109. Tyler

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Es ist richtig seltsam für mich, wie ein zivilisierter Mensch in einem Café zu sitzen, umgeben von Leuten, die mich ansehen und nicht mal ahnen, dass ich die letzten Wochen ausschließlich in meiner Wohnung beziehungsweise in meinem Bett verbracht habe.

John ist jetzt schon seit fast einer Woche täglich bei Julian. Er geht früh morgens und kommt erst spät abends wieder nachhause. Wenn er dann da ist, verbringt er zwar Zeit mit mir, aber in dieser Zeit redet er eigentlich nur über Julian und darüber, wie toll, süß, witzig und schön er ist.

Ich freue mich für John, ich freue mich wirklich, aber irgendwie... Ich weiß nicht. Ich mochte es, als er mich umworben hat. Ich habe ihm zwar immer eingeredet, dass er einen Neuen finden wird und ich ihn dabei unterstützen werde, aber ich fand es doch toll, beinahe jeden Tag von ihm zu hören, dass er mich zurückwill und nötigenfalls um mich kämpfen wird. Ich habe mich dadurch für gewollt und wertvoll gehalten und hatte bis jetzt, als ich das nicht mehr bekomme, keine Ahnung, dass ich das irgendwie brauche. Nur so ein kleines Bisschen Bestätigung, das nicht mal zu was anderem führen muss, als mein Selbstbewusstsein zu pushen.

Aber es ist gut so wie es jetzt ist, das will ich gar nicht bestreiten. Ich bin zwar total einsam den ganzen Tag zuhause und fühle mich teilweise richtig verloren, aber ich sehe John auch gern dabei zu, wie er mit Julian aufblüht. Es ist fast so als sei er wieder 18 und frisch verliebt. Er wirkt glücklich und vor allem: Er plant. Für die Zukunft. Er blickt voraus und freut sich darauf, bestimmte Sachen zu erleben.

Er will sich wirklich selbstständig machen, habe ich so nebenbei erfahren. Er war dafür bei der Bank und bei den entsprechenden Behörden und kümmert sich grade um den Papierkram, um all das ins Rollen zu bringen.

Ich war schon ein bisschen enttäuscht, dass er mir das nur erzählt hat, weil er mir bewiesen wollte, wie sehr ihn Julians Eltern mögen, indem er mir sagt, dass Julians Vater ihm helfen will und er bestimmt total beeindruckt davon ist, dass John selbst was auf die Beine stellt. Was davor alles passiert ist, weiß der aber natürlich nicht und das ist auch sehr gut so.

John meinte zur Erklärung, er wollte nur den passenden Moment abwarten. Er wollte den Beweis dafür, dass er was geschafft hat, in den Händen halten und ihn mir zeigen, damit ich stolz auf ihn sein kann und ihm glauben, dass er nicht mehr nur leere Reden schwingt.

Allein das hat mich schon stolz gemacht. Ich habe keine Ahnung, wo er die Energie hernimmt, sich grade so zu bemühen, aber ich finde es super. Ich hoffe aus tiefstem Herzen, dass das anhält. Ich wünsche es mir für so John sehr.

Mitzuerleben wie gut es ihm gerade geht und daran teilhaben zu dürfen, hilft mir mehr als man meinen könnte. Oft steckt er mich mit seiner Stimmung an und gleichzeitig beweist er mir so auch, dass egal, wie schlecht es mir grade geht, es wieder besser werden kann. Nicht sofort und auch nicht plötzlich, aber langsam, Stück für Stück, wenn ich es wage, mich aufzurichten und auch was dafür zu tun.

Deshalb sitze ich jetzt hier in diesem Café und warte auf Claudia.

Meine Kollegin hat mich angerufen und ein bisschen mit mir geplaudert. Ihr war wohl langweilig. Als sie erfahren hat, dass ich nicht um Urlaub bin und auch sonst den lieben langen Tag nichts mache, hat sie ein Treffen vorgeschlagen und wie ich nun mal bin, konnte ich einfach nicht ablehnen.

Eigentlich ist das ganz gut so. Es ist irgendwie erfrischend, mal wieder draußen zu sein und mehr zu sehen als meine eigenen vier Wände. Ich sollte eindeutig wieder öfter rausgehen. Sport könnte ein guter Antrieb sein.

Ich bin wirklich sehr dünn geworden, das gefällt mir gar nicht. Aber es wundert mich auch nicht, nachdem ich jetzt seit Wochen kaum mehr was gegessen habe. Ich sollte definitiv trainieren. Bis Mitte Dezember kann ich bestimmt gut Muskeln aufbauen und Alex so beeindrucken.

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