20. Tyler

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Aus dem Augenwinkel sehe ich Alex' Fuß konstant auf- und abwippen. Auf andere mag das vielleicht so wirken, als habe er zu viel Energie und sowas ist bei Kindern oft auch ein kleines aber feines Anzeichen von ADHS, aber ich weiß, dass es bei Alex eher die Nervosität ist.

Bis auf sein Bein wirkt er eigentlich ziemlich ruhig auf mich. Er sitzt auf dem Beifahrersitz, schaut aus dem Fenster und tut sonst nichts weiter.

Auch ich muss nach außen relativ ruhig wirken. Eigentlich bin ich das auch. Ich habe nur Angst, dass John schlechte Laune haben könnte und das dann an Alex rauslässt.

John konnte sich nie gut zusammenreißen, ganz egal, worum es ging. Er hat erst sehr spät gelernt, dass man vor allem als Erwachsener manchmal einfach die Zähne zusammenpressen muss und eine Beleidigung oder einen unangemessenen Ton herunterschlucken.

Ich will nicht sagen, er hat es dann oft an mir ausgelassen, aber ich denke, er hat durch den viel zu harten Sex manchmal auch was zu kompensieren versucht. Und, wenn ich dann nicht mit ihm schlafen wollte und er seine Anspannung nicht so abbauen konnte, haben wir halt lautstark gestritten und es hat sich immer weiter zugespitzt. Einmal hat er mir sogar eine geknallt.

Nachdem er sich wieder beruhigt hat, war ziemlich schnell wieder alles gut, er war wieder lieb, zuvorkommend, rücksichtsvoll, süß. Er ist wirklich kein schlechter Kerl, er hat nur irgendwie eine Dauerlebenskrise, schon seit wir uns kennen. Bei seinen Umständen hat mich das aber nie gewundert. Es hat mich eher fasziniert und beeindruckt, dass jemand, der die meiste Zeit seines Lebens weder elterliche Zuneigung noch Fürsorge erfahren hat, trotzdem dazu in der Lage ist, anderen das zu geben.

John hat sehr lange geglaubt, dass er, weil er keine Familie hat, ganz alleine auf der Welt ist. Durch seine impulsive Art hat er, egal wie lange er in verschiedenen Kinder- und Jugendheimen war, auch nie wirklich Anschluss gefunden. Erst, als er in meiner Stadt ankam, auf meiner Schule und in meinem Herzen hat er erkannt, dass er nicht alleine ist. Und, dass er toll und liebenswert sein kann und dass es einen Versuch wert ist, Leuten das zu geben, was man sich von ihnen wünscht, um das dann zurück zu bekommen.

Die meisten Leute auf unserer Schule hatten damals total Angst vor ihm. Sie fanden es gruslig, dass er so ein Selbstbewusstsein ausgestrahlt hat, obwohl er in ihren Augen nichts hatte, das jemanden so stolz machen.

Ich war schon immer ganz gut darin, Menschen zu durchschauen. Ich war immer der ruhige Beobachter, dem Dinge aufgefallen sind, die andere niemals bemerkt hätten. Ich war schüchtern, aber trotzdem viel zu nett und bin gerne in meiner Komfortzone gebelieben, aus der ich andere dann aus sicherem Abstand beschattet habe.

Wochenlang habe ich John in der Schule fast schon gestalkt. Im Gegensatz zu den anderen fand ich ihn nicht unheimlich, sondern interessant. Er war wie ein Rätsel, das gelüftet werden wollte und ich fand Rätsel schon immer toll.

Irgendwann hat er mich aus dem Nichts darauf angesprochen, warum ich ihn immer verfolge und beobachte und ob ich keine Freunde habe, mit denen ich mir die Zeit vertreiben kann. Er war anfangs total fies zu mir, aber irgendwie wusste ich, dass viel mehr in ihm steckt als das.

Ziemlich kurz nach unserem ersten Gespräch, genauer gesagt bei dem Treffen am Nachmittag darauf hatten wir unser erstes Mal... Mein erstes Mal. Es war sowas von unbesonders und unromantisch und ich habe mir die Augen ausgeweint, weil es wehtat und ich es bereut habe, meine Jungfräulichkeit wie ein billiges Flittchen zu verlieren, das sich nach ein paar gewechselten Sätzen sofort abschleppen und ficken lässt.

John hat mich in den Arm genommen, mir zärtlich die Tränen weggeküsst und gesagt, dass ich das Schönste bin, was er jemals gesehen hat und, dass er nicht zulassen wird, dass ich jemals wieder weinen muss. Dass er damit meinte, sich zukünftig von mir fernzuhalten, mich von sich zu stoßen und so zu tun, als habe all das für ihn nichts bedeutet, habe ich erst begriffen, als er das sofort am Morgen danach getan hat.

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