68. Julian

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Was genau mich dazu veranlasst, Samstagabend vor Johns Tür zu stehen weiß ich nicht. Wir beide wissen, dass ich weiß, dass Alex nicht da ist. Es ist also offensichtlich, dass ich zu ihm will.

Ich erkläre mir das so, dass ich es nicht mag, dass er alleine zuhause ist. Naja, ganz alleine ist er nicht, immerhin hat er Rocky, aber obwohl John sich das einbildet, spricht die Katze nicht mit ihm und bevor er sein Haustier wirklich nur noch der einzige Kontakt ist, den er hat, sehe ich mich dafür verantwortlich, ihm Gesellschaft zu leisten.

Warum denn auch nicht? Wir verstehen uns super. Wenn wir reden, sind wir total auf einer Wellenlänge und wenn wir schweigen, kommt es mir irgendwie so vor, als reden wir trotzdem. Seltsam, ich weiß. Aber manchmal da schaut er mich an und ich bilde mir ein, in seinem Blick zu sehen, was er sagen will, wofür er aber keine Worte hat. Dann helfe ich ihm, sie zu finden.

Nach einem unserer längeren letzten Gespräche meinte er zu mir, er hat sich schon lange nicht mehr so verstanden gefühlt, wie, wenn er mit mir redet. Irgendwie hat mich das stolz gemacht.

John und ich teilen ähnliche Interessen, diskutieren über verschiedene Ansichten und verstehen uns dabei wirklich gut, egal, ob wir gleicher Meinung sind oder nicht.

Der Umgang mit ihm tut mir gut. Ich wusste vorher gar nicht, dass ich so viel zu erzählen habe und überhaupt so viele Meinungen zu allen möglichen Dingen. Bisher hat sich das auch keiner wirklich anhören wollen.

John gibt mir irgendwie das Gefühl, ich sei mehr als ein einfacher Junge, der ungern spricht und über den nur geurteilt wird, wenn er es doch tut. Ich erfahre total viel über mich selbst, wenn ich bei ihm bin. Wahrscheinlich ist es purer Egoismus, dass ich Zeit mit ihm verbringen will.

Eigentlich gibt es ja genug, das dagegenspricht. Er ist total alt, er ist verschlossen und weiß deutlich mehr über mich als ich über ihn und er hat offensichtlich große Probleme mit sich selbst. Er verlässt seine Wohnung nicht, sein sozialer Kontakt beschränkt sich zum Großteil auf seinen Ex und seine Katze, falls man die dazuzählen kann, er wirkt absolut nicht so als hätte er sich oder sein Leben im Griff... Wahrscheinlich sollte ich mich von ihm fernhalten. Wie bereits erwähnt, weiß ich selbst nicht, was es ist, das mich immer wieder zu ihm führt.

Ich finde es einfach unsinnig, die ganze Zeit an ihn zu denken, aber dann nicht zu ihm zu gehen. Das ist total feige. Und, wenn ich mir vorstelle, dass er alleine in seiner Wohnung sitzt und verloren seine Katze streichelt, während ich in meiner Freizeit vor meinen verrückten Freunden flüchte, indem ich mich unter tausend Decken in meinem Bett vergrabe, dann wäre ich in der Zeit deutlich lieber bei ihm. Das bringt für uns beide nur Vorteile.

Ich meine, wir müssen ja nicht gleich Freunde werden... Einfach reden reicht.

John wirkt überrascht, als er mich sieht. Er unterdrückt ein Gähnen. „Sorry... Äh was machst du hier?"

„Dich besuchen. Ich habe sogar ein Geschenk dabei" Ich hole eine Schachtel Zigaretten aus meiner Jackenjacke und strecke sie ihm hin.

Noch immer überrascht nimmt er sie an sich. „Das äh... Danke?"

Dass ich ihn wachgeklingelt habe, ist ziemlich offensichtlich. Es wundert mich, dass er überhaupt aufgemacht hat, wenn er grade am Schlafen war... Vielleicht hat er ja jemanden erwartet. Auch, wenn ich nicht weiß, wem man so halbnackt die Tür öffnen sollte.

„Ich kann auch wieder gehen, wenn du grade keine Zeit hast", schlage ich vor.

Einfach unangemeldet hier aufzutauchen und zu erwarten, dass er sich freut, ist schon irgendwie aufdringlich. Aber ich habe doch nicht damit rechnen können, dass er grade am Schlafen ist. Es ist Samstagabend. Kein Mensch schläft da.

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