29. Tyler

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Eigentlich bin ich ja echt gerne in der Schule...

Früher war das komplett anders. Ich war quasi die Definition von sozialer Angst, ich wollte nicht, dass Leute mit mir reden, mich anschauen oder auch nur wahrnehmen, dass ich überhaupt da bin. Ein Mal hätte ich mir fast in die Hose gepinkelt, weil ich zu große Angst hatte, mich zu melden, um zu fragen, ob ich auf Toilette darf. Mal abgesehen davon, dass es kompletter Schwachsinn ist, das überhaupt fragen zu müssen, glaubte ich, schon bei diesem Satz viel zu viel falsch machen zu können. Außerdem fragte ich prinzipiell nicht gerne nach Erlaubnis, auch nicht bei meinen Eltern. Für mich kam das einem Eingeständnis der Schwäche und Unselbstständigkeit gleich und obwohl ich ein schüchterner, ruhiger Junge war, wollte ich das nicht.

Ich hatte damals als Schüler so meine Probleme mit Mitschülern. Kinder können halt wirklich gemein sein und ich wollte mich lieber ärgern lassen und mir dann denken, wie hohl alle anderen eigentlich waren, das zu machen und auch noch witzig zu finden, als selbst jemandem psychisch oder auch physisch wehzutun. Über Jahre wurde ich immer so ein bisschen gehänselt, aber es war kein Mobbing, zumindest nicht, bis zu meinem Outing.

Es war fast so als hätte ich ihnen endlich den entscheidenden Grund geliefert, mich so richtig fertig zu machen. Ich habe nie ein Wort darüber verloren, nicht zu meiner Familie und auch nicht zu John. Ich dachte, ich stehe das halt so durch und irgendwann ist es vorbei und ich muss nie mehr daran denken. Aber es wurde immer schlimmer, so schlimm, dass die Lehrer gar keine andere Wahl hatten, als es mitzubekommen. Aber die haben entweder die Augen davor verschlossen und einfach weggesehen oder –und das ist noch schlimmer - mitgemacht. Das hat die anderen ja quasi darin bestätigt und bestärkt.

Ich habe versucht, das alles kalt an mir vorbeigehen zu lassen, aber ich glaube, das hat sie immer nur noch mehr getriggert. Sie hatten keine Ahnung davon, dass sie mich innerlich wirklich kaputt gemacht haben. Vielleicht ahnten sie es, keine Ahnung. Aber ich bin mir sehr sicher, sie wollten es vor Augen haben. Sie wollten mich zerbrechen sehen. Und dann haben sie mich zerbrochen. Meinen Arm, genauer gesagt.

Drei Brüche. Einen im Handgelenk, einen an der Elle und einen an der Speiche, sodass sich beides verschoben hat und durch eine Operation wieder gerichtet werden musste. Die Narbe davon habe ich immer noch, das ist eigentlich das schlimmste an alle dem. Dass das einfach Vergessen und so tun, als sei es niemals passiert, damit unmöglich geworden ist.

Meine Eltern haben mir geglaubt, dass ich beim Basketball nach einem Sprung einfach richtig blöd aufgekommen bin, immerhin ist das alles nach dem Training passiert und diese Geschichte hat sich perfekt angeboten. Dass die Jungs sich einen Spaß daraus gemacht haben, mich auf dem Boden festzuhalten und auf meinem Arm herumzuspringen oder mit verschiedenen Gegenständen draufzuschlagen, konnte keiner, der nicht dabei gewesen ist, auch nur erahnen.

Ich habe John nicht sehr oft gesehen in der Zeit. Er war frisch mit der Schule fertig und an der Uni in etwa zwei Stunden Entfernung. Er kam zwar jedes Wochenende zurück und manchmal hat er meine Verletzungen auch bemerkt, aber er hat mir geglaubt, wenn ich gesagt habe, dass ich mich geprügelt habe und der andere viel schlimmer aussieht. Er war sogar stolz auf mich, weil er dachte, ich hätte endlich gelernt, mich zu verteidigen und zu mir zu stehen.

Im letzten Jahr kam ein neuer Schüler an die Schule. Logan. Er ist mit seiner Familie von Amerika nach Deutschland gezogen, hat kaum deutsch gesprochen, sollte aber an einem deutschen Gymnasium den Abschluss machen. Total dämlich, aber gut... Gleich an seinem ersten Tag hat er mitbekommen, was an unserer Schule abgeht. Dass ich quasi die Zielscheibe von allem und jedem war, wie so ein Boxsack, auf den jeder mal einschlagen kann, wenn er Bock drauf hat. Er hat sich total darüber aufgeregt und klargestellt, dass er sich das sicherlich nicht mitansehen würde.

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