmal damit rechnen werde, dass Alex neben mir liegt. Dann werde ich enttäuscht sein, weil er nicht da ist und mich daran erinnern, dass er total weit weg ist. Aber jetzt kann ich nicht mal mehr darauf hoffen, am Abend mit ihm zu telefonieren oder ihm morgens irgendwas schreiben und mir einbilden, dass es uns beiden den Tag ein bisschen versüßt.

Verdammt, ist das schwer. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass es so wehtut verlassen zu werden. Es ist fast so als wolle die ganze Welt es mir unter die Nase reiben, weil mich plötzlich alles daran erinnert, dass wir zusammen waren, es jetzt aber nicht mehr sind. Jedes verdammte Lied, das ich im Auto gehört habe, hatte plötzlich etwas mit Alex und unserer Trennung zu tun. Jeder Atemzug, seit ich seine Wohnung verlassen habe, fühlt sich an wie ein verzweifelter Versuch, nach Luft zu schnappen. Jeder Gedanke an ihn und uns, alles, was wir waren und alles, was wir hätten werden können, ist eine weitere Kugel, die sich zu den vielen anderen in meiner Brust gesellt. Sie bohrt sich schmerzhaft durch meine Haut in mein Fleisch, durchschlägt meine Knochen und landet in meinem Herzen, das langsam aber sicher so schwer wird, dass ich es kaum glauben kann, wie es das hinbekommt, noch immer zu schlagen.

Und dann ist da noch John in der Küche, der seinen Spaß mit Julian hat, indem er ihm Nutella ins Gesicht schmiert. Julian kleben einige seiner blonden Strähnen bereits durch die nussige Masse auf der Stirn und John hat ebenfalls einiges abbekommen. Während Johns Lachen eher dunkel und auch ein wenig bedrohlich klingt, kichert Julian wie die süßere Version einer erstickenden Seerobbe.

Sie bemerken mich zunächst gar nicht und ich überlege, doch einfach weiterzuschleichen, um ihnen ihre Zweisamkeit zu geben, doch ziemlich schnell sieht Julian mich dann doch, gerade als er John ausweicht, weil wieder eine ganze Hand voll Nutella auf seine Stirn klatschen will.

Vielleicht machen sie Gesichtsmasken damit, das würde es wenigstens ansatzweise erklären. Jedoch weiß ich nicht ganz, was das bringen soll.

„Oh hi Tyler!" Er winkt mir an John vorbei, scheint sich freuen, mich zu sehen. So schlimm kann ich also nicht gestört haben.

„Hei Julian" Ich erwidere sein Winken, indem ich kurz die Hand hebe und ihm zunicke.

John dreht sich in der Zeit um und sieht mich leicht schockiert an. Naja, eher ertappt. Fast wie ein zu großes, zu muskulöses und zu behaartes Kind, das voll erwischt worden ist, wie es die Wände vollgemalt hat. „Es ist nicht das, wonach es aussieht", sagt er sofort.

„Lebensmittelverschwendung?", hake ich kritisch nach.

Womit will er das denn rechtfertigen? Die Nutella habe ich ihm erst letzte Woche gekauft, die kann gar nicht abgelaufen sein.

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