111. Tyler

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Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung, was ich hier mache. Es ist Samstag, 9 Uhr morgens und ich stehe vor Nicks Café und warte darauf, dass er aufmacht.

Claudia hat ihm meine Nummer gegeben und er hat sich noch am selben Tag, als wir uns kennengelernt haben, bei mir gemeldet und mich um Hilfe gebeten, sein Bücherregal sinnvoll einzuräumen. Er meinte, Claudia würde ihn nur beleidigen, wenn sie ihm hilft, und er hätte lieber angenehme Gesellschaft.

Er hat mich eine „professionelle Lesemaus" genannt. Irgendwie fand ich das schon süß, auch, wenn er mir extrem schleimig vorkommt und ich mir denken kann, dass er bei alle dem einen Hintergedanken hat. Es wird doch auch für jemanden, der nicht sehr belesen ist, nicht schwer sein, ein Bücherregal selbst zu sortieren.

Trotzdem kann ich einfach nicht nein sagen, vor allem, wenn mich jemand um Hilfe bittet. Ich bin doch der, der sich immer darüber beschwert, dass jeder sich nur um seinen eigenen Scheiß kümmert und niemand mehr was für andere tut. Dann sollte ich es auch besser machen. Wie Michael Jackson so schön gesagt hat: „I'm starting with the man in the mirror"

Wenn ich nicht damit anfange, wird es keiner tun. Außerdem ist es ja auch gut für mich, mal rauszukommen und Kontakt zu Menschen zu haben. John sehe ich ja kaum mehr, seit er täglich bei Julian ist und manchmal nimmt er sogar Rocky mit dorthin, sodass ich ihn nicht mehr heimlich streicheln kann und dann behaupten, dass mich die Katze gar nicht interessiert, um ihren Kot nicht wegmachen zu müssen.

Natürlich pusht, von einem attraktiven Mann angeflirtet zu werden, auch mein Selbstbewusstsein, das ist ja klar. Ich müsste lügen, um nicht zu sagen, dass ich mir heute echt Mühe gegeben habe, präsentabel zu sein.

Eigentlich will ich ja gar nichts von Nick, aber irgendwie will ich ihm schon gefallen. Auch, wenn ich weiß, dass er niemand ist, der seine Flirtereien ernstmeint. Flirten ist wahrscheinlich ein Persönlichkeitsmerkmal von ihm. Vermutlich weiß er gar nicht, wie man sich mit jemandem unterhält ohne sich an ihn oder sie ranzumachen.

Ich verurteile das nicht. Wenn er seinen Spaß dabei hat und es ihn glücklich macht, soll er doch, solange er sich anderen nicht aufdrängt. Aber ich könnte das nie. Auf jemand Fremden zugehen, ihn ansprechen und ihm bedeutungslose Komplimente machen, um ihn ins Bett zu kriegen... Nein. Ich lerne zwar gerne neue Leute kennen, aber dann will ich sie eben auch wirklich kennenlernen, wissen, wer sie sind und was sie antreibt.

Wenn ich nach einer Nacht auswärts nachhause gehe und interessante Leute getroffen habe, bin ich oft deutlich und vor allem langfristiger zufrieden als nach einem One-Night-Stand.

Ich mag One-Night-Stands nicht. Manchmal vielleicht, aber viel zu oft nicht. Ich kann das auch gar nicht wirklich.

Wenn ich mit Alex geschlafen habe, dann hat mein Kopf einfach abgeschalten und ich habe einfach gehandelt. Das getan, was mir gefallen hat und gewusst, dass es ihm auch gefällt und dass er es mir sagt, falls er was Anderes möchte.

Aber bei Fremden habe ich das Gefühl, abliefern zu müssen, denke die ganze Zeit darüber nach, ob ich was falsch mache oder ob ich was Anderes machen sollte und ob er es ihm gefällt oder ob er nur so tut, um es hinter sich zu bringen. Man kennt Leute bei einem One-Night-Stand halt einfach nicht gut genug, um zu wissen, was ihnen gefällt und ob sie das dann auch sagen würden. Und dann ist da noch dieser Punkt, dass die meisten wirklich einfach nur hemmungsloses Ficken wollen und ich dazu auch wirklich in Stimmung sein muss, was doch eher selten vorkommt.

Gott, wieso denke ich überhaupt darüber nach? Nick hat mich herbestellt, damit ich ihm helfe Bücher einzusortieren. Das ist doch wohl kein geheimer Code für mir die Klamotten vom Leib reißen. Glaube ich. Ach keine Ahnung, ich bin verwirrt. Dass ich mich so schlecht deshalb fühle, macht es nicht besser.

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